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INTERNATIONAL/232: Den Menschen in den Mittelpunkt rücken - Ecuadors Präsident fordert Umdenken (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. Oktober 2014

Entwicklung: Den Menschen in den Mittelpunkt rücken - Ecuadors Präsident Correa fordert Umdenken

von Ravi Kanth Devarakonda



Genf, 28. Oktober (IPS) - Ecuadors Staatspräsident Rafael Correa nimmt kein Blatt vor den Mund, wenn er Kritik an der internationalen Handelspolitik übt. "Neoliberale Strategien, die auf der so genannten Wettbewerbsfähigkeit, auf Effizienz und auf der Flexibilisierung des Arbeitsmarktes gründen, haben dem Imperium Kapital geholfen, auf Kosten der menschlichen Arbeit zu prosperieren", sagte er im Rahmen der 15. 'Raul-Prebisch-Vorlesung' in Genf.

Die UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) veranstaltet seit 1964 die nach ihrem früheren Generalsekretär benannte Veranstaltungsreihe, in der sich prominente Persönlichkeiten zu aktuellen Themen aus diesen Gebieten äußern.

Correa sprach über die Bemühungen seines Landes, zu einem Vorbild für gleichberechtigte und nachhaltige Entwicklung zu werden. Entwicklung sei "ein politischer Prozess und keine Gleichung, die mit Kapital gelöst werden kann". Der Staatschef plädierte für sozio-ökonomische und kulturelle Strategien, die sich an den Menschen ausrichten, um die Lebensbedingungen Millionen Armer zu verbessern. Im Sinne einer neuen regionalen Finanzarchitektur schlug er vor, eine Bank und einen Reservefonds für südamerikanische Länder einzurichten.


Maßnahmen gegen Dollarisierung der Wirtschaft

"Wir müssen die Dollarisierung unserer Volkswirtschaften rückgängig machen und verhindern, dass unser Wohlstand weiterhin in die USA transferiert wird, wo er US-Schatzanweisungen finanziert", erklärte er. Auf diese Weise hätten mehr als 800 Milliarden US-Dollar die lateinamerikanischen Länder verlassen. "Das ist untragbar."

Die auf das Wohl der Menschen ausgerichteten Strategien seines Landes hätten seit 2007 eine Verbesserung des ecuadorianischen Indexes für menschliche Entwicklung (HDI) mit sich gebracht, versicherte der Präsident. Der HDI, der alljährlich vom UN-Entwicklungsprogramm UNDP veröffentlicht wird, bietet Zahlen zur Lebenserwartung, zum Bildungsstand und zur Einkommensentwicklung. Ecuadors HDI-Wert für 2012 beträgt 0,724. Damit liegt das Land unter 187 Staaten an 89. Stelle, wie aus dem von UNDP-Bericht über menschliche Entwicklung 2013 hervorgeht.

Wie Correa weiter hervorhob, haben Investitionen in den Straßen- und Brückenbau, in Stromnetze, Telefonleitungen, Wasserversorgung, Schulen, Krankenhäuser und in die rechtlichen Institutionen des Landes dazu geführt, dass auch der private Sektor von den Entwicklungsbemühungen profitieren kann.


In Bildung und Gleichberechtigung ethnischer Randgruppen investiert

"Die Great-Depression-Politik des früheren US-Präsidenten Herbert Hoover, die auf Sparmaßnahmen fußt, treibt die Menschen weiterhin in die Armut. Zur gleichen Zeit kommen die Banken, die 2008 die schlimmste Wirtschaftskrise verschuldet haben, in den Genuss von Vorteilen, weil das Kapital regiert. Ecuador hat erfolgreich viele Hürden überwunden, weil sich die Politik auf die Menschen bezieht", so Correa. Indem öffentliche Finanzmittel in den Bildungssektor und in Sonderprojekte für Indigene und Afro-Ecuadorianer gesteckt würden, zeige sich, dass die Gesellschaft den kapitalorientierten Strategien ein Ende setzen könne.

"Wir müssen die internationalen Machtverhältnisse verändern, um die neokoloniale Abhängigkeit zu überwinden", erklärte Correa in seinem Vortrag. "Globalisierung bedeutet die Suche nach Konsumenten in aller Welt und dient nicht dem Wohl der Bürger."

Der ecuadorianische Präsident sieht die Entwicklungsländer durch das gegenwärtige internationale Handelssystem übervorteilt. Es habe den Industriestaaten dabei geholfen, ihre Strategien der Ungleichheit voranzutreiben und willkürlich errichtete Barrieren aufrechtzuerhalten. Er forderte die Entwicklungsländer auf, autonome Industrialisierungsstrategien umzusetzen, so wie es die USA vor mehr als zwei Jahrhunderten unter Alexander Hamilton, dem Finanzminister des ersten Präsidenten George Washington, getan hätten. Damals hätten die USA keine Importe aus Großbritannien über ihre Grenzen gelassen.

Correa bezog sich auf das Buch 'Bad Samaritans: The Myth of Free Trade and the Secret History of Capitalism' des in Cambridge lehrenden Ökonomen Ha-Joong Chang, als er erklärte, dass eine Protektionspolitik für das Fortkommen von Entwicklungsländern essentiell sei. Diese befänden sich derzeit in einem ähnlichen Stadium der Wirtschaftsentwicklung wie einst die USA zu Hamiltons Zeiten.


'Importsubstituierende Industrialisierung' empfohlen

Einen Lösungsansatz erkennt Correa in der so genannten 'importsubstituierenden Industrialisierung' (ISI). "Die Entwicklungsländer müssen für eine ordnungsgemäße Umsetzung der ISI-Strategien Sorge tragen, weil die Regierungen in der Vergangenheit dabei Fehler gemacht haben." Freier und ungehinderter Handel sei ein Denkfehler, der auf den 'Washingtoner Konsens' und neoliberale Wirtschaftsstrategien zurückzuführen sei. Die USA und andere Staaten verteidigten zwar den Freihandel, hielten aber weiterhin Einfuhrbeschränkungen für Waren aus Entwicklungsländern aufrecht.

Zum globalen Schutz von Urheberrechten und Patenten erklärte Correa, die geltenden Regeln seien der Entwicklung aller Länder nicht zuträglich. Diese Rechte müssten dem übergeordneten Gemeinwohl dienen. Zurzeit sei eine gleichberechtigte Entwicklung beispielsweise bei der Teilung genetischer Ressourcen jedoch nicht möglich. In diesem Zusammenhang dürften die Entwicklungsländer nicht zulassen, dass anonyme internationale Schlichter Regeln aufstellten, die ihre "Souveränität" gravierend unterminierten, sobald transnationale Unternehmen vor Gericht zögen.

Correa sprach sich zudem für eine freie Gewerkschaftsbewegung aus, die sich auf Augenhöhe mit dem Kapital befinden soll. "Während sich das Kapital ohne Kontrollen bewegen und der internationalen Wirtschaft schaden kann, wird die Arbeiterbewegung kriminalisiert. Es ist absurd, dass auf Gewerkschaften mit Strafmaßnahmen reagiert wird, während die Regierungen Kapital ohne Barrieren willkommen heißen müssen."

Der Staatschef kritisierte zudem, dass die von dem Nobelpreisträger James Tobin 1981 vorgeschlagene Finanztransaktionssteuer auf internationale Devisengeschäfte bisher nicht eingeführt worden sei, weil die "Macht der Finanzindustrie" dies verhindert habe. Die ecuadorianische Sozial- und Wirtschaftspolitik hingegen habe zeigen können, dass es einen Weg hin zu einer gesunden Gesellschaft geben könne. "Der Papst ist ein Argentinier. Gott ist vielleicht ein Brasilianer. Doch das Paradies befindet sich in Ecuador." (Ende/IPS/ck/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/10/put-people-not-empire-of-capital-at-heart-of-development/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Oktober 2014