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INTERNATIONAL/254: Afghanistan - Wirtschaftsentwicklung als Transitland, Regierung setzt auf Nachbarländer (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. März 2015

Afghanistan: Wirtschaftsentwicklung als Transitland - Regierung setzt auf die Nachbarländer

von Kanya D'Almeida



Bild: © Giuliano Battiston/IPS

Die Asiatische Entwicklungsbank (AsDB) hat 1,2 Milliarden Dollar in den Ausbau von Straßen, Eisenbahnlinien und in Flughafenprojekte investiert
Bild: © Giuliano Battiston/IPS

New York, 30. März (IPS) - Einst Mittelpunkt der Seidenstraße, später Epizentrum blutiger Konflikte: Die Geschichte Afghanistans wird von zahlreichen Hochs und Tiefs geprägt. Ein neues Kapitel hat das zentralasiatische Land im letzten Jahr mit der Wahl von Ashraf Ghani zum neuen Präsidenten aufgeschlagen. Dem ehemaligen Finanzminister kommt die wenig beneidenswerte Aufgabe zu, den am Tiefpunkt angelangten Staat aus der Krise zu führen.

Die Herausforderungen sind immens und vielfältig: Die Jugendarbeitslosigkeit betrifft eine Million Menschen, der Opiumhandel boomt und die Narben der mehr als zehnjährigen US-Besatzung sind noch lange nicht verheilt. Hinzu kommt ein Ausmaß an Korruption, das die Organisation 'Transparency International' veranlasst hat, das Land auf seinem Korruptionsindex auf dem viertletzten Platz zu führen. Schlechter schneiden nur noch Nordkorea, Somalia und der Sudan ab.

Weitere schwerwiegende Probleme sind eine hohe Armutsrate, die 36 Prozent der 30,5 Millionen Menschen betrifft, und die Gefahr, dass der religiöse Fanatismus in den Nachbarländern über die afghanischen Grenzen schwappt.

Trotz aller Schwierigkeiten verfügt das Land über wichtige Voraussetzungen, um sich aus der Klammer der wirtschaftlichen Not zu befreien. So ist Afghanistan reich an Metallen und Mineralien, Wasser und Agrarland. Seit langem werfen ausländische Investoren ihren begehrlichen Blick auf diese Ressourcen.

Die 'New York Times' bezeichnete Afghanistan unter Berufung auf ein Memorandum des US-Pentagons als 'das Saudi-Arabien für Lithium', ein Leichtmetall, das überwiegend zur Herstellung von Batterien verwendet wird und in der Glas- und Porzellanindustrie zum Einsatz kommt. Zudem verfügt das Land über das Potenzial, zum weltgrößten Kupfer- und Eisenproduzenten der Welt zu werden. Der Wert der Lagerstätten wird auf bis zu einer Billion US-Dollar geschätzt.

Ferner ist Afghanistan aufgrund seiner geopolitischen Lage als Brückenglied zwischen Asien und Europa interessant. Im Sinne des gegenseitigen Wohls bemüht sich die Regierung zunächst um Unterstützung der unmittelbaren Nachbarländer.


Regionale Integration

Ghani hat die afghanischen Entwicklungspläne auf einem Treffen der US-amerikanischen Denkfabrik 'Council on Foreign Relations' (CFR) in New York vorgestellt und die Rolle des Kaukasus, Pakistans und Chinas im afghanischen Transformationsprozess erläutert.

"In den nächsten 25 Jahren wird sich Asien zur größten kontinentalen Wirtschaftsmacht entwickeln", betonte er. "Was den USA 1869 mit der kontinentalen Eisenbahn gelang, wird sich aller Voraussicht nach in Asien in den nächsten 25 Jahren wiederholen. Ohne Afghanistan lassen sich Zentral-, Ost- und Westasien nicht miteinander verbinden."

Wie er weiter erklärte, soll Afghanistan zu einem Transitland für Transport, Stromübertragung, Gasleitungen und Glasfaserkabel werden. Für den Transport eines Großteils der afghanischen Produkte sei ein robustes Eisenbahnnetz erforderlich. "Wir hoffen, dass es uns in drei Jahren gelingt, unsere Waren binnen fünf Tagen nach Europa zu schaffen. Die kaspische Region ist für unsere Wirtschaft somit höchst bedeutungsvoll. Über sie wollen wir in den kommenden drei Jahren 70 Prozent unserer Im- und Exporte abwickeln."

Auch Straßenverbindungen sind für den Wiederaufstieg Afghanistans von zentraler Bedeutung. Die Asiatische Entwicklungsbank (AsDB) hat bereits die Grundvoraussetzungen geschaffen, indem sie mit Afghanistan Kreditabkommen im Wert von 130 Millionen US-Dollar zur Finanzierung einer neuen Straßenverbindung geschlossen hat, die einen neuen Ost-West-Korridor bis nach Tadschikistan und darüber hinaus erschließen wird.

Wie Thomas Panella, AsDB-Länderdirektor für Afghanistan, gegenüber IPS erklärte, sollen die von der AsDB finanzierten Transport- und Energieinfrastrukturprojekte die regionale wirtschaftliche Zusammenarbeit fördern. Bisher wurden im Rahmen des Programms für Zentralasiatische Regionale Wirtschaftszusammenarbeit (CAREC) 2,6 Milliarden Dollar in Transport, Handel und Energie investiert. 15 Vorhaben laufen noch, zehn wurden bereits abgeschlossen.

"Im Transportsektor werden derzeit sechs Projekte durchgeführt. Acht, inklusive einer 75 Kilometer langen Eisenbahnstrecke, die Hairatan an der Grenze zu Usbekistan mit Mazar-e-Sharif in Afghanistan verbindet, konnten abgeschlossen werden", fügte Panella hinzu.

Der afghanische Transportsektor hatte während der US-Besatzung 22 Prozent des nationalen Bruttoinlandsproduktes (BIP) verschlungen. Die Ausgaben standen in erster Linie mit der Präsenz ausländischer Truppen im Zusammenhang.

Inzwischen ist der Sektor zwar geschrumpft, wird aber aller Voraussicht nach aufgrund der AsDB-Kredite wieder zunehmen. Die letzten vorliegenden Zahlen vom 31. Dezember 2013 belegen, dass die regionale Entwicklungsbank 1,9 Milliarden Dollar in Initiativen zum Bau oder zur Ausbesserung nationaler oder regionaler Straßen über eine Gesamtstrecke von 1.500 Kilometern verwendet hat. Weitere 31 Millionen Dollar sind in den Ausbau von vier afghanischen Flughäfen geflossen. Ihr Flugaufkommen hat sich seither verdoppelt.

Insgesamt hat die AsDB seit 2002 3,9 Milliarden Dollar an Krediten, Zuschüssen und technischer Hilfe für Afghanistan bereitgestellt. Panella zufolge hat die Bank für 2014 zudem 335,18 Millionen Dollar aus dem Asiatischen Entwicklungsfonds (ADF) an Afghanistan ausgezahlt. Für 2015 und 2016 ist die Auszahlung weiterer Darlehen in Höhe von 167,59 Millionen Dollar jährlich vorgesehen.


Investitionen aus China und Indien

Auch China, das sich bereits einen Anteil an einer der wichtigsten Kupferminen des Landes gesichert hat und in den Erdölsektor investiert, tritt als Kreditgeber in Erscheinung. Die 330 Millionen Dollar, die die Volksrepublik an Hilfe und Krediten zugesagt hat, werden Ghani zufolge ausschließlich für den Ausbau der Infrastruktur und die "Verbesserung der Umsetzungsvoraussetzungen" verwendet werden.

Sowohl Indien, über private Unternehmen, als auch China, über staatliche Betriebe, haben nach Aussagen Ghanis "einen bemerkenswerten Beitrag" zu der jungen und unerfahrenen Volkswirtschaft Afghanistans geleistet. Auch hob der afghanische Staatspräsident die Leistungen der Golfstaaten und Aserbeidschans hervor, seinem Land zu helfen. Doch der Weg verspricht steinig zu werden.

Wie der Afghanistan-Experte Anand Gopal, Autor des preisgekrönten Buches 'No Good Men Among the Living', betonte, haben in Afghanistan vor allem eine mächtige Fraktion der lokalen Elite und die internationalen Gemeinschaft von der auswärtigen Hilfe profitiert. "Die Schulen und Kliniken, die mit Hilfe der internationalen Gemeinschaft entstanden sind, sind baufällig. Es ist offensichtlich, dass sich die lokalen Warlords einen Teil vom Kuchen abgeschnitten haben. Sie konnten sich durch die Hilfe sogar eine Finanzierungsbasis schaffen und an Stärke zulegen."

Obwohl der Zustrom dieser Hilfsgelder unterbrochen ist, wird es nicht einfach sein, das System zu demontieren, das den Transfer der Gelder in die Taschen der mächtigen und politischen Eliten ermöglicht hat. Gopal zufolge geht es weniger um das Wohl der Gemeinschaften, sondern um die Entwicklung der Privatindustrie und der privaten Vertragspartner.

"Wenn man es mit einem Staat zu tun hat, der nicht in der Lage ist, eigene Einkünfte zu generieren und auf ausländische Hilfe angewiesen ist, um diese Projekte umsetzen zu können, [...], sollte eigentlich der erste und direkte Schritt darin bestehen, die natürlichen Ressourcen zu nationalisieren und als finanzielle Grundlagen zur Entwicklung der Wirtschaft, zum Aufbau der Kapazitäten der lokalen Gemeinschaften und zum Überleben des afghanischen Staates von innen heraus einzusetzen."


Ressourcenreichtum geht an Bevölkerung vorbei

Doch stattdessen werde dieses unglaubliche Potenzial verschleudert, indem chinesische und andere Unternehmen profitierten. "Alles zu privatisieren und zu hoffen, dass der Nutzen nach unten durchsickert, ist eine sehr neoliberale Denkweise", fügte Gopal hinzu. "Doch wie wir überall auf der Welt beobachten können, bleibt der Trickle-Down-Effekt aus, und die Menschen, denen geholfen werden müsste, gehen leer aus, während sich andere bereichern."

Vielmehr hätten sich Versuche, das Wachstum in Konfliktstaaten zu stimulieren und die Kluft zwischen Arm und Reich zu verringern, indem die Mittel in den Rohstoffsektor oder große Entwicklungsprojekte investiert worden seien, von Papua-Neuguinea über Kolumbien bis in den Tschad als fatal herausgestellt. Anstatt die Armut zu begrenzen und lokale Gemeinschaften zu stärken, wurde die indigene Bevölkerung noch ärmer, nahm die geschlechtsbedingte Gewalt zu und konzentrierte sich der Wohlstand in immer weniger Händen. Gopal wirbt für einen Ansatz, der eine direkte Finanzierung der lokalen Gemeinschaften ermöglicht und verhindert, dass sich Mittelsmänner bereichern können.

Es bleibt abzuwarten, ob die Pläne der Regierung aufgehen werden, die Folgen der ausländischen Besatzung und Jahrzehnte der politischen Instabilität zu überwinden. Es besteht allerdings die Gefahr, dass Afghanistan rasch zu einem neuen Spiel- wenn nicht gar Schlachtfeld der aufstrebenden Wirtschaftsmächte werden könnte. (Ende/IPS/kb/2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/03/afghanistans-economic-recovery-a-new-horizon-for-south-south-partnerships/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. April 2015

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