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FINANZEN/075: Rating-Agenturen - Club der teuren Schätzer (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 18 vom 7. Mai 2010
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Club der teuren Schätzer
Mit der Griechenland-Spekulation sind die Rating-Agenturen ins Gerede gekommen

Von Klaus Wagener


Als 1897 der "Seattle Post-Intelligencer" mit der Schlagzeile "Gold! Gold! Gold! Gold!" aufmachte, setzte das hunderttausend "Stampeders" in Richtung Klondike in Bewegung. Die meisten Goldsucher kehrten, wenn sie nicht umkamen, völlig verarmt aus Alaska zurück. Der wirkliche Profit war wesentlich risikoärmer zu machen. Denn wer über den Chilkoot-Pass wollte, brauchte eine Tonne an Lebensmitteln und Ausrüstung. Der erforderliche Aufwand an Gerät, Verpflegung und Serviceleistungen entsprach in etwa dem Wert des geförderten Goldes. Wie immer kassieren die Geschäftemacher hinter den Glücksrittern die eigentliche Kohle.

Hundert Jahre später, in der Goldrausch-Ära des 21. Jahrhunderts, gibt es ähnliche Geschäftsmodelle. Eins davon ist der Handel mit Informationen. Im Zockergewerbe ist die frühzeitige und möglichst exklusive Information von ausschlaggebender Bedeutung. Die Fähigkeit die Zukunft vorhersagen zu können wäre vergleichbar mit der Möglichkeit Geld zu drucken. Eine Information kann statt katastrophaler Pleiten gigantische Profite entstehen lassen und umgekehrt. Insbesondere komplexe und hochgehebelte "Finanzprodukte" lösen ein immenses Bedürfnis nach Information aus. Hier gibt es Abhilfe.

Wie seinerzeit die Information über die Goldfunde in Alaska bewegt auch die Information über das unendliche Wachstum der Informationstechnologie, das immerwährende Steigen der US-Immobilienpreise die Menschen und die Dollars. Die Gier nach dem schnellen Reichtum geht einher mit der Sehnsucht nach Sicherheit. Der - irrationalen - Hoffnung, dem eigenen Vabanque-Spiel mit der Scheinsicherheit konkreter Zahlen eine solide Fundierung zu geben. Dieses Bedürfnis nach dem sicheren Tipp ist so alt wie die Spekulation. Und so unsinnig. Mit dem Aufstieg des Aktienkapitals zur dominanten Unternehmensform vollzog sich nicht nur der Aufstieg des professionellen Zockers zur gesellschaftlichen Leitfigur, sondern auch der Aufstieg der privaten Spekulationsberatung zur offiziellen Institution.

Aus dem Sammeln von Daten und Aufstellen von Statistiken für die Eisenbahnspekulation des 19. Jahrhundert ist längst ein Rating, eine Bewertung für alles und jedes geworden. Dazu gibt es einen ausdifferenzierten Schlüssel. Bei der ältesten des Trio Infernal der internationalen Rating-Szene, der 1909 gegründeten Agentur Moody's, reicht er von "Aaa" für beste Schuldner bis zu "C" für Zahlungsverzug. Alles unter "Baa" gilt als "Junkbonds", Ramschanleihe. Fitch (1913) und Standard & Poor's (1941) verfügen noch über das "D" für Zahlungsausfall.

Zum Durchbruch verhalf dem Rating-Gewerbe die große Depression der 1930er Jahre. Um die wüsten Spekulationsexzesse in Zukunft zu verhindern, durften Banken ab 1936 nur noch Papiere mit "Investmentgrade"-Rating übernehmen. Also "Baa" und besser. Damit waren die Agenturen als eine Art Wertpapier-TÜV praktisch immer mit im Spiel. Mit der Liberalisierung des Kapitalmarktes erfolgte 1975 die Monopolisierung des Rating-Gewerbes. Unternehmen, die sich auf dem US-Kapitalmarkt refinanzieren wollen, benötigen ein Rating von zwei Agenturen. Zugelassen dafür sind von der US-Börsenaufsicht SEC (United States Securities and Exchange Commission) die berühmt-berüchtigten Drei: Moody's, Fitch und S&P. In Deutschland von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Und schließlich hat mit "Basel II", dem Abkommen über die Bankeneigenkapitalvorschriften, das Trio Infernal auch bei der Ermittlung der Kreditausfallrisiken, von denen u. a. die Höhe des erforderlichen Eigenkapitals abhängt, eine weitere zentrale Position bei der Aufsicht über das Kreditgewerbe erobert. Mittlerweile liegt der Marktanteil der großen Drei bei weit über 90 Prozent.

Das Rating-Gewerbe ist somit längst zu einer zentralen Steuerungseinheit des Finanzkapitals herangewachsen. Von seinen Bewertungen hängen nicht nur millionenfache individuelle und institutionelle Investitionen ab, sondern auch wichtige Entscheidungen der Zentralbanken. Daher sind massive Interessenkollisionen unvermeidlich. Hier gilt wie überall: Wer die Musik bezahlt ... Rating-Agenturen werden in der Regel von jenen bezahlt, die bewertet werden wollen. Ihre Bewertungen gelten rechtlich als "Meinung", woraus sich so gut wie keine Konsequenzen ableiten lassen. (Hier herrscht ausnahmsweise einmal Realismus.) Wohin das führt, hat man beim Aufblasen der Finanzblase, welche der Krise vorausging, gut studieren können. Ohne die - wohlwollende - Mitwirkung der Rating-Agenturen hätte die massenhafte, mehrfache Verbriefung der wackeligen US-Hypotheken, insbesondere des Subprime-Segmentes, nicht funktionieren können.

Neben Firmen, Banken, Versicherungen und Fonds bewerten Rating-Agenturen auch ganze Staaten. Auch hier gibt es den Konflikt zwischen den Interessen der Spekulation nach Kursbewegung (Volatilität) und denen der Staaten nach Stabilität. Im Fall Griechenland hat man gesehen, welches überwiegt. Innerhalb weniger Wochen änderte sich die Bewertung drastisch. Ohne dass sich ökonomisch bei den Fundamentaldaten irgendetwas wesentliches getan hätte. Da nach einer Herabstufung unter "investmentgrade" (Baa) viele institutionelle Anleger die Anleihen nicht mehr halten können, ist damit der Weg in die Pleite vorgegeben. Die Herabstufung durch die Agenturen und die Erhöhung der Kreditausfallversicherung (CDS) und der Anleiherendite schaukeln sich gegenseitig so lange hoch, bis das Opfer in die Knie geht.

Nun haben sich neben dem "gewerkschaftsnahen Wirtschaftsweisen" Peter Bofinger und IWF-Chef Dominique Strauss-Kahn auch noch Horst Köhler und Guido Westerwelle für eine stärkere Kontrolle der Rating-Agenturen ausgesprochen. Das macht Hoffnung. Seit 2009 wird ja laut Bundesregierung alles kontrolliert. "Kein Finanzprodukt darf mehr ungeregelt und unkontrolliert bleiben" (Peer Steinbrück, G20-Treffen, London). Aha. Das war ja eine tolle Kontrolle, bei der die Renditen der Spekulanten durch die Decke schossen. Mit Horst Köhler und Guido Westerwelle an der Spitze wird sich die Regulierung der Rating-Agenturen wohl zu ähnlichen Höhenflügen aufschwingen.


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 42. Jahrgang, Nr. 18,
7. Mai 2010, Seite 5
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 18. Mai 2010