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UNTERNEHMEN/2545: Digitale Wirtschaft - Deutschland muss aufholen (idw)


Expertenkommission Forschung und Innovation - 17.02.2016

Digitale Wirtschaft: Deutschland muss aufholen

EFI: Deutschland bei Digitalisierung bestenfalls Mittelmaß - Digitale Doppelstrategie erforderlich - Digitalkunde im gesamten Bildungsbereich verankern - Bedingungen für Start-ups verbessern.


In ihrem aktuellen Jahresgutachten, das am 17. Februar der Bundeskanzlerin in Berlin übergeben wurde, weist die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) darauf hin, dass "deutsche Unternehmen bei der Nutzung neuer digitaler Möglichkeiten derzeit allenfalls internationales Mittelmaß sind", wie es der Vorsitzende der Kommission, Prof. Dietmar Harhoff vom Max-Planck-Institut für Innovation und Wettbewerb, in seinem Vortrag bedauernd kommentiert.

Deutsche Unternehmen "haben, mit wenigen Ausnahmen, in den neuen Bereichen der digitalen Wirtschaft bislang keine Stärken aufgebaut. Es sind US-Unternehmen wie beispielsweise Apple, Google, Amazon oder Facebook, die die Aktivitäten in der internationalen Internetwirtschaft dominieren und treiben." Diese Dominanz ist bemerkenswert: Allein die Marktkapitalisierung der digitalen US-Unternehmen war im Jahr 2015 mit 1.159 Mrd. Euro über 15mal so groß wie die gesamte Internetwirtschaft in Deutschland (34 Mrd. Euro), Südkorea (36 Mrd. Euro) und Schweden (3 Mrd. Euro) zusammen. Die Internetriesen aus den USA expandieren in immer neue Anwendungsfelder und Branchen. Besondere Sorge bereitet den Innovationsexperten der EFI die Tatsache, dass ein Großteil des deutschen Mittelstands den digitalen Wandel noch nicht mit der erforderlichen Intensität verfolgt.

Innovative Geschäftsmodelle der digitalen Wirtschaft, die auf software- und internetbasierten Technologien wie Cloud Computing (ausgelagerte Datenwolken) und der Auswertung großer Datenmengen (Big Data) aufbauen, würden vorwiegend von jungen Unternehmen verfolgt - diese treiben das Wachstum der Internetwirtschaft. "Datengetriebene Dienste, Datenanalytik und Geschäftsmodelle", so Prof. Harhoff, "werden zu eigenständigen Wertquellen. Wenn Unternehmen diese Entwicklung nicht aufgreifen, besteht die Gefahr, dass sie ihre Wettbewerbsfähigkeit verlieren." Die Bedeutung dieser datengetriebenen Dienste und Geschäftsmodelle habe in den letzten Jahren sehr stark zugenommen und werde auch künftig weiter deutlich wachsen.

Big Data: Es lassen sich aktuell erhebliche Unterschiede zwischen der Nutzung von Big Data-Ansätzen in Großunternehmen und in kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) erkennen. Dietmar Harhoff dazu: "Während nur 7 Prozent der KMU Big Data tatsächlich anwenden und 29 Prozent konkrete Pläne zur Nutzung haben, sind 27 Prozent der Großunternehmen bereits Nutzer und weitere 42 Prozent haben konkrete Pläne."

Cloud Computing: "Nur 11 Prozent der KMU unter 250 Beschäftigten nutzen gegenwärtig Cloud Computing, gegenüber 27 Prozent der Unternehmen ab 250 Beschäftigten", so Prof. Harhoff. In anderen europäischen Ländern sei die Nutzung durch KMU und Großunternehmen schon wesentlich stärker verbreitet; in Finnland 50 bzw. 69 Prozent, in Italien 40 bzw. 47 Prozent, in Schweden 39 bzw. 62 Prozent (Umfragen aus dem Jahr 2014).

Die Expertenkommission empfehle daher zunächst, so Prof. Harhoff, "deutsche Unternehmen darin zu unterstützen, neue Wertschöpfungspotenziale in der internetbasierten Wirtschaft zu erschließen und Schwächen auszugleichen. Zudem muss der Umbau von Sektoren unterstützt werden, die von disruptiven (unterbrechenden) Innovationen bedroht sind." Die Expertenkommission kritisiert, dass der Schwerpunkt der Forschungs- und Innovationspolitik derzeit hauptsächlich auf dem zweiten Aspekt liege - der Verteidigung etablierter Sektoren. Deutschland brauche aber eine digitale Doppelstrategie, die auch neue Quellen der Wertschöpfung erschließt. Es sei derzeit noch keine systematische Strategie erkennbar, mit der in Deutschland der Aufbau neuer Kompetenzen unterstützt wird, die in einer internetbasierten Wirtschaft besonders wertvoll sind. Ein solche Strategie solle sich nicht an Anwendungsfeldern (z.B. Gesundheit, Produktion, Energie, Handel) orientieren, sondern die Schlüsselfähigkeiten identifizieren, die bisher nur unzureichend in Deutschland vorliegen: Kompetenzen im Bereich der Erstellung internet-bezogener Software und in der Handhabung und im Aufbau digitaler Geschäftsmodelle. Die Expertenkommission empfiehlt insbesondere Anpassungen des Bildungs- und Ausbildungssystems:

• den Umgang mit Daten und digitalen Technologien als Kulturfähigkeiten zu verstehen und als Grundlagenfach in Schulen jeglicher Art und in Hochschulen zu verankern,

• das Verständnis für digitale Wirtschaft und Geschäftsmodelle zu fördern.

"Die bestehenden Schwächen der Förderung digitaler Geschäftsmodelle", meinte Harhoff, "werden dadurch verstärkt, dass Start-ups - ein wichtiges Vehikel zur Bildung von internet-basierter Wertschöpfung - in Deutschland immer noch ein nur begrenzt wettbewerbsfähiges Umfeld und hohe Hemmnisse vorfinden." Die Expertenkommission habe dazu wiederholt Vorschläge gemacht - nach derzeitigem Stand würden aber selbst die im Koalitionsvertrag von 2013 festgehaltenen Intentionen zur Verbesserung der Situation von Gründungen, insbesondere bei der Wagniskapitalfinanzierung, weit verfehlt. "Wer Start-ups erfolgreich unterstützt, sorgt dafür, dass auch die Internetriesen unter Wettbewerbsdruck geraten und kontinuierlich innovieren. Erfolgreiche Start-up-Politik stärkt also auch den Wettbewerb zum Wohle der Nutzer," so Harhoff.

Die Expertenkommission begrüßt ausdrücklich die neue EU-Datenschutzgrundverordnung, mit der endlich einheitliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Die internetbasierte Gesellschaft erfordere zudem neue Formen der Regulierung, die mit Bedacht eingeführt werden sollten. Vorschnelle Reaktionen auf neue Geschäftsmodelle seien zu vermeiden (Beispiel: Taxi-Service Uber versus Taxiunternehmen). Die Expertenkommission plädiert außerdem dafür, in Deutschland zügig ein nutzerfreundliches E-Government-Angebot aufzubauen, um den Staat als Nachfrager wie auch als Anbieter digitaler Dienstleistungen zu stärken. KMU sollten bei der Adaption und Nutzung der neuen internetbasierten Geschäftsmodelle und Technologien unterstützt werden.

Prof. Harhoff abschließend: "Die von der Bundesregierung bisher bevorzugt verfolgte Strategie - mit Fokus auf den Produktionsbereich und Industrie 4.0 - ist nur dann sinnvoll, wenn sie bald durch die skizzierten Maßnahmen ergänzt wird."

Weitere Informationen unter:
http://tinyurl.com/EFI-2016

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution1451

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Expertenkommission Forschung und Innovation, Dr. Helge Dauchert, 17.02.2016
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Februar 2016

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