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TOURISTIK/351: Pakistan - Nach Vertreibung der Taliban hoffen Menschen im Swat-Tal auf Touristen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. August 2011

Pakistan: Nach Vertreibung der Taliban hoffen Menschen im Swat-Tal auf Touristen

Von Zofeen Ebrahim

Swat Valley - Bild: © Shabina Faraz/IPS

Swat Valley
Bild: © Shabina Faraz/IPS

Swat, Khyber Pakhtunkhwa, 9. August (IPS) - Wer als Fremder das rege Treiben auf dem Marktplatz von Mingora, einer Stadt im nordwestpakistanischen Verwaltungsbezirk Swat, beobachtet, kann sich kaum vorstellen, dass hier noch vor zwei Jahren die Taliban gewütet haben. Doch der Anblick der vielen bartlosen Männer und der unzähligen Frauen, die sich inzwischen ohne Burka auf die Straße wagen, sind zuverlässige Zeichen, dass die selbsternannten Gotteskrieger aus diesem Teil des Landes verschwunden sind.

Doch die Menschen vor Ort haben die Tyrannei der 'Tehrik-e-Taliban Pakistan' (TTP) nicht vergessen: die Bombenanschläge und das Zur-Schau-Stellen der Leichen politischer Feinde und Personen, die nach Ansicht der TTP gegen den Moralkodex des Islam verstoßen hatten. Die Fundamentalisten hatten im Dezember 2009, wenige Monate vor ihrer Vertreibung durch die pakistanische Armee, eine bekannte Tänzerin umgebracht und ihren Leichnam als Warnung an einem Strommast aufgehängt.

Unter der TTP mussten Frauen ihre Arbeit aufgeben, Mädchen auf Schulbildung verzichten. Musik, Tanz und andere Darbietungen waren verboten, und Videotheken und Unterhaltungsmaterialien fielen Säureattentaten zum Opfer. Inzwischen haben die Geschäfte wieder geöffnet und warten auf Besucher.

Die Behörden des 1,8 Millionen Menschen zählenden Swat-Bezirks hoffen, dass die archäologischen Ausgrabungen, üppigen Fischpfründe und Besonderheiten das Tal zu einem internationalen Touristenziel machen. Doch bis dahin könnten noch Jahre ins Land gehen, denn die Region hat sich noch lange nicht von den politischen Ereignissen der letzten Jahre erholt. Der Krieg der pakistanischen Armee gegen die Taliban schlug 800.000 Menschen in die Flucht. Zahlreiche Geschäfte wurden geschlossen.


Nach den Taliban die Flut

Im letzten Jahr, als sich viele Menschen zur Rückkehr ins Swat-Tal entschlossen, kam die nächste Katastrophe: Eine verheerende Überschwemmung, die ein Fünftel des südasiatischen Landes unter Wasser setzte. 20 Millionen Menschen waren betroffen.

Im Swat-Tal gibt es 338 Hotels und Restaurants, die auf Gäste warten. 43 Prozent aller Betriebe vor Ort sind touristische Unternehmen, wie eine Untersuchung der US-Entwicklungsbehörde USAID im April 2011 herausfand. Den Kapitalverlust der letzten drei Jahre schätzt die Behörde auf umgerechnet eine Million US-Dollar, die Einnahmenverluste auf 27 Millionen US-Dollar. Betroffen sind 15.259 Menschen, die im Fremdenverkehr tätig sind.

USAID fördert die Wiederbelebung der lokalen Tourismusindustrie. Die Infrastrukturarbeit ist Sache der Behörde für Hilfe und Wiederaufbau der Swat-Region. "Abgesehen davon, dass die Infrastruktur wiederaufgebaut werden muss, ist auch der Privatsektor auf Unterstützung angewiesen", meint Aftab Rana, USAID-Berater für die Entwicklung des Tourismussektors.

USAID hat der Region 5,25 Millionen Dollar an Direkthilfe in Aussicht gestellt. Erwartet wird, dass 1.000 Arbeitsplätze im Hotelsektor wiederhergestellt werden können und 10.000 Menschen profitieren. Nach USAID-Angaben sind 53 Prozent aller Hotels zwar wieder funktionstüchtig, können aber nur ein Viertel ihrer Kapazitäten nutzen, weil es an dem nötigen Operationskapital fehlt, die Schäden des Konflikts noch nicht beseitigt wurden und die Sicherheitslage nach wie vor kritisch ist.

Trotz ihrer ablehnenden Haltung gegenüber den USA ist die USAID-Finanzspritze den Hoteliers willkommen. Die USA sind vor allem wegen ihrer US-Drohnenangriffe verhasst, die seit 2009 im Nordwesten Pakistans tausenden Zivilisten das Leben gekostet haben. "Soweit ich weiß, hat nur eine einzige Person die US-Hilfe zurückgewiesen", meint Said Nawab, Vorsitzender des Hotel-Verbands des Oberen Swat. "Wir wissen genau, von wem wir unsere Gelder bekommen", meint er. "Vom US-amerikanischen Volk, nicht von der amerikanischen Regierung."

Die Sicherheitslage im Swat-Tal hat sich gravierend verbessert. Doch das Straßen- und Kommunikationsnetzwerk liegt am Boden. "Die durch die Flutkatastrophe verursachten Schäden sind so hoch", meint Rana. "Was über Jahre aufgebaut wurde, lässt sich nicht in wenigen Monaten wiederherstellen."

Viele Menschen im Swat-Tal fürchten, dass der Frieden nicht von Dauer sein wird. "Die Angst ist da, und die Bilder der Gewalt der Taliban lassen sich nicht ohne Weiteres aus dem Gedächtnis löschen", meint Falaknaz Asfandyar, die Witwe von Asfandyar Amirzeb, einem Enkel des Waali (Herrschers) des ehemaligen Fürstentums Swat, das 1969 mit Pakistan verschmolz.


Armee als Sicherheitsgarant

Der Frieden wird nur durch die Präsenz der Armee gewährleistet, die 30 Kontrollposten auf dem 90 Kilometer langen Landstreifen von Mingora bis Kalam aufgestellt hat. Sobald die Rollläden der Geschäfte nachts heruntergezogen werden, zeigt sich die pakistanische Flagge mit den Worten 'Lang lebe die pakistanische Armee'. Nach Angaben von Ladenbesitzern wurden die Geschäftsleute von den Soldaten gezwungen, Flagge und Widmung auf ihre Läden zu pinseln.

"Die Armeeangehörigen sind ziemlich unfreundlich und lassen uns alle ewig an den Kontrollstellen warten. Sie nehmen sich viel Zeit, um unsere Papiere durchzusehen, und niemand traut sich, sie anzutreiben", sagt ein Lieferwagenfahrer. Doch vielen Menschen der Region ist klar, dass die Präsenz der Militärs der Preis für den Frieden ist. "Die Soldaten sind den Taliban vorzuziehen", meint ein Tal-Bewohner. "Sie sind auf jeden Fall das kleinere Übel." (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. August 2011