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REDE/430: Westerwelle - Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz, 07.05.10 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle, zum Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz vor dem Deutschen Bundestag am 7. Mai 2010 in Berlin:


Herr Präsident!
Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Wir spüren, dass wir heute eine Entscheidung von einer gewaltigen Tragweite fällen. Ich gehe davon aus, dass diese Entscheidung heute keinem leichtfällt. Dennoch muss sich jeder Abgeordnete heute entscheiden, weil wir eine große Verantwortung tragen: für die Zukunft unseres Landes, unserer Währung und auch für die Zukunft Europas. Es geht bei dieser Debatte heute nicht um einen Wahlsonntag. Es geht darum, Schaden von unserem Volk abzuwenden.

Ich glaube, wir alle spüren, dass Europa vor einer sehr schweren Bewährungsprobe steht. Es ist bedauerlich, dass sehr viele in diesen Tagen am Nutzen Europas zweifeln. Viele, auch viele Bürgerinnen und Bürger, fragen sich in diesen Tagen, was uns Europa kostet. Am Anfang möchte ich aber unterstreichen: Wir wollen auch nie vergessen, was uns Europa wert ist.

An jeden gerichtet, den es betrifft, will ich hinzufügen - ich vermute, dass in diesem Punkt unverändert eine Gemeinsamkeit der Demokraten besteht -: Wenn Europa nicht mehr gebracht hätte, als dass wir auf diesem Kontinent seit Jahrzehnten in Frieden leben können, dann hätte sich Europa schon gelohnt. Europa ist eine Schicksalsfrage, eine Friedensfrage, eine Wohlstandsversicherung für alle Bürgerinnen und Bürger auf diesem Kontinent.

Herr Kollege Gabriel - ich will mit dem, was uns verbindet, beginnen - , ich unterstütze, was Sie zum Ausdruck gebracht haben: Manches, was über Griechenland gesagt worden ist, war geprägt von einer Abschätzigkeit gegenüber einem demokratischen Volk, einem Partner und Freund in Europa, die in keiner Weise akzeptabel ist.

Weil das griechische Parlament und die griechische Regierung gestern Nacht eine schwere Entscheidung zu treffen hatten, möchte ich ausdrücklich sagen: Ich habe großen Respekt vor dem griechischen Parlament und vor der griechischen Regierung, dass sie dieses harte Sparprogramm verabschiedet haben und es jetzt in der Praxis durchsetzen wollen. Ich stelle mir manchmal vor, wir in Deutschland würden Vergleichbares zu bewältigen haben. Ich betone nachdrücklich: Ich habe großen Respekt davor, wie sich Griechenland entschieden hat.

Die Lage ist sehr ernst, und niemand kann so tun, als wären wir mit der heutigen Entscheidung schon über den Berg. Worum es jetzt geht, ist, dass wir den Brand löschen müssen, damit sich in Europa kein Flächenbrand ausbreitet. Wir müssen gleichzeitig die Brandursache bekämpfen.

Zu beidem will ich etwas sagen:

Erstens. Wir sind bereit, Griechenland mit einer Bürgschaft zu unterstützen, weil Griechenland bereit ist, ein einschneidendes, aber notwendiges Sparprogramm zu beschließen, und es jetzt auch gegen viele Widerstände durchsetzt. Das ist und bleibt die richtige Reihenfolge. Wer der Bundesregierung heute vorwirft, sie hätte bereits vor Monaten einen Scheck ausstellen sollen, der verkennt, dass wir dieses ehrgeizige Sparprogramm in Griechenland dann niemals gesehen hätten. Es kann nicht derjenige der bessere Europäer sein, der einen Blankoscheck ausstellt. Der bessere Europäer ist derjenige, der nachhaltig auch die strukturellen Ursachen der Krise bekämpft.

Diejenigen, die an den Beratungen teilgenommen haben oder das nachgelesen haben, wissen, dass genau das vom Bundesbankpräsidenten erklärt wurde, zum Beispiel in der Anhörung des Haushaltsausschusses. Es geht nicht allein um Geld. Griechenland muss auf Dauer auch die strukturellen Reformen durchsetzen, damit das, worüber wir heute reden, kein Fass ohne Boden ist. Wir müssen dafür sorgen, dass das Programm nachhaltig ist. Deswegen ist es richtig, dass der mit dem IWF und der Europäischen Union vereinbarte, schmerzhafte Sanierungskurs jetzt eingeschlagen wird. Er ist die Chance zur Überwindung der Krise. Geld allein hätte hier nicht geholfen, sondern es müssen Strukturpakete in Griechenland und, was die Folgen der Krise angeht, in Europa beschlossen werden.

Wir ziehen die richtigen Lehren aus der Krise. Europa braucht Veränderungen. Das ist der zweite Punkt, über den ich sprechen möchte, weil wir die Brandursachen jetzt entschlossen zu bekämpfen haben. Dazu haben wir als Koalitionsfraktionen in unserem Antrag eine Fülle von Maßnahmen aufgeschrieben.

Ich möchte zunächst einiges zu den Einzelvorschlägen sagen, Herr Kollege Gabriel. Der Debatte konnte ich entnehmen, dass es Punkte gibt, bei denen wir uns einig sind. Gestern haben wir uns unterhalten, und wir waren in einigen Punkten sehr nahe beieinander, um es einmal offen zu formulieren.

Unser Antrag enthält Punkte, die wir alle als richtig erkannt haben. Wir wissen doch, dass wir in Europa jetzt dafür sorgen müssen, dass sich das nicht wiederholt, dass wir zumindest die Chance minimieren müssen, dass sich so etwas wiederholt. Zum Beispiel ist es notwendig, dass wir in Europa eine unabhängige Ratingagentur schaffen. Ob sie öffentlich-rechtlich sein muss, lasse ich einmal dahingestellt. Ich glaube, dass das die Glaubwürdigkeit einer solchen Ratingagentur, die Staaten bewertet, eher relativieren könnte. Aber wir brauchen eine unabhängige Ratingagentur in Europa, weil es nicht akzeptabel ist, dass Ratingagenturen Finanzprodukte entwickeln und sie anschließend auch noch bewerten. Da besteht eine Interessenkollision. Dagegen muss man in diesem Hohen Hause gemeinsam vorgehen.

Wir sind uns auch bezüglich Eurostat einig. Wir sind uns doch einig, dass wir es nicht akzeptieren können, dass ein Land über längere Zeit falsche Zahlen nennt und damit durchkommt. Deswegen sind wir uns einig darüber, dass die europäische Statistikbehörde wirkliche Kontrollrechte und Eingriffsrechte bekommen muss, das heißt, dass sie wirklich in die Bücher schauen kann. Wir sind gemeinsam der Überzeugung, dass das notwendig ist. Also könnten wir uns darauf doch verständigen.

Zum Dritten sind wir auch der Überzeugung, dass es Konsequenzen haben muss, wenn ein Land über lange Zeit gegen den Konsolidierungskurs verstößt, wenn sich ein Land dauerhaft nicht an das Prinzip der soliden Haushaltsführung, die wir in Europa vereinbart haben, hält. Ich rede nicht über den Wirtschafts- und Stabilitätspakt und deren Aufweichung, sondern ich spreche vor allem davon, dass es schnelle Reaktionen geben muss. Auch darin sind wir uns in diesem Hause eigentlich einig, indem wir beispielsweise dafür sind, jemandem, der sich auf Dauer falsch verhält, die europäischen Finanzmittel entsprechend zu sperren. Ich denke, dass das sehr viel schneller und wirkungsvoller ist als das bisherige Verfahren mit blauen Briefen, langjährigen Reaktionen und am Ende Strafzahlungen. Es muss schnell gehandelt werden. Auch darin sind wir uns einig.

In Wahrheit geht es um einen anderen Punkt - darin sind wir uns nicht einig, wie ich der Debatte eben noch einmal entnommen habe -, und zwar um die Finanztransaktionsteuer. Ich habe Ihre Antworten eben auf Herrn Fricke so verstanden, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass es Ihnen im Wesentlichen darum geht, eine Finanzsteuer in den Entschließungsantrag aufzunehmen. Das können wir gerne tun.

Wenn es Ihnen damit leicht wird und Sie damit in der Lage sind, in dieser Stunde der Verantwortung auch dem Paket, dem Antrag und der Bürgschaft zuzustimmen, dann biete ich Ihnen an, dass wir das unter dem letzten Spiegelstrich aufnehmen. Dann nehmen wir nach den vorgelegten Vorschlägen genau das auf, was Sie in Ihrer Antwort auf Herrn Kollegen Fricke verlangt haben, indem wir den Zusatz Bankenabgabe und Financial Activities Tax in Klammern aufnehmen. Das können wir sofort mit aufnehmen, weil es genau das ist, was der IWF vorgelegt hat.

Springen Sie doch heute und nehmen Sie das Angebot an!

Ich möchte Ihnen noch einmal helfen. Ich darf mir erlauben, etwas zu zitieren, was längst im Internet veröffentlicht worden ist.

Herr Kollege Oppermann, ich will noch einmal in aller Ruhe versuchen, es deutlich zu machen. Es gibt einen Unterschied zwischen der Finanztransaktionsteuer und der Financial Activities Tax. Ich weiß nicht, ob Sie diesen Unterschied sehen. Das ist ein fundamentaler Unterschied. Das eine hat der IWF verworfen; das andere schlägt er vor. Wenn Sie Ihrer Verantwortung nachkommen und im Interesse Deutschlands dem Vorhaben zustimmen können, dann sagen wir Ja und kommen Ihnen auch entgegen. Aber springen Sie endlich! Stellen Sie sich Ihrer Verantwortung!

Wir haben doch ein gemeinsames Ziel. Es weiß jeder, dass wir diesen Spekulationen Einhalt gebieten müssen. Lassen Sie doch einen Augenblick die Vorurteile weg, die Sie selber haben. Wir müssen erkennen, dass wir - auch für unser Land - eine Aufgabe zu erfüllen haben.

Ich möchte Ihnen die Bewertung des IWF vortragen, zu der er in einer Studie gekommen ist. Sie ist mittlerweile im Internet nachzulesen. Zur Finanztransaktionsteuer heißt es dort, dass sie die Hauptursachen finanzieller Instabilität unberücksichtigt lässt. Eine Finanztransaktionsteuer würde keinem der wichtigen Faktoren Rechnung tragen, die systemische Risiken verursachen. Weiter heißt es in der Studie: Zweifellos würde ein Teil der Belastung von Inhabern und Managern der Finanzinstitutionen getragen. Aber ein großer Teil der Belastung würde an die Nutzer von Finanzdienstleistungen in Form von geringen Sparerträgen, höheren Kreditkosten beziehungsweise höheren Preisen für Endprodukte weitergegeben werden.

Was nutzt denn eine Regel, die am Ende Otto Normalverbraucher trifft, aber niemanden, der eigentlich haften sollte. Was Sie vorschlagen, ist doch grob unvernünftig. Dagegen wenden wir uns.

Es gibt Situationen, in denen man Haltung zeigen muss. Enthaltung ist keine Haltung.

Beschließen Sie im Deutschen Bundestag, was Sie wollen, legen Sie meinetwegen Anträge vor, in dem in jedem Schimpf und Schande über die Regierung ausgegossen wird, aber stehen Sie bei der Frage der Bürgschaft zu Ihrer Verantwortung, sagen Sie Ja! Wir sind Ihnen jetzt einen großen Schritt entgegengekommen. Jetzt liegt es an Ihnen, dass Sie Ihr Herz über die Hürde werfen, nicht für Sie, nicht für uns, nicht für die Wahl am Sonntag, sondern für unser Land und für unsere Bürger. Das ist die Voraussetzung dafür, dass Sie hier sitzen.


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Quelle:
Bulletin Nr. 50-2 vom 07.05.2010
Rede des Bundesministers des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle,
zum Währungsunion-Finanzstabilitätsgesetz vor dem Deutschen Bundestag
am 7. Mai 2010 in Berlin
Deutschen Bundestag am 7. Mai 2010 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Mai 2010