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INTERNATIONAL/094: Kuba - Schleppend verlaufende Wirtschaftsreformen, Ruf nach Beschleunigung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Mai 2012

Kuba: Schleppend verlaufende Wirtschaftsreformen - Ruf nach Beschleunigung

von Patricia Grogg

Kubanische Straßenverkäuferin - Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Kubanische Straßenverkäuferin
Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Havanna 21. Mai (IPS) - Mehr als ein Jahr ist es her, dass die Regierung von Staatspräsident Raúl Castro ihr Reformprogramm zur nachhaltigen Entwicklung der Wirtschaft verabschiedet hat. Doch vielen im Land geht die Umsetzung der damals beschlossenen Maßnahmen zu langsam vonstatten.

Im April 2011 billigte die Kommunistische Partei auf ihrem sechsten Parteitag die 'Leitlinien der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Partei und der Revolution'. Darin sind mehr als 300 kurz-, mittel- und langfristige Ziele fixiert. Einige Maßnahmen befanden sich damals bereits in der Umsetzungsphase, andere wurden in den folgenden Monaten eingeleitet. Weitere müssen erst noch angestoßen werden.

"In einigen Bereichen muss sich schneller etwas ändern", meint der Ökonom Pável Vidal. Seiner Ansicht nach begünstigen die Neuerungen vor allem kleine und mittelständische Betriebe sowie Kooperativen und Agrarproduzenten. Diese Produktionsformen seien in der Lage, flexibler, wendiger und unbürokratischer als Großunternehmen zu agieren.

Die kubanischen Behörden wollen vor allem den Kooperativen Priorität einräumen. Doch ein entsprechendes Gesetz lässt auf sich warten. "Einer der Aspekte, über den offensichtlich noch diskutiert wird, ist der Umfang der Autonomie, die den Genossenschaften zugestanden werden soll", heißt es.

Die Universitätsprofessorin Reina Fleitas ist der Meinung, dass beschäftigungsbezogene Reformen langsam umgesetzt werden sollten, um die negativen Auswirkungen vor allem auch auf die weiblichen Beschäftigten gering zu halten. Gerade die Frauen seien, was Arbeitsbedingungen und Löhne angehe, am schlechtesten dran.

Angesichts der Komplexität des Themas ruderte die Regierung bei der geplanten Reorganisation des Arbeitsmarktes zurück, die auf kurz oder lang den Verlust von bis zu einer Millionen Stellen im staatlichen Sektor nach sich ziehen wird. Wie viele Menschen ihre Stellen bereits verloren haben, zu welchen Altersgruppen sie gehören und wie hoch der Anteil von Frauen daran ist - diese Fragen wurden bislang nicht geklärt.


170.000 staatliche Stellen sollen 2012 gestrichen werden

Unbestätigten Berichten zufolge nahmen Betroffene Ersatzjobs im öffentlichen Sektor an, heuerten in der Privatwirtschaft an oder machten sich als Unternehmer selbstständig. In diesem Jahr sollen 170.000 Stellen, die als überflüssig oder unproduktiv gelten, gestrichen werden.

Die Selbstständigen, deren Zahl sich im Februar auf mehr als 370.000 belief und die zu 80 Prozent gewerkschaftlich organisiert sind, nahmen am 1. Mai erstmals an den Demonstrationen zum Tag der Arbeit teil. Geschätzt wird, dass sich ihre Zahl im Laufe des Jahres auf 600.000 erhöhen wird.

Selbstständige auf einer 1.-Mai-Demonstration in Kuba - Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Selbstständige auf einer 1.-Mai-Demonstration in Kuba
Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Fleitas zufolge ist es wichtig, brachliegendes Land möglichst schnell an potenzielle Bauern und vor allem Bäuerinnen zu vergeben. Wie sie kritisiert, ist der Anteil von Frauen, die Land besitzen, viel zu klein. Es sei deshalb wichtig, in den ländlichen Gebieten die notwendigen Bedingungen zu schaffen, die Frauen ermöglichen, sich als Landeigentümerinnen allein oder in Kooperativen ein Auskommen zu schaffen.

Offiziellen Zahlen zufolge machten Frauen Anfang vergangenen Jahres 23 Prozent aller 1,3 Millionen Arbeitskräfte in der Landwirtschaft aus. Zur gleichen Zeit wurden mehr als 11.200 Frauen Landnutzungsrechte auf der Grundlage eines Gesetzes von 2008 übertragen. Bislang hat die Regierung 1,3 Millionen Hektar Land an Einzelpersonen und Agrarkooperativen vergeben, um die Produktivität zu erhöhen. Den Schätzungen zufolge steht noch etwa eine Million Hektar Land zur Vergabe bereit. Experten raten allerdings dazu, das Gesetz zu ändern und alle Faktoren zu beseitigen, die Bauern den Zugang zu eigenem Land versperren.

Ende März erklärte der stellvertretende Präsident des kubanischen Ministerrats, Marino Murillo, dass es in Kürze möglich sein soll, Kooperativen auch in nichtlandwirtschaftlichen Bereichen zu gründen. Weitere Einzelheiten nannte er nicht.

In den Leitlinien der Regierung sind Kooperativen ersten Grades, deren Mitglieder Einzelpersonen oder juristische Personen sind, als sozialistische Formen des Gemeinschaftseigentums zum Wohl der Allgemeinheit in unterschiedlichen Wirtschaftsbereichen vorgesehen. Kooperativen ersten Grades können auf freiwilliger Basis untereinander Kooperativen zweiten Grades bilden, um gemeinsame Produktions- und Dienstleistungsprozesse zu organisieren und möglichst effizient gemeinsame Käufe und Verkäufe tätigen. (Ende/IPS/ck/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Mai 2012