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FINANZEN/036: Der G20-Gipfel in Pittsburgh - Symbolpolitik statt grundlegender Reformen? (Haus Rissen)


HAUS RISSEN
Internationales Institut für Politik und Wirtschaft

Der G20-Gipfel in Pittsburgh - Symbolpolitik statt grundlegender Reformen?

Aktuelle Analyse Nr. 191 vom 21. September 2009
Von Johannes Klocke


Vor über einem Jahr schlitterte die Weltwirtschaft in die schwerste Krise seit der Großen Depression. Nachdem sich die internationale Staatengemeinschaft zunächst der Krisenbekämpfung zugewandt hat, sind die Reformprozesse des Finanzwesens vehement voranzutreiben. Es ermangelt hier weder einer entschiedenen Rhetorik der G20-Staaten, noch einem beharrlichen Beschlussfassungswillen, noch detaillierter Studien hochrangig besetzter Kommissionen und Gremien. Aber worin mündet all dies? Angesichts der sich abzeichnenden weltwirtschaftlichen Erholung beginnt sich das Zeitfenster für eine grundlegende Re-Regulierung des Finanzsystems und eine Neuordnung der internationalen Finanzarchitektur langsam aber sicher zu schließen. Eine Rückkehr zum Tagesgeschäft birgt umso mehr Gefahren, da die weltwirtschaftlichen Regenerationstendenzen mit vielfältigen Unsicherheits- und Risikofaktoren wie steigender Arbeitslosigkeit und Kreditengpässen behaftet sind. Darüber hinaus ist das Finanzsystem weiterhin erheblich beschädigt, die globalen Ungleichgewichte bestehen fort, und die Staatsschulden erreichen astronomische Höhen. All diese destabilisierenden und den nachhaltigen Aufschwung massiv gefährdenden Faktoren lassen ein baldiges abermaliges Abgleiten der Weltwirtschaft ein nicht unwahrscheinliches Szenario werden.

In Anbetracht dessen wird der G20-Gipfel am 24. und 25. September 2009 in Pittsburgh richtungweisend für den künftigen Fahrplan der internationalen Reform-Agenda sein. Dass oberflächlichen Reformen wie der "Volksbesänftigungsmaßnahme" Boni-Begrenzung der Vorzug vor fundamentalen und langfristig notwendigen Maßnahmen gegeben werden könnte, käme einem Offenbarungseid der G20-Staaten gleich.


Was bisher (nicht) geschah

Die teils zweifelhafte Qualität der G20-Beschlüsse veranschaulicht folgendes Beispiel: Nachdem sich die G20-Nationen im November 2008 in Washington verpflichtet hatten, keine protektionistischen Maßnahmen zu ergreifen, kündigten anschließend gleichwohl 17 der 20 Länder diese an. Dessen ungeachtet wurden jedoch bereits auch Schritte in die richtige Richtung unternommen. Unter der Federführung des neu gegründeten Financial Stability Board (FSB) wird ein makroprudentielles Maßnahmenpaket zur Stärkung und zum Ausbau der Regulierung, der Aufsicht und dem Risikomanagement des Banken- und Finanzsektors eingeleitet. Dies beinhaltet wichtige Elemente wie beispielsweise antizyklische Kapitalreservevorschriften und strengere Liquiditätsauflagen, eine Begrenzung des zulässigen Verschuldungsgrads und erhöhte Eigenkapitalregeln für systemische Banken. Allerdings dürfte mit einer Implementierung frühestens 2011 zu rechnen sein! Weiterhin hervorzuheben sind die voranschreitenden Stimmrechtsreformen der Weltbank und des Internationalen Währungsfonds (IWF). Darüber hinaus wurde der IWF bereits mit neuen Finanzressourcen in Höhe von 250 Mrd. US-Dollar ausgestattet, und zusätzliche Sonderziehungsrechte (SZR) wurden zugeteilt. Letzteres geschah jedoch leider ohne für eine entwicklungspolitisch sinnvolle Verwendung der neuen Liquidität Sorge zu tragen. Dies hätte beispielsweise mittels eines direkten Transfers der an die Industrienationen ausgegebenen SZR hin zu den Entwicklungsländern erfolgen können.


Was geschehen muss: Vier Großbaustellen

1. Aufsicht und Regulierung

Nicht nur die Reform von Regulierung und Aufsicht der Finanzmärkte und ihrer verschiedenen Akteure wie Banken, Finanzinvestoren und Rating-Agenturen ist von höchster Priorität. Denn obwohl Kartellpolitik integraler Bestandteil des Kapitalismus ist, wird sie nicht auf Finanzinstitutionen angewandt. Da staatlich forcierte Bankübernahmen während der Finanzkrise aber zur Schaffung von noch größeren, mit erheblicher Marktmacht ausgestatteten Finanzkonglomeraten wie der Bank of America geführt haben, erhöhen sich die systemischen Risiken erheblich und tragen zur Erpressbarkeit des Staates bei. Die Dringlichkeit einer Kartellpolitik für Finanzinstitute bekräftigten unlängst Yale-Ökonom Robert Shiller und Wirtschaftsnobelpreisträger Joseph Stiglitz. Erhöhte Eigenkapitalanforderungen für systemische Großbanken sind lediglich ein Tropfen auf den heißen Stein.

2. Globale Ungleichgewichte

Ein weiterer weißer Fleck auf der G20-Agenda sind die fortbestehenden großen globalen Ungleichgewichte der Waren- und Kapitalströme, die sich in den Zahlungsbilanzungleichgewichten widerspiegeln, und maßgeblich zur Krisenentstehung beigetragen haben. Da die eigentlich ausgleichend wirkenden Wechselkursmechanismen durch Spekulationen und politische Eingriffe ausgehebelt werden, könnte ein multilaterales Wechselkursmanagement, wie von der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD) vorgeschlagen, übermäßigen Ungleichgewichten im internationalen Handel entgegenwirken. Selbstverständlich erfordert die Umsetzung eines derartigen Mechanismus einen internationalen Konsens und ist nicht von heute auf morgen möglich. Dennoch gehört dieses Thema auf die Tagesordnung der G20.

3. Staatsschulden

Der massive Aufbau von Staatsschulden im Zuge der Rezessionsbekämpfung wird die staatliche Handlungsfähigkeit über Jahre hinweg nicht nur stark einschränken, sondern kann schlimmstenfalls in einer Schuldenkrise münden, wie von Ex-IWF-Chefvolkswirt Kenneth Rogoff befürchtet. Daher müssen sich die G20-Staaten dem Abbau der untragbaren Staatsschulden widmen. Auch der IWF forderte jüngst eine Offenlegung der staatlichen fiskalischen Risiken, und spricht sich darüber hinaus für konkrete staatliche Pläne zum Ausstieg aus den verschiedenen Hilfen, Beteiligungen und Garantien aus. Hierbei ist eine internationale Koordinierung dringend notwendig. Eine innovative Idee zum Abbau der Staatsschulden, die gleichzeitig dem Klimaschutz zugute käme, stammt von Jakob von Weizsäcker. Die Staaten sollten nach einem Abklingen der Krise durch ökologische Steuern und Einnahmen aus CO2-Emissionsauktionen zur Schuldenreduktion beitragen.

4. Entwicklungsländer

Während in Deutschland und den USA bereits das Ende der Rezession ausgerufen wird, verschlechtert sich die Lage in vielen Teilen der Welt, insbesondere in den Entwicklungsländern. Sinkende Exporte, Zahlungsbilanzprobleme und begrenzte fiskalische Spielräume machen Konjunkturprogramme unmöglich. Umso schwerer wiegt es, dass bei der Neuzuteilung der SZR die entwicklungspolitische Komponente außer Acht gelassen wurde, und nicht einmal die Hälfte der von der internationale Staatengemeinschaft zugesagten Gelder in Höhe von 3,7 Mrd. US-Dollar für das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) eingetroffen sind. Da die Bedienung der Auslandsschulden nur auf Kosten von dringend notwendigen Importen zu leisten ist, bedarf es internationaler Unterstützung. Denkbar wäre beispielsweise ein temporäres Moratorium der offiziellen Schuldendienste, wie es im aktuellen Trade & Development Report der UNCTAD gefordert wird. Somit würde nicht nur der finanzielle Spielraum der Entwicklungsländer erhöht, sondern auch die globale Nachfrage gestützt werden.


Die Verhandlungspositionen der USA, Europas und Chinas

Die Europäische Union demonstriert nach ihrem Sondergipfel am 17. September Geschlossenheit, und will insbesondere die Beschneidung der Manager-Boni forcieren und Eigenkapitalregeln für systemische Finanzinstitutionen verschärfen. Ersteres würde die EU notfalls auch allein auf europäischer Ebene angehen, da seitens der Obama Administration ein derartiges Vorgehen abgelehnt wird. Während die Vereinigten Staaten ihre Unterstützung für Finanzregulierungs- reformen zusagen und einer globalen Strategie große Bedeutung beimessen, kommen die Re-Regulierungsanstrengungen im eigenen Land ins Stocken und stoßen im Kongress auf Widerstand. Es bleibt zu hoffen, dass die USA die für sich beanspruchte internationale Führungsrolle im Reformprozess des Finanzwesens auch imstande sind auszufüllen. Während Michael Froman, Obamas Verhandlungsführer beim bevorstehenden Weltfinanzgipfel, neben der Regulierung auch die Finanzierung des IWF und die Fortsetzung staatlicher Konjunkturförderung auf die Tagesordnung setzen will, wachsen derweil die aufkeimenden Spannungen zwischen den USA und China. Ausgelöst durch amerikanische Schutzzölle auf chinesische Autoreifen und die angedrohte Erhebung von CO2-Importzöllen, könnten die Verhandlungen in Pittsburgh unnötig belastet werden. Zentrales Anliegen Chinas, als Speerspitze der Entwicklungsländer, und vorrangig aus Eigeninteresse, sind die Stimmrechtsreformen im IWF und anderen internationalen Organisationen.

Prinzipiell ist der G20-Prozess richtig. Fraglich und problematisch ist jedoch, dass Themen wie der Bonuszahlung höhere Priorität beigemessen wird als beispielsweise den globalen Ungleichgewichten. Dass auch die schwerste Wirtschaftskrise seit der Großen Depression nicht ausreichen sollte, um grundlegende Reformen und eine umfassende Neuordnung der internationalen Finanzarchitektur anzustoßen, wird immer wahrscheinlicher.


Dipl.-Volkswirt Johannes Klocke ist seit August 2009 Associate am HAUS RISSEN HAMBURG

HAUS RISSEN HAMBURG vereint seit seiner Gründung 1954 die Arbeit eines Bildungsinstituts mit der einer überparteilichen Denkfabrik. Es widmet sich sicherheits- und geopolitischen Themen und war unter anderem Gründungssitz des deutschen Club of Rome. Heute bietet HAUS RISSEN HAMBURG maßgeschneiderte Fortbildungen für Militär, Unternehmen, Verwaltung und Schulen - in über 100 Seminaren, Briefings, Vorträgen und Veranstaltungen jährlich.


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Quelle:
Aktuelle Analyse Nr. 191 vom 21.09.2009
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. September 2009