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MEINUNG/029: Bofinger - Druck auf Krisenländer hilft nicht ... (idw)


Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin - 17.05.2013

Bofinger: Druck auf Krisenländer hilft nicht - nur die Überwindung des schwäbischen Denkmodells



"Wir exportieren inzwischen schon Erdbeeren und Spargel, weil die Löhne in Deutschland so gering sind", echauffierte sich Dr. Sahra Wagenknecht während eines Streitgesprächs mit Prof. Dr. Peter Bofinger über wirtschaftliche und politische Alternativen für ein sozialeres Europa am Donnerstagabend in der Hochschule für Wirtschaft und Recht (HWR) Berlin. Mit dem bisherigen Kurs der Bundesregierung und "nach den Gesetzen der Ökonomie steuern wir den Euro gegen die Wand", prognostiziert Bofinger.

Der Professor von der Universität Würzburg zählt zu den profiliertesten Ökonomen Deutschlands und ist einer der "Fünf Wirtschaftsweisen", der als Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel Empfehlungen ausspricht.

Mit dem bisherigen Kurs der Bundesregierung und "nach den Gesetzen der Ökonomie steuern wir den Euro gegen die Wand", prognostiziert Bofinger. Doch da er wisse, dass "Frau Merkel zu Paradigmenwechseln fähig ist", hege er Hoffnung und halte Wunder für möglich. Dafür müssten jedoch zum Beispiel die deutsche "Lohnzurückhaltung" schnellstmöglich überwunden und die europäischen Problemländer nicht weiter in die Deflation getrieben werden.

Deutsche Steuerzahler profitieren von der Krise und den niedrigen Zinsen, aber das sei ein gefährlicher Gewinn auf Zeit, genau wie die massiv betriebene deutsche Politik des Schuldenabbaus. "Das Denken der schwäbischen Hausfrau ist nur schwer zu überwinden: Ich muss mit dem, was ich habe auskommen, die anderen sollen das auch." Aus makroökonomischer Sicht sei das fatal. Es gibt keine Alternative zur Gemeinschaftshaftung der Länder innerhalb der Eurozone, ist Bofinger überzeugt. Nur eine reduzierte Vernetzung der Banken verhindere Dominoeffekte und verringere das Erpressungspotential auf die Märkte und Staatsführungen.

Die stellvertretende Parteivorsitzende und 1. stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Linken, Dr. Sahra Wagenknecht, ging noch deutlich weiter und forderte die komplette Abschaffung der Großbanken, die als "Wettbuden" ihre originären Aufgaben schon längst nicht mehr erfüllten und mit dem Euro "Staatscasino" betrieben. Sie forderte mit Nachdruck eine Gläubigerhaftung. Überhaupt will Wagenknecht mehr Regulierung und Kontrolle in allen Bereichen der Finanzmärkte und der Finanzpolitik. Das reicht von direkten Krediten der Zentralbank an Krisenländer statt an "Zockerbanken" bis zu einer heftigen Vermögensabgabe über europäische Grenzen hinweg. Dafür brauche es den Willen zur Kontrolle des Kapitalverkehrs, um die spekulativen Geldströme zu stoppen. Leiharbeit und Werkverträge gehörten sofort abgeschafft, Mindestlöhne eingeführt, forderte die Politikerin. Bofinger warnte dagegen vor Kapitalverkehrskontrollen. Wer sie einführe, müsse auch wieder Schlagbäume an den Grenzen errichten.

Am vehementesten warnten beide Gesprächspartner vor einem unkontrollierten Auseinanderbrechen der Währungsunion. Die Troika - das Kontrollgremium aus Vertretern der EZB, des IWF und der EU-Kommission - diktiere den wirtschaftlich angeschlagenen Euroländern "barbarische Kürzungen" auf, mit gravierenden sozialen Folgen, warnte Wagenknecht. Das halte keine Demokratie auf Dauer aus. Doch auch bei der spontanen Rückkehr zu alten Landeswährungen seien sozialer Unfrieden in Europa und der Machtausbau radikaler Kräfte vorprogrammiert. Der stärkste Eurozahler sei gleichzeitig auch der stärkste Euro-Profiteur und habe am meisten zu verlieren. "Wir haben das größte Interesse, dass der Euro bleibt - das müssen wir in Deutschland erkennen", mahnte Bofinger vor einer großen Zuhörerschaft an der Berliner Wirtschaftshochschule.

Zu dem Streitgespräch unter dem Titel "Ist der Euro noch zu retten?" hatte das Studium Generale der HWR Berlin eingeladen. Moderiert wurde die Podiumsdiskussion von der Wirtschaftskorrespondentin der taz.die tageszeitung, Ulrike Herrmann.


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin, Sylke Schumann, 17.05.2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Mai 2013