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INTERNATIONAL/007: Indien - Freihandel mit EU bedroht kleine Einzelhändler (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 21. Dezember 2010

Indien: Profit statt Nachhaltigkeit - Freihandel mit EU bedroht kleine Einzelhändler

Von Ranjit Devraj

Schicke Läden boomen in armen Vierteln - Bild: © Ranjit Devraj/IPS

Schicke Läden boomen in armen Vierteln
Bild: © Ranjit Devraj/IPS

Neu-Delhi, 20. Dezember (IPS) - Große internationale Einzelhandelsketten, die zum Abschluss eines Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Indien drängen, werben mit einem ganz neuen Kauferlebnis. Doch ihre Niederlassungen wären für die kleinen 'Mom-and-Pop'-Geschäfte des Subkontinents eine ernsthafte Gefahr. Von den indischen Tante-Emma-Läden hängen immerhin rund 40 Millionen Arbeitsplätze ab.

Nach vierjährigen Verhandlungen rückt das Handelsabkommen immer näher. Nachdem der indische Regierungschef Manmohan Singh kürzlich Brüssel besuchte, wird mit einer Unterzeichnung des Vertrags Anfang kommenden Jahres gerechnet. Oppositionsparteien und Nichtregierungsorganisationen in dem südasiatischen Land kritisierten die bilateralen Gespräche jedoch als wenig transparent. Die geplante Senkung der Zölle um 90 Prozent werde sich auf den Gesundheits-, Agrar-, Fischerei- und Bankensektor sowie auf die Programme zur Armutsbekämpfung auswirken, fürchten sie.

Wie der Generalsekretär der Kommunistischen Partei Indiens, D. Raja, erklärte, ist der Einzelhandel auf dem Subkontinent zu 96 Prozent im informellen Sektor angesiedelt. Er sichere Millionen Indern ein Auskommen, da er mit wenig Kapital, Fachwissen und Infrastruktur auskomme, sagte er. Für die Bevölkerung seien sie wichtige Dienstleister.


Regierung wird mangelnde Transparenz vorgeworfen

Lediglich neun Prozent aller Händler sind laut Raja reguläre Arbeitnehmer. Der organisierte Einzelhandel, hinter dem Wohlhabende stünden, gehe zu Lasten des informellen Sektors und gefährde Existenzen, warnte der Politiker. Die Regierung kritisierte er dafür, Freihandelsabkommen nicht vom Parlament diskutieren zu lassen. "Dies ist ein gutes Beispiel dafür, wie in diesem Land Wachstum ohne Arbeitsplätze geschaffen wird."

Venkatesh Narayan von der internationalen Commonwealth-Initiative für Menschenrechte zeigte sich darüber beunruhigt, dass die Regierungen der indischen Bundesstaaten nicht über den Verlauf der Verhandlungen informiert werden.

Die Zentralregierung in Neu-Delhi veröffentlichte unterdessen mehrere Impulspapiere zum Thema ausländische Direktinvestitionen im Einzelhandel. Darin wird die Notwendigkeit größerer Investitionen im Logistik- und Infrastrukturbereich betont, mit deren Hilfe der indische Markt ausgebaut werden soll.

In dem Report der Abteilung für Industriepolitik werden Statistiken des Agrarministeriums zitiert, denen zufolge unzureichende Lager- und Kühlmöglichkeiten den indischen Bauern jährliche Verluste von etwa zwölf Milliarden US-Dollar bescheren.

Jedes Jahr werden in Indien rund 180 Millionen Tonnen Obst und Gemüse geerntet. Die meisten Farmer haben aber keinen Zugang zu Krediten und können die Preisentwicklung nicht beeinflussen. Eine Weltbank-Studie kritisierte zudem, dass der Weg vom Erzeuger zum Verbraucher zu lang sei.

Dharmendra Kumar von der Organisation 'India FDI Watch', die ausländische Investoren beobachtet, warnte davor, aufgrund der geringen Wettbewerbsfähigkeit der indischen Wirtschaft massiv fremde Konkurrenz ins Land zu holen. "Wenn zu wenige Darlehen und keine ausreichende Infrastruktur zur Verfügung stehen, sollte die Regierung daran etwas ändern, statt sich an internationale Konzerne wie 'Carrefour', 'Metro' und 'Tesco' zu wenden. Diese sind nur an der Maximierung ihrer Gewinne interessiert", sagte er.

Kumar sprach sich stattdessen für den Ausbau von Straßen und die Verbesserung der Energieversorgung in ländlichen Regionen Indiens aus. Dort seien schließlich die Produzenten ansässig. India FDI Watch setzt sich dafür ein, dass ausländische Unternehmen nur dann in Indien tätig werden können, wenn die kleineren inländischen Firmen geschützt werden und die Beschäftigten gerechte Löhne erhalten.

Laut Kumar sind die europäischen Konzerne aber vor allem deshalb an Geschäften auf dem Subkontinent interessiert, weil die Rechte der kleinen einheimischen Produzenten und Konsumenten kaum geschützt seien. In vielen europäischen Ländern würden viel strengere Vorschriften gelten.


Ausländische Konzerne versprechen hohe Steuern

Der französische Konzern 'Carrefour' wirbt damit, dass ausländische Investitionen dem indischen Staat hohe Steuereinkünfte bringen könnten. Die meisten Geschäfte in Indien seien so klein, dass sie durch das Netz des Fiskus fielen. Kumar hält dagegen, dass die indischen Verbraucher bereits eine beträchtliche Mehrwertsteuer zahlten.

In der von Kumar und der Autorin Pia Eberhardt verfassten Studie 'Trade Invaders: How big Business is driving the EU-Indian Trade', die im September erschien, werden die Europäische Kommission und die indische Regierung dafür kritisiert, die Verhandlungen über das Freihandelsabkommen an Lobbygruppen delegiert zu haben. Die Bedürfnisse der indischen Bevölkerung seien dagegen nicht berücksichtigt worden. (Ende/IPS/ck/2010)


Links:
http://www.humanrightsinitiative.org/
http://www.corporateeurope.org/global-europe/content/2010/09/eu-india-trade-invaders
http://www.indiafdiwatch.org/fileadmin/India_site/10-FDI-Retail-more-bad.pdf
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=53906


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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 20. Dezember 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Dezember 2010