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INTERNATIONAL/018: Ägypten - Land geht auf Abstand zu ungeliebten IWF-Wirtschaftsrezepten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Februar 2011

Ägypten:
Land geht auf Abstand zu ungeliebten IWF-Wirtschaftsrezepten

Von Emad Mekay


Kairo, 21. Februar (IPS) - In Ägypten zeichnet sich derzeit eine Abkehr vom Wirtschaftsmodell der Weltbank, des Internatonalem Währungsfonds (IWF) und der US-Entwicklungsbehörde USAID ab. Seit dem Volksaufstand ist der Chef der Interimsregierung Ahmed Schaf bemüht, einige der unpopulären Maßnahmen rückgängig zu machen, die die internationalen Finanz- und Entwicklungsorganisationen dem Regime von Ex-Präsident Husni Mubarak empfohlen hatten.

"Viele Ägypter haben nach der Revolution das Ausmaß der Ungerechtigkeit erkannt, der sie seit vielen Jahren ausgesetzt waren", sagte Abulezz Al-Hariri, ehemaliger Abgeordneter der ägyptischen Opposition. "Sie treten für ihre Rechte ein, und das Kabinett ist bemüht, den Forderungen nachzukommen."

Seit Mitte der 1980er Jahre hatten Weltbank, IWF und USAID das ehemalige Mubarak-Regime dazu angehalten, den staatlichen Einfluss auf die Wirtschaft des Landes zu lockern, die Haushaltsdefizite zu verringern und dem Privatsektor und Unternehmen größten Spielraum zu gewähren.

Doch unter dem öffentlichen Druck nach dem Sturz Mubaraks sucht Ministerpräsident Ahmed Schafik, der bis zu den Neuwahlen die Regierungsgeschäfte führen soll einige der kontrovers diskutierten Entscheidungen rückgängig zu machen.

Viele der Maßnahmen, die in den letzten Tagen beschlossen wurden, sollen die schwierige wirtschaftliche Lage von Millionen Ägyptern verbessern, die sich von der Revolution einige gravierende Verbesserungen erhoffen. Der Volksaufstand kostete 365 Menschen das Leben.

Nach jüngsten Regierungsangaben sind alle Bürger berechtigt, um monatliche Rationen von Zucker, Kochöl und Reis anzusuchen. Das vorherige Kabinett, das aus Geschäftsleuten und ehemaligen Konzernmanagern bestand, hatte die Rationen auf Eis gelegt. Die neue Entscheidung macht ferner die Überlegungen zunichte, ausschließlich die armen Bevölkerungsgruppen im Land und nur nach einer langwierigen bürokratischen Überprüfung auszustatten.


Subventionen und andere Finanzhilfen

In der dritten Februarwoche hatte der neue Finanzminister Samir Radwan erklärt, dass das derzeitige System, die Nahrungsmittel für 65 Millionen Ägypter zu subventionieren, fortgesetzt werde. Ebenso versprach die Übergangsregierung, für alle zusätzlichen Kosten aufzukommen, die durch den Anstieg der internationalen Lebensmittelpreise verursacht wurden. Radwan bezifferte die Anfangskosten mit 2,8 Milliarden ägyptische Pfund (425 Millionen US-Dollar).

Den neuen Richtlinien zufolge werden die Menschen in den öffentlichen Kliniken 24 Stunden lang kostenlos behandelt. Kurz vor dem Ausbruch der Revolution am 25. Januar hatte die Mubarak-Administration die kostenlose Versorgung in den staatlichen Kliniken auf acht und 13 Uhr beschränkt. Auch sollen Zeitarbeiter, die seit mindestens drei Jahre für die Regierung beschäftigt sind, nun feste Verträge und höhere Gehälter erhalten sowie von Sozialversicherungssystemen profitieren.

In vielen Gemeindebezirken stehen junge Menschen an, um in den Genuss von Eigenheimzulagen zu kommen, die ihnen die Interimsregierung in Aussicht gestellt hat. Am 16. Februar erklärte sich Ägyptens Zentralbank dazu bereit, als Garant aufzutreten, damit die Forderungen von Bankangestellten, wie höhere Abfindungen und Gehälter, erfüllt werden können.

Angesichts dieser vielen Zugeständnisse fragen sich politische Beobachter inzwischen, ob Ägypten die Rückreise in seine sozialistische Vergangenheit zur Zeit des ehemaligen Staatspräsidenten Gamal Abdel Nasser in den 1950er und 1960er Jahren angetreten ist.

"Wir bewegen uns nicht zurück", meinte dazu die Vizefinanzministerin Amina Ghanem. "Wir versuchen lediglich, das Feuer zu löschen." Die anvisierten Reformen würden nicht aufgegeben. Wir wollen, dass die Menschen arbeiten und nicht von den Almosen der Regierung leben." Damit die zugesagten Maßnahmen finanziert werden können, sollen der Politikerin zufolge weniger dringliche Vorhaben zunächst auf Eis gelegt werden.


"Tranquilizer" statt Medikamente

Auch Abulezz Al-Hariri, Mitglied der Mitte-Links-Partei Tagammu, vertritt die Ansicht, dass die Interimsregierung keine Kehrtwende anstrebt. Die Maßnahmen seien lediglich "Tranquilizer" zur Schmerzlinderung. Sie versprächen keine Heilung. Nachdem sich die Mubarak-Politik als wenig hilfreich herausgestellt habe, müsse nun jede Nachfolgeregierung Lösungen durch echte Industrie- und Investmentmaßnahmen suchen.

Dem ehemaligen Oppositionsabgeordneten zufolge sollten die Konten von Freunden der ehemaligen Regierung gesperrt werden, die sich illegal bereichert hätten. Auch müsse der nationale Wohlstand gerechter verteilt werden und die Profitmargen beim Verkauf von Gütern und Dienstleistungen auf ein gesundes Maß eingeschränkt werden.

Nach Ansicht von Mamdouh Al-Wali, Wissenschaftsjournalist bei der Tageszeitung 'Al-Ahram Daily', werden Probleme den ägyptischen Weg pflastern. "Auch eine neue Regierung wird kaum in der Lage sein, dem gesamten Wind standzuhalten, der durch die vielen Probleme im Land aufziehen wird." (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Februar 2011