Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → WIRTSCHAFT

INTERNATIONAL/163: Argentinien - Industrie legt zu, Experten dringen auf Strukturwandel (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. Juli 2013

Argentinien: Industrie legt zu - Experten dringen auf Strukturwandel

von Marcela Valente


Bild: © Argentinisches Industrieministerium

Die Industrie leistet mit einem Anteil von 18,1 Prozent einen erheblichen Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt Argentiniens
Bild: © Argentinisches Industrieministerium

Buenos Aires, 24. Juli (IPS) - Die argentinische Industrie verzeichnet seit zehn Jahren einen bemerkenswerten Anstieg der Produktion, der Exporte und der Zahl neuer Arbeitsplätze. Doch damit sich dieser Trend in einem nachhaltigen Strukturwandel niederschlägt, empfehlen Experten umfangreiche Investitionen in die technologische Entwicklung und Weiterbildung.

Wie aus einem von der UN-Wirtschaftskommission für Lateinamerika und die Karibik (CEPAL) herausgegebenen Bericht hervorgeht, hat die Intensivproduktion in Argentinien in den letzten Jahren kräftig an Dynamik zugelegt. Demnach kann das südamerikanische Land in den Bereichen Wachstum, technischen Fortschritt, Beschäftigung und Armutsbekämpfung seit 2003 Fortschritte vorweisen, die ihresgleichen suchen.

Gleichzeitig betont die CEPAL-Exekutivdirektorin Alicia Bárcena im Vorwort des Buches 'Die neuen Herausforderungen und Möglichkeiten der argentinischen Industrie im 21. Jahrhundert' ('La industria argentina frente a los nuevos desafíos y oportunidades del siglo XXI') die Notwendigkeit, den Strukturwandel zu beschleunigen.

Mit diesem Ziel vor Augen analysieren derzeit etliche Fachleute die Herausforderungen, mit denen sich elf der 13 argentinischen Schlüsselindustrien konfrontiert sehen, die im Rahmen des 2011 von der argentinischen Mitte-Links-Regierung aufgestellten Strategieplans 2020 weiter vorangebracht werden sollen: die Produktion von Fahrzeugen, Medikamenten, Lederwaren, Kapitalgütern, Baumaterialien, Milcherzeugnissen, Agrarmaschinen, Computersoftware, Textilien, Geflügel- und Schweinefleisch.

Der Beitrag der Industrie zum argentinischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat sich von 16,7 Prozent im Jahre 2002 auf 18,1 Prozent 2010 erhöht. Die weiterverarbeiteten Erzeugnisse hatten 2010 einen Anteil an den Gesamtexporten des Landes von etwa 35 Prozent. In dem Untersuchungszeitraum ist die argentinische Wirtschaft um jährlich 7,5 Prozent gestiegen, in einigen Jahren sogar um zehn bis elf Prozent. Die Arbeitslosigkeit der wirtschaftlich aktiven Bevölkerung konnte dadurch von 19,7 Prozent auf 7,8 Prozent und die der im informellen Sektor Beschäftigten von 48 auf 33 Prozent gedrückt werden.


Rückkehr zur Rohstoff-Lastigkeit ausgeblieben

"Im Gegensatz zu anderen lateinamerikanischen Ländern hat sich Argentinien nicht zu einer Exportpolitik hinreißen lassen, die zur Vermarktung von Rohstoffen zurückkehrt", heißt es im CEPAL-Bericht mit Blick auf den seit Mai 2003 von dem damaligen Staatspräsidenten Néstor Kirchner umgesetzten Kurs, den seine Frau und Amtsnachfolgerin Cristina Fernández fortführt.

Dennoch betonten die Experten, dass das Land aufgrund des großen Rohstoffhungers der Industrie auch weiterhin vor großen Herausforderungen steht. Ein Strukturwandel der argentinischen Industrie sei nach wie vor erstrebenswert, meint der Ökonom Gabriel Yoel vom Industrieinstitut der staatlichen Nationalen General-Sarmiento-Universität. So müssten die Importe gedrosselt werden, um das Handelsdefizit des Landes zu verringern.

Yoel, einer der Koautoren des CEPAL-Reports, führt in dem Kapitel über die Automobilindustrie diesen Sektor als beispielhaft für das enorme industrielle Wachstum Argentiniens seit den 1970er Jahren an. Bis 1990 waren höchstens 300.000 Fahrzeuge pro Jahr produziert und weitgehend im Lande selbst verkauft worden. Doch dann - insbesondere seit der Integration Brasiliens in den Gemeinsamen Markt des Südens (MERCOSUR), dem Argentinien, Paraguay, Uruguay und inzwischen auch Venezuela angehören - setzte ein regelrechter Produktions- und Exportboom ein.

Inzwischen rollen jährlich durchschnittlich 800.000 Fahrzeuge vom Band, wie Yoel berichtet. Es müsse nun dafür gesorgt werden, dass die bislang noch immer aus dem Ausland eingeführten Autoteile in Argentinien selbst produziert würden.

Nach Ansicht von Fernando Porta, Wirtschaftexperte an der staatlichen Nationalen Quilmes-Universität, befindet sich die argentinische Industrie in einem "Reaktivierungsprozess". Dass viele Sektoren ein bemerkenswertes Wachstum und eine interessante Exportdynamik vorweisen könnten, könne nicht über das Ausbleiben eines tief reichenden Strukturwandels hinwegtäuschen.


Technologie-Gefälle zu reichen Ländern

Porta, der in dem CEPAL-Buch das Kapitel über die Pharmazieindustrie verfasst hat, ist ferner der Ansicht, dass sich zwischen Argentinien einerseits und den Industriestaaten und einigen Schwellenländern andererseits nach wie vor ein großer technologischer Abgrund auftut. In diesem Zusammenhang spricht er von einer "großen Heterogenität mit Inseln der Produktivität ohne Bezug zum weniger aktiven Rest". Es gelte im Sinne der Homogenität eine Entwicklungsstrategie zu fahren, die sich der Probleme eines jeden Sektors gezielt annehme.

Hierzu leistet das CEPAL-Buch einen ersten Beitrag. Es verdeutlicht anhand der durchaus erfolgreichen argentinischen Softwareindustrie den problematischen Mangel an Humanressourcen. Etwa die Hälfte der Nachfrage kann nicht aus eigener Produktion gedeckt werden. Der Bericht begrüßt zwar die Versuche des Staates, den Expertenmangel mit Hilfe von Ausbildungsstipendien zu beheben, doch rückten Fachkräfte nur langsam auf.

Im pharmazeutischen Bereich ist Argentinien traditionell gut aufgestellt. Das gilt jedoch vor allem für die Medikamentenproduktion und weniger für die Bereiche Forschung und Entwicklung. Fortschritte auf diesen beiden Gebieten seien aber wichtig, um das argentinische Handelsdefizit zu verringern. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://archivo.cepal.org/pdfs/2013/S2013348.pdf
http://www.ipsnoticias.net/2013/07/industria-argentina-se-mira-al-espejo/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 24. Juli 2013
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Juli 2013