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VERKEHR/1509: Verkehrswissenschaften (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2017

Die Wissenschaft hat festgestellt ...
Forschung zwischen Geld, Macht und Gemeinwohlinteressen

Verkehrswissenschaften
Hilfe für die Verkehrswende oder Legitimation der Autogesellschaft?

von Dorothee Saar


Technische Forschung an Universitäten und Instituten zur Optimierung bestehender Systeme oder zur Entwicklung alternativer Antriebe ist von hoher Bedeutung, da sie den Rahmen dessen abstecken soll, was technisch - und ökonomisch - innerhalb eines definierten Zeitrahmens möglich ist. Da diese aber häufig von der Industrie über Drittmittel teilfinanziert wird, ist es wichtig, dass auch Beiträge aus Sicht einer ambitionierten und auf Erreichung von Klima- und Umweltschutzzielen ausgerichteten Forschung bereitgestellt wird, finanziert etwa durch zuständige Ministerien, private Stiftungen oder Mittel der Europäischen Union. Wissenschaft und Forschung in diesem Bereich gibt es also nicht aus Selbstzweck, sondern sie ist immer interessengeleitet. Aber wer definiert diese Interessen und wer entscheidet, welchen der Vorzug zu geben ist, wenn die Erkenntnisse in politisches Handeln umgesetzt werden?


Vor dem Hintergrund nationaler und internationaler Klimaschutzabkommen ist es erforderlich, den CO2-Ausstoß im Verkehrssektor drastisch zu reduzieren. Da insbesondere beim Luftverkehr sowie bei der Schifffahrt nach heutigem Stand auch perspektivisch noch Emissionen berücksichtigt werden müssen, gilt für den Pkw-Bereich die Reduktion der Klimagase bis 2050 auf null. Dazu bedarf es einer technologischen Wende, aber auch einer Wende im Mobilitätsverhalten - beides gemeinsam wird dann die Verkehrswende. Hier werden verschiedenste Wissenschaftszweige zu technologischer Entwicklung, sozialen Aspekten, Nutzerverhalten und Akzeptanz neuer Angebote sowie Siedlungsentwicklung, Raumplanung und zukünftiger Logistik gefordert sein, um die richtigen Entscheidungen treffen zu können.


Forschen und Handeln

Erste Erkenntnisse zeigen schon heute, dass ein bloßer Wechsel der Antriebssysteme des Verbrenners auf Basis fossiler Kraftstoffe hin zu Antrieben mit Energien aus erneuerbaren Quellen keine Option ist, da es uns nicht gelingen wird, diese Energien in ausreichendem Umfang und in der verbleibenden Zeit zu generieren. Daher bedarf es einer massiven Absenkung des Energieverbrauchs in diesem Segment, verbunden mit den nicht ganz neuen Ansätzen Vermeidung, Verlagerung, Verbesserung. Während mit Blick auf die Wissenschaften in etlichen Fragen noch Forschungsbedarf besteht, scheint auf der anderen Seite deutlich, dass für die "3 großen Vs" heute weniger Forschungs-, als vielmehr Handlungsbedarf besteht, denn hier können wir auf ein breites Fundament wissenschaftlicher Erkenntnise zurückgreifen. Um nur einige Beispiele zu nennen: Abbau klimaschädlicher Subventionen wie der Steuerbevorzugung von Dieselkraftstoff und Kerosin, die Einführung eines landesweiten Tempolimits, die Weiterentwicklung von ambitionierten Verbrauchsstandards ab 2020, die dazu führen, dass die Absenkung des Energiebedarfs im Pkw-Bereich auch tatsächlich stattfindet wie - wissenschaftlich belegt - erforderlich.

Auch mit Blick auf die Luftreinhaltung ist dringendes Umsteuern geboten. Nach wie vor liegen in den meisten deutschen Städten die Luftqualitätswerte an verkehrsreichen Straßen oberhalb der zulässigen Grenzwerte, was zu massiven Gesundheitsschäden führt. Verkehrswissenschaften unterschiedlicher Disziplinen zeigen technisches Potenzial zur Reduzierung von Schadstoffemissionen und öffnen den Blick auf alternative Verkehrskonzepte. Was fehlt, ist der Wille zur Umsetzung dieser Erkenntnisse.


Was der Umsetzung im Wege steht

Jeder Wandel, ob der der Technik, der Infrastruktur oder der Nutzungsformen, ist auch mit ökonomischem Aufwand verbunden. Gleichzeitig lassen sich bestehende Systeme nicht mehr ökonomisch verwerten, wenn die Erkenntnis, dass sie zu viele negative Effekte zeigen, als Fakt anerkannt wird. Das beste Beispiel dafür ist der Diesel. Reflexhaft dargebotene Angstszenarien über den drohenden Verlust zigtausender Arbeitsplätze, ja dem Niedergang des bedeutendsten Industriesektors, verbunden mit enger personeller Verknüpfung zwischen Herstellerbranche und für den Bereich zuständiger Politik führen dazu, dass erforderliche Entscheidungen nicht getroffen werden. Dabei ist sicher eher das Gegenteil der Fall: Arbeitsplätze sind in Gefahr, wenn aus einer Abwehrhaltung der Wandel in der Branche blockiert wird. Denn tatsächlich ist der Industriezweig für Deutschland von hoher wirtschaftlicher (und emotionaler) Bedeutung, daher muss er sich den Anforderungen stellen, die in Europa und global im Sinne einer nachhaltigen Mobilität an ihn gerichtet werden. Der früher und heute zu beobachtende Protektionismus ist also fehl am Platz und führt dazu, dass kurzfristige Renditewerte höher bewertet werden, als das im Grundgesetz geschützte Recht auf Gesundheit, aber auch mittel- und langfristige Klimaschutzziele verfehlt werden.

Ein weiterer Grund ist, dass die meisten Aspekte rund um Verkehr und Mobilität in der Öffentlichkeit sehr emotional diskutiert werden. Jedermann ist Experte/Expertin, BetroffeneR, LeidtragendeR (etwa von Fahrverboten, die Leidtragenden von Lärmbelastung melden sich seltener zu Wort). Lösungsansätze werden vor allem als Einschränkung wahrgenommen und debattiert, sodass es den für die Umsetzung verantwortlichen EntscheidungsträgerInnen wenig attraktiv erscheint, sich hier als vermeintliche SpielverderberInnen zu profilieren. Es gelingt bisher nicht, sowohl die Notwendigkeit deutlich, als auch die mit den Veränderungen einhergehenden positiven Effekte schmackhaft zu machen. In der aktuellen breiten und vertieften öffentlichen Debatte rund um das Thema Diesel ist jedoch zu spüren, dass viele Menschen durchaus eine Änderung der Verkehrspolitik befürworten, auch wenn sie zunächst mit Einschränkungen im Vergleich zum gewohnten Mobilitätsmuster verbunden ist. Das zeigt uns, neben der Kritik, die uns erreicht, auch der große Zuspruch vieler Menschen und deren wachsende Unterstützung.

Ein dritter Punkt ist, dass Wissenschaft mitunter sehr komplex ist, und manchmal kommen 2 Studien zum gleichen Thema zu unterschiedlichen Ergebnissen. Auch wenn Methodik und Vorgehensweise beschrieben sind, werden unliebsame Erkenntnisse bisweilen als "ideologisch geprägt" diskreditiert - so wie jüngst die Bewertung der von Bundesregierung und Herstellern geplanten Softwareupdates von Diesel-Pkws durch das Umweltbundesamt, die dem ehemaligen Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer ganz offenbar zu unbequem waren. Dieses Vorgehen ist quasi das Gegenteil eines wissenschaftsbasierten Vorgehens.


Wie kann Verkehrswissenschaft zur Verkehrswende beitragen?

Wir brauchen die Wissenschaft, um neue Wege in der Verkehrspolitik beschreiten zu können - in der Technik, in der Akzeptanz, in der Vernetzung von Verkehr mit dem Ziel, das Gesamtaufkommen zu reduzieren, um unsere Klimaschutz und Luftqualitätsgrenzwerte einzuhalten, aber auch für mehr Sicherheit, weniger Lärm, mehr Lebensqualität. Wir brauchen diese Lösungen für den Personenverkehr und für den Güterverkehr, der uns womöglich noch vor viel größere Herausforderungen stellen wird. Und wir brauchen Wissenschaft, um nicht nur die Notwendigkeit darzustellen, sondern auch, um die Vorteile zu zeigen und nicht länger allein über Verbote und Restriktionen zu reden.

Wir brauchen die Wissenschaft, um nach Kräften die auf uns zukommende Herausforderung zu beschreiben, Technologiepfade zu öffnen oder offenzuhalten, aber auch, um Entscheidungen zu fundieren, nach denen wir uns von einzelnen Pfaden womöglich verabschieden, weil sie nicht ins Gesamtkonzept einer Verkehrswende passen. Welche Pfade das sein könnten, darüber ist ein offener Dialog zu führen, sachlich. Gegenwärtig dominiert im Zusammenhang mit dem Abgasskandal die oft zitierte Befürchtung, mit der geforderten Einhaltung geltender Grenzwerte sowie mit der ebenso erforderlichen Sperrung hoch belasteter Innenstädte für den Dieselverkehr als Hauptursache dieser Belastung gehe der Niedergang einer der bedeutendsten Industriesektoren einher. Ähnliche Argumente waren früher zu hören, als es um die Einführung des Katalysators, serienmäßiger Partikelfilter oder um die Einführung und Weiterentwicklung von Verbrauchstandards ging. Die Umsatzkurven der Hersteller sind seither gestiegen von Jahr zu Jahr.

Parallel zur technischen Weiterentwicklung brauchen wir die Weiterentwicklung von Effizienz- und Emissionsstandards, die den Zielsetzungen und Erkenntnissen der Wissenschaft Rechnung tragen, sowie entsprechende Kontrollstrukturen, die eine Umsetzung "im richtigen Leben" vollumfänglich gewährleisten. Das gilt nicht nur für den Diesel, sondern für alle Antriebe, für Abgaswerte wie für den Verbrauch. Auch hier kann Wissenschaft wichtige Beiträge leisten, und zwar nicht gegen die Industrie, sondern in ihrem Sinne, um wieder ihre Funktion als wichtigen Wirtschaftsfaktor zu stärken.

Wissenschaft muss dafür transparent sein und in diesem Sinne unabhängig, kommunikativ und Teil eines öffentlichen Dialogs. Nur mit gebotener Transparenz können wir sicherstellen, dass Entscheidungen fundiert sind und nicht Einzelinteressen folgen. Der Abgasskandal zeigt, dass hier in der Vergangenheit vorrangig Wirtschaftsinteressen berücksichtigt wurden, letztlich zum Schaden aller. Wir brauchen den Mut der Politik, sich der Debatte zu stellen und Entscheidungen zu treffen. Zum Wohle aller.


Die Autorin ist Leiterin des Fachbereichs Verkehr und Luftreinhaltung bei der Deutschen Umwelthilfe e. V.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NGOs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 3/2017, Seite 10-11
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 10. November 2017

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