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INTERNATIONAL/083: Neue G20-Handelsagenda gefährdet Doha-Runde - BRICS wollen gegensteuern (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. April 2012

Handel: Neue G20-Handelsagenda gefährdet Doha-Runde - BRICS wollen gegensteuern

von Ravi Kanth Devarakonda



Genf, 3. April (IPS) - Die Handelsminister der fünf BRICS-Staaten Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika wollen auf der Konferenz der G20-Industrie- und Schwellenländer in diesem Monat in Mexiko Versuchen der Industriestaaten entgegenwirken, mit einer neuen Handelsagenda die Doha-Entwicklungsrunde abzuwürgen.

"Wir werden alle an dem Treffen in Cancún teilnehmen und sicherstellen, dass jedes Abkommen, das die Handelsliberalisierung beschleunigen soll, mit der Doha-Agenda kompatibel ist", meinte der südafrikanische Handelsminister Rob Davies gegenüber IPS.

Die Doha-Entwicklungsrunde war vor fast elf Jahren von der Welthandelsorganisation (WTO) ins Leben gerufen worden, um die historischen Ungleichheiten und Asymmetrien im internationalen Handel auszugleichen. Sie soll die Integration der armen Länder in das globale Handelssystem ermöglichen.

Ein Handelsgesandter, der sich Anonymität ausbat, warf den Industriestaaten jedoch vor, die Unabhängigkeit und den multilateralen Charakter der WTO zu unterwandern. "Die G20 kann die WTO nicht repräsentieren, da die ärmsten und die afrikanischen Staaten mit Ausnahme Südafrikas bei der Ausgestaltung der neuen Handelsagenda kein Mitspracherecht haben", sagte er.


Industriestaaten wollen Kurs vorgeben

Der G20-Staatenblock besteht aus Argentinien, Australien, Brasilien, China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Indien, Indonesien, Italien, Kanada, Japan, Mexiko, Russland, Saudi-Arabien, Südafrika, Südkorea, Türkei, USA und der Europäischen Union. Dem Handelsexperten zufolge besteht kein Zweifel daran, dass die reichen Staaten den Rahmen der G20-Gespräche vorgeben werden.

"In dem Entwurf der Agenda für das Treffen in Cancún sind die Handelsminister aufgerufen, der Gründung eines Supergremiums unter Leitung der Chefs der WTO und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zuzustimmen, das Revisions- und Kontrollfunktionen übernehmen soll", warnte er.

Die Teilnahme der BRICS-Minister an dem G20-Treffen in Cancún sei wichtig, weil dort die Handelsagenda für die kommenden zehn Jahre radikal umgestrickt werden könne, heißt es aus BRICS-Expertenkreisen.

Bei ihrer letzten Veranstaltung in Neu-Delhi Ende März hatten die BRICS-Minister den G20-Entwurf aus der Feder Mexikos diskutiert, der noch nicht öffentlich zugänglich ist. Bemerkenswert sei, dass in der Vorlage die Doha-Entwicklungsrunde mit keinem Wort erwähnt werde, hieß es. Bei der G20-Handelskonferenz gehe es offenbar darum, Entscheidungen an der WTO vorbei zu fällen.

"Wir sind jedoch der Meinung, dass der Prozess multilateral und das Augenmerk auf der Doha-Runde liegen sollte, meinte Rob Davies im Vorfeld des am 19. April beginnenden G20-Handelstreffens und betonte die Bedeutung von Transparenz und Inklusivität. "Versuche, die Architektur ohne vorherigen Abschluss der Doha-Runde zu verändern, sind für uns nicht in Ordnung."

Der fünfseitige Entwurf, der IPS in Kopie vorliegt, liegt mit den Handelsinteressen der reichen Länder auf einer Linie. Das lässt sich bereits an den Zwischentiteln 'Besseres Verständnis der globalen Wertschöpfungsketten im Sinne eines besser regulierten Handels' und 'Dienstleistungen, Handelsfinanzierung und Handelserleichterungen sind entscheidend, um die globale Wertschöpfungskette zu schmieren' ablesen. Bei der Doha-Entwicklungsrunde geht es hingegen darum, dass Industriestaaten ihre Märkte für landwirtschaftliche Erzeugnisse aus den armen Ländern öffnen und ihre handelsverzerrenden Subventionen abschaffen.

Der OECD-Generalsekretär Angel Gurria und der WTO-Generaldirektor Pascal Lamy sollen die Argumente für die neue G20-Agenda der Handelsminister liefern. Analysten zufolge arbeiten beide seit geraumer Zeit an neuen neoliberalen Ansätzen, die jede Entwicklungsperspektive vermissen lassen. Ihre Vorschläge stoßen bei den armen und ärmsten Ländern des Südens deshalb auf massiven Widerstand.

Die G20-Minister werden sich auch zu Handel, Wachstum und Arbeitsplätzen beraten, So wird man in Cancún auch über den 'Handel als Quelle des Wachstums' und den 'Imperativ, die Märkte zu öffnen und offen zu halten' diskutieren. Mexiko, das in diesem Jahr den G20-Vorsitz führt, hat die Minister ferner aufgefordert, "Verbindungen zwischen Handel und Arbeitsplatzbeschaffung zu identifizieren und über eine Verbesserung der Handelsbilanzen und der Wertschöpfungsketten nachzudenken". Mexiko will ferner, dass sich die Minister auf die "größeren Kräfte und Herausforderungen" konzentrieren, mit denen sich die Volkswirtshaften konfrontiert sähen.


"Geheimsprache der Industrieländer"

"Der ganze Entwurf erweckt den Eindruck, als haben wir es mit einer Geheimsprache der Industrieländer zu tun, die ausschließlich ihre Interessen berücksichtigt", meinte Isabel Mazzei, eine ehemalige Handelsberaterin der Hilfsorganisation 'Oxfam'. "Was bedeutet eigentlich der Hinweis auf neue Verhandlungsansätze? Sollen die Ziele verändert werden?"

Bei den Doha-Gesprächen gehe es um Entwicklung, Landwirtschaft, die Abschaffung von Subventionen. "Nun scheint es so, als sei das alles viel zu obsolet", monierte sie. "Dabei beschäftigt die Landwirtschaft in den Entwicklungsländern noch immer viele Menschen. Die G20-Agenda ist der Versuch, die Interessen der reichen Länder durch die Hintertür durchzusetzen."


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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. April 2012