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INTERNATIONAL/104: Nahost - Düstere Wirtschaftsperspektiven für Gazastreifen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 11. September 2012

Nahost: Düstere Wirtschaftsperspektiven für Gazastreifen - 80 Prozent der Fabriken zu

von Eva Bartlett


Die ehemalige Textilfabrik von Rizik Al-Madhoun - Bild: © Eva Bartlett/IPS

Die ehemalige Textilfabrik von Rizik Al-Madhoun
Bild: © Eva Bartlett/IPS

Jabaliya, Gazastreifen, 11. September (IPS) - Der Gazastreifen wird bis 2015 ein moderates Wirtschaftswachstum verzeichnen und doch sind die Menschen dann immer noch schlechter dran als Mitte der 1990er Jahre. Zu diesem Ergebnis kommt ein Bericht, den die Vereinten Nationen unlängst unter dem Titel 'Gaza in 2020 - A Liveable Place?' herausgegeben haben. Was das für den einzelnen Lokalunternehmer bedeutet, schildert Rizik Al-Madhoun. In dem spartanischen Büro seiner stillgelegten Textilfabrik schildert der 41-Jährige den Niedergang seines Werkes seit 2006.

"Wir begannen 1993 mit sieben Nähmaschinen. 2005 hatten wir schon 250 Maschinen und ebenso viele Näher", erinnert er sich. "Als aber vor sechs Jahren die Hamas die Wahlen gewann und Israel die Grenzen schloss, mussten wir die Fabrik zur Hälfte stilllegen. 2007 haben wir die gesamte Produktion eingestellt, als Israel die Belagerung verstärkte."

Bis 2008 stellten 97 Prozent aller Industrieanlagen aufgrund der Abriegelung des Gazastreifens ihre Produktion ein. Die Importe reduzierten sich, exportiert wurde so gut wie nichts mehr. Die UN berichtete im Dezember 2007, dass nur noch ein Prozent der 960 Textilfabriken im Gazastreifen in Betrieb war.

Zurzeit sind etwa 80 Prozent der Industrieanlagen in dem Gebiet entweder geschlossen oder arbeiten eingeschränkt. "Bis 2005 lief alles noch ganz gut", sagt Madhoun. "Wir produzierten Hemden, Hosen, Jeans, Kleider, Röcke und Schuluniformen. Wir stellten alles her, was gefragt war. Da unsere Kleidung hochwertig war, kamen 80 Prozent in Israel auf den Markt. Ein Teil der Ware wurde dann nach Europa exportiert."

Laut Madhoun sind im gesamten Gazastreifen etwa 40.000 Näher tätig. Vor der Schließung der Fabrik habe er nicht nur 250 Näher vor Ort beschäftigt, sondern zusätzlich hundert Heimarbeiter gehabt. Weitere 50 Familien hätten ebenfalls zu Hause letzte Hand an die Kleidungsstücke angelegt.


Fabrik nur noch Umschlagplatz für billige Importwaren

Ein Rundgang durch Madhouns ehemalige Fabrik zeigt, wie viel Platz dort ungenutzt bleibt. Einige Räume werden als Lager für billige Importkleidung genutzt. "Wir haben keine Möglichkeit, die Fabrik zu betreiben. Deshalb lagern wir hier Einfuhrwaren, die wir an die Märkte in Gaza verkaufen."

Im vergangenen Juni stellte die UN fest, dass das "andauernde Verbot des Warentransports von Gaza zu den traditionellen Märkten im Westjordanland und Israel zusammen mit den strengen Beschränkungen beim Zugang zu Agrarland und Fischgründen ein nachhaltiges Wachstum verhindert sowie die Arbeitslosigkeit, die Nahrungsunsicherheit und die Abhängigkeit von Hilfen auf einem hohen Niveau hält."

Nach Angaben der israelischen Menschenrechtsorganisation 'Gisha' gingen früher 85 Prozent der Exporte aus dem Gazastreifen nach Israel oder in andere Palästinensergebiete. Erklärungen, wonach die Exporte aus dem Gazastreifen aus Sicherheitsgründen nicht möglich seien, lässt die Gruppe nicht gelten. "Kürzlich wurde an der Grenze ein neuer Warenscanner installiert", berichtete Gisha im Juni. Die Entscheidung, den Export der Güter zu stoppen, sei rein politischer Natur.

Wie das Palästinensische Zentrum für Menschenrechte berichtete, wurden im März 2012 lediglich 1,28 Prozent der Waren exportiert, die vor der Abriegelung aus dem Gazastreifen ausgeführt worden waren. Im April sank der Anteil sogar auf 0,85 Prozent.


Hohe Arbeitslosigkeit

Die Arbeitslosenrate im Gazastreifen bewegt sich zwischen 35 und 65 Prozent, die Abhängigkeit von Lebensmittelhilfe beträgt 80 Prozent. "Ein urbanes Gebiet kann nicht überleben, wenn es nicht angebunden ist", erklärte der UN-Vertreter Maxwell Gaylard Ende August. Er forderte die Öffnung der Grenzen zum Gazastreifen.

"Ein wesentlicher Teil des Gebietes ist seit 2005 isoliert", heißt es in einer UN-Presseerklärung. Dies bedeute, dass die Wirtschaft unter den derzeitigen Umständen längerfristig nicht funktionieren kann. Der Gazastreifen werde derzeit nur durch auswärtige Finanzhilfen und den illegalen Warentransport durch Tunnel am Leben erhalten. (Ende/IPS/ck/2012)


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http://unispal.un.org/UNISPAL.nsf/5ba47a5c6cef541b802563e000493b8c/a51d0bfda2ba835585257a680049b333?OpenDocument
http://www.ipsnews.net/2012/09/gaza-economy-tailored-to-fail/

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. September 2012