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FORSCHUNG/795: Ursachenstudie - Weniger Schulden durch starke Stadtspitze (idw)


FernUniversität in Hagen - 18.03.2015

Ursachenstudie: Weniger Schulden durch starke Stadtspitze


Eine Studie mit Beteiligung der FernUniversität weist erstmals einen Zusammenhang zwischen der kommunalen Verschuldung und der Stellung der Stadt-Oberen sowie des lokalen Demokratie-Typs nach. Ergebnisse der Studie werden bereits in Kommunalparlamenten diskutiert.


Seit Jahren befinden sich deutsche Kommunen in einer Haushaltskrise. Ende 2013 betrug die Pro-Kopf-Verschuldung in den Kommunen rund 25.000 Euro. Warum nehmen Kommunen kontinuierlich Kredite auf? Das untersuchte ein interdisziplinäres Team aus Finanz-, Politik- und Verwaltungsforschern. Es ist die bisher größte bundesweite Untersuchung kommunaler Haushaltsdefizite. Zu dem Team gehört auch Prof. Dr. Lars Holtkamp, Leiter des Lehrgebiets Politikwissenschaft IV - Politik und Verwaltung an der FernUniversität in Hagen. Gemeinsam mit Forschern der Universitäten in Bochum, Freiburg und Kaiserslautern wertete er die Haushalte der Jahre 2003 bis 2010 aller Kommunen von 5.000 bis 10.000 Einwohnern beziehungsweise die mit über 10.000 Einwohnern aus. Hinzu kamen Daten aus 75 Interviews mit Bürgermeisterinnen oder Bürgermeistern sowie Kämmerinnen und Kämmerern aus vier Bundesländern.


Geografisches Gefälle zwischen Ost und West

Allein im Untersuchungs-Zeitraum versechsfachte sich der Schuldenstand der Kommunen. Kredite von insgesamt rund 34 Milliarden Euro standen Ende 2009 in deren Büchern. Weitere Kredite wurden seitdem aufgenommen. "Zum Teil bestätigt unsere Studie bekannte Verschuldungsursachen. Zum Beispiel der Einfluss zahlreicher sogenannter sozio-ökonomischer Faktoren. Darunter die Arbeitslosenquote und damit die Höhe der kommunalen Sozialausgaben", sagt Lars Holtkamp. Auch die Attraktivität der Kommune als Lebens- und Arbeitsort sowie demografische Faktoren wie die Seniorinnen- und Senioren-Quote gehören dazu.

Ein Studien-Ergebnis war besonders prägnant: "Wir konnten ein geografisches Gefälle bei der Kreditaufnahme zwischen den ost- und westdeutschen Kommunen nachweisen." Während Kommunen etwa in Brandenburg, Sachsen-Anhalt oder Thüringen in der Regel mehr einnahmen als ausgaben, war das Gegenteil im Saarland sowie in Hessen, Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen der Fall. Ausnahmen bei den westdeutschen Kommunen waren die Kommunen in Baden-Württembergischen und Bayern. Diese erzielten ebenfalls überwiegend Haushalts-Überschüsse.


Bestätigen oder blockieren

Ein weiteres prägnantes Ergebnis der Studie: "Wir fanden heraus, dass der lokale Demokratie-Typ sehr entscheidend für die kommunale Verschuldung ist", sagt Lars Holtkamp.

"In 'Konkordanz-Demokratien', etwa bei den meisten sächsischen Kommunen, werden Entscheidungen wie Kredit-Aufnahme durch Verhandlungen und gütliches Einvernehmen zwischen den Fraktionen getroffen", erklärt Holtkamp. Anders bei "konkurrenz-demokratischen" Kommunen wie in Nordrhein-Westfalen: "Hier werden politische Entscheidungen über einfache Mehrheiten getroffen." Auf die kommunale Verschuldung hat das einen gravierenden Einfluss. Immer wieder sei es im Untersuchungs-Zeitraum bei den konkurrenz-demokratischen Kommunen zu Entscheidungsblockaden im Stadtrat gekommen. So sorgten in einer untersuchten NRW-Kommune die Grabenkämpfe zwischen Rat und Verwaltungsspitze, zwischen den Parteien und innerhalb der Verwaltung dafür, dass im gesamten Untersuchungszeitraum kein Haushaltsbeschluss gelang.

Anders bei den konkordanz-demokratischen Kommunen: "Blockaden traten hier in keiner der Kommunen auf. Haushalte wurden nicht selten einstimmig verabschiedet", legt Lars Holtkamp die Ergebnisse dar.


Konkordanz gegen klamme Kommunen

"Die politischen Akteurinnen und Akteure in konkordanz-demokratischen Kommunen sind meistens herausragende Persönlichkeiten und genießen großes Vertrauen - auch fraktionsübergreifend." Das mache es leichter, auch unbequeme Entscheidungen wie Sparrunden schnell durchzusetzen. "Wenig Spielraum" fanden die Forscher hingegen bei den Akteurinnen und Akteuren in konkurrenz-demokratischen Kommunen.

"Die Gestaltungsmacht und die Stellung der Bürgermeisterin oder des Bürgermeisters sind entscheidend für die kommunalen Finanzen." Je stärker das Stadtoberhaupt und je Konkordanz-orientierter die demokratische Struktur, desto niedriger ist in der Regel der kommunale Schuldenstand. "Das ist ein wichtiges Ergebnis der Studie", sagt Lars Holtkamp. Demgegenüber sei ein "konfliktreicher Parteienwettbewerb" wie in konkurrenz-demokratischen Kommunen schlecht für den kommunalen Haushalt.


Info 1:
Konkordanz-Demokratie: Ein Demokratie-Typ, bei dem politische Entscheidungen durch Verhandlungen und gütliches Einvernehmen zwischen den Fraktionen getroffen werden.
Konkurrenz-Demokratie: Ein Demokratie-Typ, bei dem politische Entscheidungen mittels einfacher Mehrheiten getroffen werden.

Info 2:
Prof. Holtkamp und sein Wissenschaftlicher Mitarbeiter Thomas Bathge arbeiteten mit den Ergebnissen der DFG-Studie auch in einem Gutachten über kommunale Schulden für die Grünen-Faktion im Brandenburgischen Landtag. Dort wird auf Grundlage des Gutachtens aktuell über den künftigen Umgang mit kommunalen Schulden diskutiert.

Angaben zur Publikation:
Jörg Bogumil, Lars Holtkamp, Martin Junkernheinrich, Uwe Wagschal:
Ursachen kommunaler Haushaltsdefizite.
In: PVS, 55. Jg., 4/2014, S. 614 bis 647.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution151

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
FernUniversität in Hagen, Susanne Bossemeyer, 18.03.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 20. März 2015

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