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REDE/411: Rainer Brüderle zum Haushaltsgesetz 2010, 21.01.2010 (BPA)


Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
"REGIERUNGonline" - Wissen aus erster Hand - 21.01.10

Rede des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie, Rainer Brüderle, zum Haushaltsgesetz 2010 vor dem Deutschen Bundestag am 21. Januar 2010 in Berlin:


Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!

Das Wachstum in Deutschland ist zurückgekehrt. Der Welthandel hat seine Lethargie überwunden, vor allem dank der Dynamik in Teilen Asiens. Davon profitiert die Exportnation Deutschland. Die Auftragsbücher füllen sich allmählich wieder. Die Zuversicht kehrt zurück. Aber ich möchte auch klar sagen: Wir werden noch zwei bis drei Jahre brauchen, bis wir das Wohlstandsniveau von 2008 wieder erreicht haben.

Es gibt jedoch ermutigende Signale. Der Arbeitsmarkt ist erstaunlich robust. Von Horrorszenarien sind wir weit entfernt. Dank Kurzarbeit, vernünftiger Abschlüsse der Tarifvertragsparteien auf dem Lohnmarkt und flexibler Regelungen sind die befürchteten noch stärkeren Auswirkungen gottlob ausgeblieben. Die Nettoreallöhne steigen das erste Mal seit fünf Jahren wieder an. Die Menschen haben also netto mehr im Geldbeutel. Deshalb lautet mein Appell an die Tarifpartner: Handeln Sie weiter so verantwortungsvoll! Es geht zuerst um die Sicherung von Beschäftigung. Daher sind maßvolle Tarifabschlüsse wichtig. Überzogene Lohnforderungen gefährden das zarte Konjunkturpflänzchen, zumal weitere Entlastungen von der Steuerseite kommen.

Wir legen den ersten Entwurf eines Bundeshaushalts der liberal-christlichen Koalition vor. Er steht im Zeichen des historischen Wachstumseinbruchs aus dem letzten Jahr. Die Bewältigung der Wirtschaftskrise rechtfertigt die enorme Neuverschuldung. Wir müssen den Rahmen weiter richtig setzen. Ab dem nächsten Jahr brauchen wir eine Exit-Strategie. Das heißt: Raus aus der massiven Beteiligung des Staates, runter mit den Ausgaben, runter mit der Staatsverschuldung!

Der neuen Regierung geht es um Wachstum, Leistung und Beschäftigung. Wir wollen Deutschland in die geordneten Bahnen der sozialen Marktwirtschaft zurückführen.

Als Erstes entlasten wir die Familien mit Kindern. Hart arbeitende Mütter und Väter bekommen netto mehr. Sie haben es verdient. Familien sind Leistungsträger. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Für die Erhöhung des Kindergeldes sind 4,2 Milliarden Euro und für die Erhöhung des Kinderfreibetrags 0,4 Milliarden Euro etatisiert. So kann kein falscher Eindruck in der Diskussion entstehen.

Die liberal-christliche Koalition hat zudem dafür gesorgt, dass im Erbrecht Bruder und Schwester nicht mehr wie Fremde behandelt werden. Familienmitglieder, die sogar über den Tod hinaus füreinander einstehen, sollen nicht durch den Fiskus bestraft werden.

Steuerpolitik ist auch Gesellschaftspolitik. Bei der Steuerpolitik geht es nicht nur um konkrete Entlastungen. Es geht um das Verhältnis zwischen Staat und Bürger, zwischen Privat und Staat, zwischen eigenverantwortlicher Entscheidung und Kollektiventscheidung. Hier wollen wir eine andere Balance. Wir wollen keinen sozialen Untertan. Wir wollen freie, mündige Bürger. Die Menschen wissen selbst am besten, was sie mit ihrem Geld machen wollen. Eine vernünftige Steuerpolitik ist auch immer Freiheitspolitik.

Eines ist allen in der Koalition klar: Wir werden sparen müssen. Im Haushalt des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie gibt es übrigens schon ein leichtes Signal zur Konsolidierung. Gegenüber dem ersten Regierungsentwurf sinkt das Volumen dieses Einzelhaushalts leicht ab. Es ist aber auch klar: Wir werden nicht den Versuch machen, über Steuererhöhungen den Haushalt zu sanieren. Durch Wachstum sanieren und durch Sanieren wachsen, das ist die Konsolidierungsstrategie der Regierung.

Steuersenkungen und Haushaltssanierung sind zwei Seiten derselben Medaille.

Ohne Wachstum gibt es keine Konsolidierung. Aber ohne Konsolidierung gibt es auch weniger Wachstum, denn die Menschen müssen darauf vertrauen können, dass die Entlastung nachhaltig ist und dass die Schulden von heute nicht die Steuern von morgen sind. Deshalb gehört beides zwingend zusammen.

Sozialdemokratische Finanzminister haben 250 Milliarden Euro Schulden gemacht; da ist die Erblast aus diesem Jahr noch nicht mitgerechnet. Zu oft wurde dabei probiert, den Haushalt über Steuererhöhungen zu sanieren. Gelungen ist es nicht.

Jetzt wärmt die SPD den alten Vorschlag einer Vermögensteuer wieder auf. Sozialdemokraten wollen offenbar an die Unternehmenssubstanz.

Wir haben das Gegenteil gemacht. Wir haben die Besteuerung der Unternehmenssubstanz entschärft. Bei den Unternehmenssteuern beseitigen wir die größten Schnitzer. Ich nenne nur die Stichworte Zinsschranke und Zurechnung bei der Gewerbesteuer. Auch die Erbschaftsteuer wird mittelstandsfreundlich verändert. Die Voraussetzungen für eine steuerliche Verschonung des Betriebsvermögens werden deutlich verbessert. Damit erleichtern wir den Betriebsübergang und die Erhaltung von Familienbetrieben, die gesellschaftspolitisch ganz besonders wichtig sind. All dies ist konkrete Politik für den Mittelstand.

Der Mittelstand muss weiter investieren können. Manchmal geht es derzeit um überlebensnotwendige Liquidität. Es darf keine Kreditklemme geben. Da sind zunächst die Banken in der Verantwortung. Das Wirtschaftsministerium hilft den Unternehmen mit dem Wirtschaftsfonds Deutschland. Der Fonds hat über 10.000 Unternehmen unterstützt. Das hat geholfen, 200.000 wettbewerbsfähige Arbeitsplätze zu sichern. Da sind die Auswirkungen der KfW-Hilfen noch nicht mitgerechnet. Damit wurden 700.000 Arbeitsplätze gesichert. Über 50 Prozent der Kreditsummen entfallen auf mittelständische Unternehmen.

Aber wir gehen noch weiter. Ich nenne das Stichwort Kreditmediator. Es wird aus dem Ansatz des Wirtschaftsministeriums ein Arbeitsstab finanziert; das ist gut angelegtes Geld. Der Mediator soll - die Franzosen haben gute Erfahrungen damit gemacht - zwischen betroffenen mittelständischen Unternehmen und Banken vermitteln. Er macht keine Kreditprüfung und vergibt auch keine Kredite, sondern soll Strukturen klären, helfen, falsche Einschätzungen zu beseitigen, und damit versuchen, das Aufkommen einer Kreditklemme zu verhindern. Er soll ein unabhängiger Partner von Banken und Unternehmen sein, der zwischen ihnen, zwischen Angebot und Nachfrage vermittelt.

Ich bin übrigens erstaunt über die vereinzelte Kritik aus Kreisen der SPD. Immerhin stand die Forderung nach einem Kreditmediator im Deutschlandplan des Kanzlerkandidaten. Manchmal, Herr Heil, habe ich den Eindruck, dass Teile der SPD in elf Wochen vergessen, was sie in elf Jahren an Regierungspolitik in Deutschland gemacht haben.

Der neue Haushalt des Wirtschaftsministeriums steht unter der Überschrift "Zukunft, Technologie und Innovation". 2,3 Milliarden Euro fließen in die Technologieförderung. Wir geben mehr Geld für Forschung und Entwicklung aus als für Kohlehilfe. Das ist etwas Neues in Deutschland. Wir investieren in helle Köpfe statt in dunkle Schächte. Wir investieren in die Zukunft, nicht in die Vergangenheit.

Wenn Deutschland auch zukünftig an der Spitze sein will, müssen wir unser Wachstumspotenzial steigern. Darin liegt eine der strategischen Größen. Das Wachstum des Produktionspotenzials ist mit 0,75 Prozent bis eins Prozent in Deutschland zu niedrig; wir hatten früher zwei Prozent bis drei Prozent. Das müssen wir steigern, denn das ist die nachhaltige Perspektive. Da muss Innovations- und Technologiepolitik ansetzen.

Ich will zwei Bereiche aus dem Wirtschaftsministerium exemplarisch ansprechen: die Informations- und Kommunikationstechnologie sowie die Elektromobilität. Bei beiden geht es um Vernetzung, Infrastruktur und neue Wertschöpfungsketten.

Das A und O bei der Informations- und Kommunikationstechnologie ist der Breitbandausbau. Wir brauchen in allen Gewerbegebieten nicht nur gute Verkehrsanbindungen, sondern auch ein schnelles Internet.

Die Erwartungen an die Telekommunikationsunternehmen sind entsprechend groß. Die weißen Flecken auf der Breitbandlandkarte müssen beseitigt werden. Die Bundesregierung flankiert hier mit Geld und auch dadurch, dass sie durch ein Auktionsverfahren Frequenzen für zusätzliche Angebote und Anwendungsmöglichkeiten freigibt. Daneben geht es um neue Möglichkeiten, intelligente Stromnetze zu nutzen. Das hat positive Auswirkungen bis hin zum Klimaschutz. Für Informations- und Kommunikationstechnologien sind 118 Millionen Euro vorgesehen.

Elektromobilität ist das zweite Schwerpunktthema. Deutschland hat das Automobil einst erfunden. Wir müssen es neu erfinden, mit einer anderen Antriebstechnologie. Die Elektromobilität ist der Ansatz dafür. 500 Millionen Euro werden für den Themenschwerpunkt Mobilität bereitgestellt.

Dabei geht es um weit mehr als um die Ersetzung des Verbrennmotors durch den Elektromotor. Wir brauchen neue Schnittstellen zwischen Stromnetzen und Autos. Hier liegen große Chancen für unsere Industrie. Ich erwarte hiervon einen weiteren Innovationsschub, durch den viele Bereiche unterstützt würden. Das Wirtschaftsministerium und das Verkehrsministerium werden in Kürze eine gemeinsame Geschäftsstelle Elektromobilität eröffnen. Dadurch erhält dieses Thema zusätzlichen Schwung. Das Ziel ist eine Million Elektrofahrzeuge in Deutschland im Jahr 2020. Mit Innovationen und einer besseren Mittelstandstechnologie können wir gestärkt aus der Krise hervorgehen.

Lassen Sie mich aus aktuellem Anlass - ich denke an die heutige Presseberichter-stattung - etwas zu unserem Konzept, das Wettbewerbsrecht zu novellieren und ihm das Instrument der Entflechtung hinzuzufügen, sagen. Anders als berichtet, wird diese Regelung für alle Branchen der Wirtschaft gelten. Das ist keine Regelung für einen Sektor, sondern generell ein letztes Mittel - die Amerikaner kennen den "Sherman Antitrust Act" seit über 100 Jahren -, um klare Signale zu setzen. Mit anderen Worten: Wenn es beim "Monopoly" zu toll getrieben würde, hätte die Gemeinschaft ein Instrument, um korrigierenden Einfluss auszuüben. Deshalb soll dieses Instrument in das Kartellrecht aufgenommen werden.

Lassen Sie mich eine weitere Anmerkung zur Energiepolitik machen. Wir alle wollen in das Zeitalter der regenerativen Energien eintreten, und zwar möglichst schnell. Wir wollen über die Verlängerung der Laufzeit von Kernkraftwerken als Brückentechnologie zusätzliche Mittel generieren, um diesen Umstieg schneller zu bewerkstelligen. Mehr Gelder sollen in Forschung und Entwicklung fließen, etwa in die Speichertechnologien. Wir werden die regenerativen Energien bei diesem Umbau letztlich nur dann umfassend nutzen können, wenn wir eine entsprechende Speichertechnologie haben. Der Wind weht nicht immer dann, wenn wir das Licht einschalten. Deshalb ist hier ein weiterer Schwerpunkt zu setzen. Dadurch sollen viele Sektoren befruchtet werden.

Das Ziel ist ambitioniert. Wir wollen bis zur Sommerpause Klarheiten haben. Im Herbst, spätestens Ende Oktober, wollen wir ein Energiekonzept, das einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt, vorlegen, was in elf Jahren zuvor nicht geschafft wurde: Weder die Große Koalition noch Rot-Grün haben ein solches Energiekonzept vorgelegt. Es ist Zeit, ein solches Konzept vorzulegen: Auch auf europäischer Ebene wird über die Erarbeitung eines solchen Konzepts diskutiert. Deshalb muss das auf nationaler Ebene geklärt sein. Der Ansatz ist, zusätzliche Mittel zu generieren. Brückentechnologien brauchen wir, weil wir nicht schnell genug über eine ausreichende Menge an Zukunftstechnologien verfügen können. Bis dies der Fall ist, ist ein längerer Weg zu beschreiten. Das Ziel - auch andere verfolgen es; das gebe ich zu - wird schneller erreicht, wenn wir in dem geplanten Umfang zusätzliche Mittel investieren. Ganz ohne Geld lassen sich Forschung und Entwicklung nicht voranbringen.

Ich bitte Sie um Unterstützung meines Haushalts.


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Quelle:
Bulletin Nr. 07-2 vom 21.01.2010
Rede des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie, Rainer Brüderle,
zum Haushaltsgesetz 2010 vor dem Deutschen Bundestag am 21. Januar 2010 in Berlin
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Januar 2010