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FINANZEN/113: Irland-Krise und Gläubigerhaftung (spw)


spw - Ausgabe 6/2010 - Heft 181
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Irland-Krise und Gläubigerhaftung

Von Arne Heise


Die jüngste Weltfinanzkrise ist durch eine Mischung aus legaler Risikofehlbewertung (auf Seiten vieler Banken und institutioneller Anleger), bewusster Informationsverschleierung (von Seiten der Banken, die aus Wertpapieren unterschiedlichster Bonität völlig undurchschaubare 'strukturierte Verbriefungen' machten) und wahrscheinlich krimineller Energie (auf Seiten der Rating-Agenturen) entstanden. Mit der Insolvenz einiger Banken sind dann viele der beteiligten Spekulanten, vielfach aber auch bewusst getäuschte Anleger geschädigt worden. Dies mag man als 'Preis der Marktteilnahme', die ja immerhin auch im Erfolgsfalle einen fetten Gewinn erbracht hätte, ansehen. Viel ärger sind all jene dran, die sich in keinster Weise am Finanzmarktgeschehen beteiligt haben, durch die von der Finanzkrise ausgehende Depression der Realwirtschaft nun aber negativ betroffen sind. Dies sind Millionen von Menschen, die ihren Arbeitsplatz verloren haben, aber auch die Staaten, denen potentielle Gläubiger nun nicht mehr oder nur zu deutlich höheren Zinsen Geld dafür bereitstellen wollen, die Auswirkungen der Finanzkrise aufzufangen. Im schlimmsten Falle profitieren dann die eigentlich Verantwortlichen der Krise auch noch davon, dass sich Regierungen zur sozialpolitischen Abfederung der Krisenauswirkungen bzw. zur Stützung des ansonsten kollabierenden Finanzsektors ganz erheblich verschulden müssen.

Nachdem zunächst Griechenland im Frühjahr nur durch eine Notfallmaßnahme der EU vor der kurzfristigen Illiquidität bewahrt werden konnte, wurde nun Irland - mit Blick auf mögliche Ansteckungseffekte - geradezu genötigt, den im Zuge der Griechenlandkrise geschaffenen Nothilfefonds in Anspruch zu nehmen. Mit Irland trifft es den einstigen Musterschüler unter den Ländern, die eine Konvergenz der Wertschöpfungskraft in Richtung höchstentwickelter EU-Mitgliedsstaaten erreichen wollten.


Tabelle 1: Ausgewählte Wirtschaftsdaten




1996
-2000
2OO1
-2005

2006


2007


2008


2009

2010*

2011*

2012*

A
B
C
9,7
2,2
37,8
5,5
0,8
27,4
5,3
2,9
4,4
5,6
0,0
25,0
-3,5
-7,3
44,3
-7,6
-14,4
65,5
-0,2
-32,2
97,4
0,9
-10,3
107,0
1,9
-9,1
114,3

A=BIP
B=DEFIZITQUOTE
C=SCHULDENSTANDSQUOTE

ANMERKUNGEN: * Geschätzt, Stand Herbst 2010
Quelle: European Economy, Statistical Annex Autumn 2010


Über fast 2 Jahrzehnte wies Irland überdurchschnittlich hohe BIP-Wachstumsraten auf, bis 2007 konnten fast ständig Haushaltsüberschüsse generiert werden, die Schuldenstandsquote Irlands sank auf einen Wert von 25% im Jahr 2007 - einer der niedrigsten Werte in der EU. Dies gelang obwohl (oder weil) Irland zu den EU-Ländern mit den geringsten Steuersätzen und der niedrigsten Staatseinnahmenquote gehört - was als Standortfaktor neben dem Sprachvorteil viele ausländische Investoren anlockte - und weil Irland es vermied, die Sozialausgaben der gestiegenen Wertschöpfungskraft anzupassen. Mit der globalen Finanzkrise und dem Platzen der lokalen Immobilienblase geriet Irlands Wirtschaftsentwicklung früher und in noch größere Turbulenzen als andere EU-Mitgliedsstaaten. Das BIP sank bereits 2008 um 3,5% und 2009 nochmals um 7,6% . Die für 2010 und 2011 prognostizierte Erholung hängt am seidenen Faden, weil die eingeleiteten Konsolidierungsprogramme fast überall in der EU zu einer langanhaltenden Stagnation führen könnten. Selbst unter dem optimistischen Szenario der Tab. 1 für 2011 und 2012 würde sich aber die Schuldenstandsquote gegenüber dem Jahr 2007 mehr als vervierfachen - in nur 5 Jahren! Allein im Jahr 2010 ist aufgrund hoher Kosten für die Stützung des Bankensystems mit diskretionären Staatsausgaben zu rechnen, die die Defizitquote auf über 30% des BIP anschwellen lässt.

Vor diesem Hintergrund scheint es verständlich, wenn die Finanzmarktteilnehmer das Ausfallrisiko irischer Staatsanleihen höher bewerten als für deutsche Staatsanleihen - obwohl die irische Schuldenstandsquote nur wenig höher ist als die deutsche Schuldenstandsquote und sehr viel niedriger als z.B. die japanische Schuldenquote, ohne dass Japan entsprechend hohe Zinssätze bezahlen müsste. Hierin nämlich liegt das eigentliche Problem: Mittlerweile hat sich der Zinssatz auf irische Staatsanleihen gegenüber Anfang 2010 mehr als verdoppelt und liegt damit fast dreimal so hoch wie die Zinsen auf deutsche Staatsanleihen. Gewöhnlich wurde diese Marktreaktion als gerechte Bestrafung für finanzpolitische Sünder empfunden - aber Irland hat offenbar in der Vergangenheit nicht gesündigt. Allenfalls kann hier ein Entwicklungsmodell als dauerhaft nicht nachhaltig angeprangert werden, dass auf Steuerdumping setzt.

Die Inanspruchnahme des EU-Hilfsfonds durch Irland, gerechtfertigt durch die Schuldlosigkeit Irlands, die Verhinderung eines Flächenbrandes (Portugal, Spanien, ...) und letztlich auch die zu erwartenden negativen Auswirkungen auf die heftig involvierten Finanzsektoren in den anderen EU-Staaten, impliziert Bürgschaften der Eurozone-Länder. Dafür bekommt Irland Kredite zu deutlich niedrigeren Konditionen als im Falle der Emission eigener Anleihen, andererseits haften die bürgenden Eurozone-Länder auch für einen gewissen Anteil der an Irland vergebenen Mittel - ca. 85 Mrd.. Sollten diese Forderungen uneinbringlich werden, würden also die Steuerzahler in diesen Ländern für Irland aufkommen müssen. Im viel wahrscheinlicheren Falle der Rückzahlung durch Irland erhalten die Gläubiger - insbesondere internationale Finanzmarktteilnehmer wie Banken und institutionelle Anleger - ihre angelegten Gelder samt Zinsen zurück. Hieran, dass die Finanzmarktteilnehmer eigentlich kein eigenes Risiko tragen, sondern nur die Eurozonen-Länder als Bürgen, macht sich moralische Empörung und die Forderung fest, die Gläubiger müssten stärker in die Haftung genommen werden. Was das genau heißt, ist aber unklar. Wenn es bedeuten soll, dass die Gläubiger im Falle der Insolvenz eines Staates - hier also Irland - wenigstens einen Teil der ausgegebenen Kredite nicht von den Bürgenden Eurozonen-Ländern - zurückgezahlt bekämen, dann wäre dies vielleicht moralischer Balsam auf die Seele der Bankenkritiker. Es wäre aber ökonomisch unsinnig. Unsinnig deshalb, weil jedes verbliebene Insolvenzrisiko automatisch zu einem Anstieg der Risikoprämie - also des Zinses auf die Staatsschuld - zu bezahlen wäre. Womit der gewünschte Effekt - die Senkung der Zinskosten - verloren ginge. Es bleibt wohl dabei: Märkte lassen sich nicht von außen 'moralisieren'. Wohl aber steuern und regulieren. Selbst über eine Verstaatlichung des Bankensektors muss wohl spätestens nach der nächsten globalen Finanzkrise ernsthaft nachgedacht werden.


Dr. Arne Heise ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Hamburg.


*


Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 6/2010, Heft 181, Seite 49-50
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Februar 2011