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STEUER/1292: Unternehmensbesteuerung - Flickenteppich mit System (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2017

Konzerne außer Kontrolle?
Über Macht und Ohnmacht des Staates

Unternehmensbesteuerung - Flickenteppich mit System
Wie ein Steuersystem Wettbewerb verzerrt, ökonomischen Schaden anrichtet und Gerechtigkeit untergräbt

von Wolfgang Obenland


International agierende Unternehmen haben viele Vorteile im Wettbewerb, unter anderem durch ein Besteuerungssystem, das sie mehr als nötig bevorzugt. In der Folge werden lokale Unternehmen und die lokale Wirtschaft geschädigt, mit Auswirkungen auf die Finanzierung von Gemeinwesen, soziale Gerechtigkeit und Wirtschaftsstruktur. Dabei gibt es sowohl prinzipielle wie auch ganz pragmatische Ansätze dafür, was gegen Steuervermeidung und -hinterziehung sowohl global als auch national getan werden könnte.


Am 5. November 2017 veröffentlichte ein Netzwerk von JournalistInnen und Medien koordiniert vom International Consortium of Investigative Journalists (ICIJ) mit den Paradise Papers das jüngste Konvolut an Belegen dafür, dass es Personen und Unternehmen noch immer ein Leichtes ist, ihre Steuerlast durch die Ausnutzung eines global zerfaserten Finanzsystems zu drücken.


Immenser Schaden durch Steuervermeidung

Tatsächlich bietet eine ganze Dienstleistungsindustrie Angebote für Personen und Unternehmen, die es ihnen ermöglichen, sich Wettbewerbsvorteile zu verschaffen. Die Folgen davon sind mittlerweile gut belegt. Die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) schätzt, dass den Staaten global durch Steuervermeidungspraktiken multinationaler Unternehmen jährlich 100 bis 240 Milliarden Euro an Einnahmen verloren gehen. Umfangreichere Schätzungen zu Kapitalverlusten zeigen, dass das Phänomen gerade für ärmere Länder volkswirtschaftlich bedenkliche Ausmaße annimmt. So errechnet das Washingtoner Forschungsinstitut Global Financial Integrity Verluste für sog. Entwicklungsländer von 620 bis 970 Milliarden US-Dollar im Jahr 2014 allein. (1) Die Folgen sind vielfältig: Schwache Sozialsysteme, mangelhafte öffentliche Dienstleistungen, schwache Binnenwirtschaft.

Das Hauptproblem für die Steuerbehörden liegt daran, dass der Flickenteppich nationaler Regelwerke den Geschäftspraktiken transnational agierender Konzerne nicht mehr gerecht wird. Tochterfirmen multinationaler Unternehmen werden in den jeweiligen Ländern als selbstständige Einheiten besteuert. Dabei ist jedoch kaum nachzuvollziehen, ob der steuerliche Gewinn einer Tochterfirma korrekt ausgewiesen oder zum Beispiel durch manipulierte Preisfestsetzungen für konzerninterne Transaktionen künstlich kleingerechnet wird.


Wie man Steuern sparen kann - ein Beispiel

Die Mechanismen und Folgen auch für kleinere Unternehmen und ihre Wettbewerbsfähigkeit hat der Wirtschaftswissenschaftler Lorenz Jarass in einem aktuellen Beitrag für Makronom am Beispiel zweier fiktiver Bäckereien in Deutschland plastisch verdeutlicht: (2)

Eine lokal tätige und sich vor Ort - etwa bei einer Sparkasse - finanzierende Bäckerei trägt auf vielerlei Art und Weise zum Steuerertrag und zur lokalen Wertschöpfung bei. Sie ermöglicht bspw. Banken Einnahmen über bezahlte Kreditzinsen (die in Deutschland versteuert werden), bezahlt ebenfalls besteuerte Löhne, macht Werbung (deren Erträge die lokalen DienstleisterInnen ebenfalls versteuern) und kann diese Ausgaben mit ihren Gewinnen verrechnen, die danach aber ebenfalls zur Besteuerung herangezogen werden.

Im Gegenbeispiel wurde ein Bäckereiunternehmen vor einigen Jahren an internationale FinanzinvestorInnen verkauft. Der Kaufpreis wird überwiegend aus dem Eigenkapital des Bäckereiunternehmens refinanziert. Das wird durch Kredite ausgeglichen, die aber nicht lokal, sondern z. B. bei einer/einem Schweizer FinanzdienstleisterIn aufgenommen werden. Die Zinserträge werden entsprechend nicht versteuert, weil hierfür eine Steuerbefreiung gilt. Weiter bezahlt das Unternehmen für die Nutzung seines Markennamens Lizenzgebühren an eine ebenfalls im Ausland ansässige Tochterfirma, natürlich in einem Land, in dem solche Lizenzeinnahmen ebenfalls steuerlich befreit sind. Werbung wird über das Internet gemacht. Sowohl die Zinsen als auch die Markengebühren und Werbeausgaben kann das Unternehmen steuerlich geltend machen. Am Ende verbleibt fast kein Gewinn, trotz evtl. guter Umsätze. Weil sowohl die KreditgeberInnen als auch die Lizenzverwaltungsfirma "steuerlich optimiert" sind, bezahlen sie auch sonst nirgendwo Steuern.

Der kleinen Bäckerei bleibt, so es seine Wettbewerbsfähigkeit nicht einbüßen will, nur die Möglichkeit, sich ähnlicher Tricks zu bedienen - etwa das Ausweichen auf Internetwerbung oder ausländische KreditgeberInnen. Im Ergebnis verzeichnen nicht nur Finanzämter geringere Einnahmen - mit Folgen für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen von der sozialen Sicherung bis zur Bildung - sondern auch die lokale Wirtschaft. Das wiederum kann zu weniger Arbeitsplätzen und niedrigeren Löhnen führen.


Die Grundprobleme: Steuerwettbewerb und Transfer Pricing

Weitere und zum Teil äußerst komplexe Problemfelder bestehen im Internethandel - wo versteuert bspw. Amazon die Einnahmen aus seiner Versandtätigkeit, wie wird der Umsatz besteuert oder wo werden Patenteinnahmen abgerechnet? Wichtig ist aber festzuhalten, dass es im Kern 2 Ursachen gibt:

Zum einen herrscht, auch innerhalb der Europäischen Union (EU), ein Wettbewerb um möglichst attraktive Besteuerungsmodelle und Steuersätze. Das reicht von für einzelne Megaunternehmen eingeräumten Sonderregeln (wie etwa im Fall Apples in Irland oder Amazons in Luxemburg) bis hin zu systematischen Ausnahmen für Einnahmen aus bestimmten Quellen (bspw. Zins- und Lizenzeinnahmen in den Niederlanden). Hinzu kommt ein u. a. durch Brexit und Trump befeuerter neuer Anlauf im Wettbewerb um möglichst "attraktive" Unternehmenssteuersätze insgesamt.

Zum anderen gilt im internationalen Steuerrecht noch immer der Grundsatz, dass Mutter- und Tochterunternehmen als separate Steuersubjekte betrachtet werden. Finanzflüsse und Handel zwischen diesen Einheiten werden steuerlich so behandelt, als geschähen sie zwischen unabhängigen Unternehmen. Zur Berechnung des steuerlichen Werts der Transaktionen werden Vergleichspreise herangezogen, die üblichen Marktpreisen entsprechen sollen. Allerdings ist die Findung eines Marktpreises für Güter wie Patente oder Markenrechte fast unmöglich. In der Summe ermöglicht genau dieses System (engl.: Transfer Pricing) Gewinnverschiebungen und Steuervermeidung. Alle Reformbemühungen, beispielsweise im Rahmen der G20/OECD-Initiative 'Base Erosion and Profit Shifting' (Erosion der (Steuer-)Basis und Gewinnverlagerung - BEPS), haben dieses Grundproblem nicht adressiert.


Was zu tun wäre

Steuersystematisch gibt es 2 Ansätze, die zu gerechterer Besteuerung und damit gerechterem Wettbewerb führen würden: Der große Wurf wäre eine Ablösung des Transfer-Pricing-Systems durch ein System, in dem Konzerne inkl. aller Tochterfirmen als steuerliche Einheit betrachtet werden (engl.: Unitary Taxation, dt.: Gesamtkonzernsteuer) und in dem die global ermittelten Gewinne anhand einer Formel auf alle Länder verteilt wird, in denen die Firmengruppe aktiv ist. Die Formel könnte auf realen Größen aufbauen (z. B. Zahl der MitarbeiterInnen, Umsatz, Wertschöpfung) und würde die Komplexität des internationalen Steuersystems stark reduzieren. Allerdings ist auch dieser Ansatz mit Fallstricken versehen, die einer politischen Lösung bedürfen. Dazu gehört die Frage, wie stark die Steuersätze mit denen, die nach der Formel verteilten Gewinne belegt werden, einander angeglichen werden. Immerhin wird der Ansatz in der EU - aber auch unter ExpertInnen und AktivistInnen - ernsthaft diskutiert. (3) Ein pragmatischerer Ansatz könnte in national umsetzbaren Maßnahmen bestehen. Denn entgegen der üblichen Ablenkungsmanöver ("Keine nationalen Alleingänge!") haben Länder wie Deutschland durchaus Möglichkeiten. Beispiele wären eine (u. U. in Grenzen verrechenbare) Quellenbesteuerung auf an ausländische Unternehmen bezahlte Zinsen und Lizenzgebühren oder eine Reform der Gewerbesteuer. (4)

Um gerade auch auf internationaler und globaler Ebene voranzukommen, sind allerdings neue institutionelle Mechanismen von Nöten. So bleiben v. a. kleine und ärmere Länder in der globalen Steuerpolitik noch weitgehend außen vor und werden zu Erfüllungsgehilfen der Beschlüsse der Großen und Mächtigen degradiert. Um aber auch den relativ am stärksten betroffenen Ländern des Globalen Südens eine Stimme zu geben, braucht es Institutionen, an denen sie gleichberechtigt beteiligt sind, etwa unter dem Dach der Vereinten Nationen. So wie der politische Einfluss großer Unternehmen national unverhältnismäßig stärker ist als der kleiner, lokaler AkteurInnen, so braucht global gesehen die politische Macht von Klubs wie der OECD oder der G20 ein Korrektiv. (5)


Der Autor ist Programmkoordinator des Global Policy Forum in Bonn und sitzt im Koordinierungskreis des Netzwerk Steuergerechtigkeit Deutschland.


Anmerkungen:

(1) http://www.gfintegrity.org/wp-content/uploads/2017/05/GFI-IFF-Report-2017_ final.pdf.

(2) Lorenz Jarass (16.10.2017): Warum das deutsche Steuersystem unfairen Wettbewerb fördert - und was dagegen getan werden könnte.

(3) Karl-Martin Hentschel (14.06.2017): Die Gesamtkonzernsteuer - Systemwechsel bei der Unternehmensbesteuerung. Info Steuergerechtigkeit.

(4) Vgl. ebd.

(5) Vgl. Wolfgang Obenland (2016): Options for Strengthening Global Tax Governance. International Policy Analysis. Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NGOs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 4/2017, Seite 6-7
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Januar 2018

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