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INTERNATIONAL/033: Personenverkehr - China überholt alle (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2011


China überholt alle
Ausbau des Hochgeschwindigkeitsverkehrs ist ohnegleichen

Von Christian Schwarzer und Manfred Treber


China setzt im Personenverkehr sehr auf Hochgeschwindigkeit auf der Schiene und plant dafür strategisch. Das hohe Wirtschaftwachstum stellt die finanziellen Ressourcen zum Ausbau entsprechender Strecken bereit. So entsteht ein Hochgeschwindigkeits-Netz von bislang ungekannten Dimensionen, das bereits heute mit Abstand das größte weltweit ist.


Hochgeschwindigkeitsverkehr (HGV) auf der Schiene im heutigen Sinne begann 1964 mit dem Shinkansen in Japan. In Europa war der TGV (train à grande vitesse) der französischen Staatsbahn im Jahr 1981 der Vorreiter. Interessanterweise hat Spanien durch offensive Investitionen mittlerweile sogar Frankreich, das sein Streckennetz stetig ausdehnt, in der Länge seines Schnellfahrnetzes überholt.

Infrastruktur-Investitionen werden getrieben durch den Staat, was erklärt, dass Länder (wie Großbritannien oder die USA), die dem Markt hohen Einfluss zuweisen, wenig HGV aufweisen. Noch kaum wahrgenommen wird, wie sehr sich China in diesem Bereich engagiert.

Der ICE als die Ausprägung des HGV in Deutschland hat die Angebotsqualität auf der Schiene erhöht, was begrüßt wird. Es wird allerdings vermisst, dass der HGV in ein Konzept eingebettet ist, damit nicht Partikularinteressen bedient werden, was zu Milliardengräbern (vgl. Erfurt - Nürnberg) führen kann. Mangels einer solchen HGV-Konzeption zählt der HGV in Deutschland zu den teuersten und langsamsten Systemen überhaupt. Daher ist gerade in manchen Umweltkreisen Skepsis gegenüber Hochgeschwindigkeitsverkehr auf der Schiene verbreitet. Ist er doch mit immens hohen Investitionen verbunden, die den chronisch unterfinanzierten Etat des Bundesverkehrsministers auszehren, so dass das bestehende Netz kaum in einem akzeptablen Normalzustand gehalten werden kann.

Die Skepsis mancher gegenüber HGV basiert zudem darauf, dass der Schienenpersonenfernverkehr in Deutschland (wie auch in der Schweiz) durch die mit der hohen Besiedlungsdichte und der dezentralen Struktur verbundenen häufigen Zughalte einen relativ geringen Nutzen durch hohe Geschwindigkeiten erzielen und deshalb seine Stärken nur wenig ausspielen kann.

Dies ist in Staaten mit größerer Ausdehnung und größeren Entfernungen zwischen den Bevölkerungszentren anders. Die Empirie zeigt, dass die Fahrgäste geneigt sind, zwischen drei und maximal vier Stunden Fahrtzeit den Zug zu wählen. Wenn es länger dauert, ziehen sie das Flugzeug vor. Daraus folgt, dass in gewissen Regionen der Schienenpersonen-Hochgeschwindigkeitsverkehr ein notwendiger Bestandteil eines nachhaltigen Verkehrssystems ist. Dies trifft insbesondere für China zu.


Die Situation in China

Die chinesische Führung hat erkannt, dass weiteres Wachstum nur mit einer umweltschonenden Wirtschaftsweise möglich ist. Das zeigt sich auch in der Identifizierung von "Sieben Strategischen Industrien" (darunter auch 'Erneuerbare Energien' oder 'mit alternativen Energien betriebene Fahrzeuge'), in die in den nächsten fünf Jahren 1.500 Mrd $ fließen sollen. Bereits seit Jahren investiert die chinesische Regierung in den Ausbau der erneuerbaren Energien und hat ein Einspeisevergütungsgesetz nach Vorbild des deutschen EEG eingeführt. Schon heute stehen in China die meisten Windräder weltweit. Bis 2020 soll die CO2-Intensität pro Einheit des Bruttoinlandsproduktes um 40 - 45 Prozent gesenkt werden. Bis 2015 plant China, ein Emissionshandelssystem einzuführen.(1)

Die Verkehrspolitik in China ist, trotz der sonst stark wahrzunehmenden Imitation US-amerikanischer Strukturen, nicht vergleichbar einseitig autolastig. Zwar ist China mittlerweile auch zum größten Autoabsatzmarkt der Welt aufgestiegen, doch anders, als von vielen befürchtet, setzt die Regierung in Peking nicht primär auf einen Ausbau des Autobahnnetzes zur Lösung der zunehmenden Verkehrsprobleme.

China plant den Personenfernverkehr strategisch (man denkt sogar an eine Strecke Peking - London; unklar ist uns, inwiefern diese Überlegungen durch Restriktionen durch das Ende des billigen Erdöls beeinflusst sind) und hat einen Netzplan für langfristigen HGV aufgestellt. Dieses Netz wird schnell und mit immensem Finanzeinsatz ausgebaut. Die Führung im Reich der Mitte hat beschlossen, innerhalb weniger Jahre das größte, schnellste und modernste Schienennetz aufzubauen.

Ein wichtiger Einflussfaktor ist noch, dass aus den weniger entwickelten Provinzen im Westen Chinas ein unablässiger Strom an Arbeitern in die Ballungsgebiete im reichen Osten fließt. Durch diese Heere an billigen Arbeitskräften erklärt sich, dass eine HGV-Strecke innerhalb weniger Jahre fertig gestellt werden kann. Chinas Investitionen in das Schienennetz dienen als gigantisches Beschäftigungspaket. Allein mit dem Bau der Strecke Peking-Shanghai sind 110.000 Menschen beschäftigt. Das hohe Wirtschaftswachstum befähigt China, erhebliche finanzielle Mittel zu mobilisieren: 38% des chinesischen Konjunkturpaketes (Gesamtvolumen 586 Mrd. $) sind für Infrastrukturmaßnahmen bestimmt. Den weitaus größten Anteil nehmen davon Bahn-Projekte ein.(2) Zum Vergleich: Im US-amerikanischen Konjunkturpaket waren kumuliert lediglich 8 Mrd. $ für den Ausbau der Schieneninfrastruktur vorgesehen. Allein im Jahr 2009 investierte China 79 Mrd. Euro in sein Schienennetz. Im gleichen Zeitraum flossen 78 Mrd. Euro in das Straßennetz. Damit stiegen die Schieneninvestitionen 2009 im Vergleich zum Vorjahr um beeindruckende 87,5% an, die in die Straße hingegen nur um 50,7%. Der Berliner Verkehrswissenschaftler Peter Mnich kommt in einer Studie zu dem Schluss, dass sich dieser Trend zugunsten der Schiene weiter fortsetzen wird. Für 2011 sind sogar Investitionen in Höhe von 104 Mrd. $ geplant. Jüngsten Medienberichten zufolge plant die Volksrepublik, im Zeitraum zwischen 2011 und 2015 weitere 451 bis 602 Milliarden $ in sein HGV-Netz zu investieren.

Selbst die von US-Vize Präsident Joe Biden Ende Januar 2011 unter großem Medienecho angekündigten 53 Milliarden $, die ab 2012 verteilt über sechs Jahre in Bahnprojekte investiert werden sollen, sehen dagegen gering aus.

Noch viel weniger lässt sich Deutschland den Ausbau des Schienennetzes kosten: Nur 1,3 Mrd Euro stellt die Bundesregierung nach Auslaufen der Extra-Mittel durch die Konjunkturpakete jährlich zur Verfügung. Die Fahrzeugflotte ist stark überaltert (bereits vor 20 Jahren plante man den Ersatz von Zügen, die heute noch verkehren und deren Nutzungszeit jetzt um 10 Jahre verlängert wird) und zu gering bemessen(3). Anstatt in umwelt- und klimaschonende Verkehrsträger flossen große Teile des deutschen Konjunkturpaketes in die Abwrackprämie. Gemäß Allianz pro Schiene(4) befindet sich Deutschland bei den Pro-Kopf Investitionen in die Schieneninfrastruktur unter neun ausgewählten Staaten auf dem letzten Platz in Europa.

Deutschland und China lassen sich allerdings aus verschiedenen Gründen nur bedingt vergleichen: In der weitgehend autokratisch geführten Volksrepublik bestimmt die Partei per Fünf-Jahres Plan über Infrastrukturmaßnahmen. Konsultationsverfahren mit der Öffentlichkeit oder die Möglichkeit, Einspruch zu erheben, existieren kaum im Reich der Mitte. Planfeststellungsverfahren werden (nicht wie bei uns in Jahren oder gar Jahrzehnten sondern) in wenigen Monaten durchgeführt. Zudem gibt es in China keinen privaten Landbesitz in unserem Sinne. Alles Land gehört per Verfassung der Volksrepublik. Bauern oder die lokale Bevölkerung sind keine Eigentümer, sondern sie haben die Flächen vom Staat quasi "geleast". Peking braucht also nicht erst umständlich das Land erwerben. Auch gibt es in China kaum Proteste gegen ein staatliches Bauvorhaben.

Anders stellt sich dies in Hong Kong dar. Die ehemalige britische Kronkolonie genießt eine gewisse Autonomie und hat eigene Gesetze. Hier wird gerade ein lediglich 26 km langes Teilstück des Guangzhou-Shenzhen-Hong Kong Express Rail Link gebaut. Dieses soll 2016 den Abschluss des 2.229 km langen HGV-Korridors von Peking über Wuhan und Guangzhou nach Hong Kong bilden (das entspricht der Entfernung zwischen Lissabon und Berlin). Anders als im restlichen China gibt es hier massive Proteste von Dorfbewohnern, die (trotz Entschädigungszahlungen) gegen eine Zwangsumsiedlung protestieren. Das Projekt wurde dadurch bisher um Monate zurückgeworfen.


Blick auf das derzeitige System

Das gewaltige Ausmaß der chinesischen Pläne und die Geschwindigkeit, mit der sie umgesetzt werden, kann nur als atemberaubend bezeichnet werden. Schon heute ist dieses Netz mit 8.385 km Länge (Stand Dezember 2010) größer als alle HGV-Strecken von Japan (2.534 km), Spanien (2.056 km), Frankreich (1.896 km) und Deutschland (1.285 km) zusammen. Und man hat noch mehr vor: Bis Anfang 2012 soll das Streckenetz um weitere immense 4.600 km auf dann gut 13.000 km erweitert werden. Bis 2015 sind sogar über 16.000 km Streckennetz anvisiert.(5)

Grob skizziert ist das chinesische Hochgeschwindigkeitsnetz ein Raster aus vier Nord-Süd und vier Ost-West Verbindungen. Diese sollen im Endausbau alle wichtigen Städte in der Volksrepublik miteinander verbinden.

Anders als im dezentralen Deutschland werden diese Bahnstrecken so geplant, dass HGV-Züge durchgehend mit Betriebsgeschwindigkeiten zwischen 250 und 350 km/h fahren können. So wird auf der 968 km langen Strecke zwischen Wuhan und Guangzhou eine Durchschnittgeschwindigkeit von 313 km/h erzielt.

Mit der für Ende Juni 2011 erwarteten Eröffnung der HGV-Strecke von Peking nach Shanghai wird sich dies sogar noch weiter steigern. Um eine akzeptable Alternative zum Flugzeug zu bieten, sollen die beiden größten und wirtschaftlich bedeutendsten chinesischen Metropolen in unter vier Stunden Fahrzeit miteinander verbunden werden. Die Züge werden dafür auf der 1.318 km langen Strecke mit bis zu 380 km/h verkehren. Damit wird die Strecke Peking-Shanghai zur schnellsten Eisenbahnverbindung der Welt aufsteigen (zum Vergleich: In Deutschland bewältigt der ICE die knapp halb so lange Strecke von München nach Hamburg (776km) in fünf Stunden und vierzig Minuten).

Schließlich noch ein Blick auf die Schienenfahrzeuge, die im HGV in China unter der Marke CRH (China Railway High Speed) verkehren. Sie sind allesamt von ausländischen Herstellern konzipiert. Ingesamt gibt es sieben verschiedene Typen (CRH 1 bis 5, CRH 380 A und B), die auf Fahrzeugen von Bombardier, Siemens, Alstom und auf dem japanischen Shinkansen basieren.


Christian Schwarzer arbeitet für die Naturschutzjugend; Manfred Treber ist Klima- und Verkehrsreferent bei Germanwatch.

Anmerkung:

(1) vgl. China macht ernst mit Klimapolitik in Klima-Kompakt, Germanwatch Dezember 2010:
http://www.germanwatch.org/kliko/k69.pdf

(2) Vgl. China's amazing new bullet train
http://money.cnn.com/2009/08/03/news/international/china_high_speed_bullet_train.fortune/index.htm?postversion=2009080610

(3) Vgl. Hecht, M. (2011): Deutschland: Wir haben ein (Verkehrs-)Problem. TU intern Nr. 1 - Januar 2011, S.8f

(4) Investitionen in die Schieneninfrastruktur im europäischen Vergleich,
vgl. http://www.allianz-pro-schiene.de/infrastruktur/europavergleich-schieneninvestitionen/

(5) Aussagen des chinesischen Eisenbahnministers Liu Zhijun auf einer Fachkonferenz am 5.1. 2011, vgl.
http://www.shanghaidaily.com/sp/article/2011/201101/20110105/article_460727.htm


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2011, S. 33-34
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Juni 2011