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ENERGIE/2363: Strom ohne Kohle (idw)


Westfälische Hochschule - 03.04.2019

Strom ohne Kohle


Die von der Bundesregierung einberufene Kommission für "Wachstum, Strukturwandel und Beschäftigung" hat Anfang des Jahres ihren Ausstiegsplan aus der Kohleverstromung veröffentlicht. Spätester Ausstiegszeitpunkt soll das Jahr 2038 sein. Energieexperte Prof. Dr. Ralf-Michael Marquardt vom Energieinstitut der Westfälischen Hochschule hat gemeinsam mit einem Team von Master-Studierenden die Verbände um ihre Meinung gebeten, die nicht in der Kommission vertreten waren. Dabei geht es um Versorgungssicherheit, Wirtschaftlichkeit und Strukturwandel.

Recklinghausen. Die Mehrheit der Antwortenden war der Ansicht, dass Deutschland sowohl aus der Braunkohle- als auch aus der Steinkohleverstromung aussteigen müsse, wenn es sein Kohlendioxid-Ziel 2040 erreichen will. Knapp 30 Prozent halten das nicht für nötig. Sie wollen lieber den Öl- und Gasverbrauch senken, um die Treibhausgasemissionen zu mindern. Eine Mehrheit sprach sich dafür aus, daneben auch den Primärenergieverbrauch zu senken und den Handel mit Emissionszertifikaten anzupassen.

Dass die Versorgungssicherheit durch den Kohleausstieg gefährdet sein könnte, glaubt etwas mehr als die Hälfte nicht, vor allem die Naturschutzverbände glauben das nicht. Skeptischer sind dabei die Unternehmerverbände und auch Prof. Dr. Ralf-Michael Marquardt hält große Anstrengungen für erforderlich, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Manche sagen den ersten Engpass für 2023 voraus, wenn Deutschland aus dem Atomstrom aussteigt. Immerhin 15 Prozent befürchten für diesen Fall ernste gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Folgen. Auf jeden Fall solle der Umfrage zufolge parallel der Ausbau der regenerativen Energien, der Netze und die Förderung der Speichertechnologie vorangetrieben werden. Überdies müssten die Anreize zum Energiesparen verstärkt werden. Drei von vier Antwortenden glaubten nicht daran, dass es reiche, nur die Energieerzeugung zu vergüten, sondern dass es nötig sei, auch die Bereitstellung von Energie zu vergüten.

Am Stammtisch heißt es gerne: "Wenn wir gerade mal nicht genug Energie haben, können wir sie ja im Ausland einkaufen." Ist das so? 70 Prozent glauben daran nicht, sondern daran, dass Engpässe im europäischen Netzbereich so gleichzeitig eintreten, dass das mit dem Zukauf nicht funktionieren werde. 44 Prozent setzen beim Speichern von Überproduktion auf die Gasspeicherung. Von einem Ausweichen auf ausländische Wasserspeicher raten mehr als die Hälfte ab.

Und was macht der Preis? Fast drei Viertel der Befragten gehen von einem Anstieg der Großhandelspreise für Energie aus. Vor allem für energieintensive Branchen wie Papier-, Glas-, Chemie- und die Nicht-Eisen-Metallindustrie wird eine Wettbewerbsgefährdung befürchtet. Entschädigungen für Kraftwerksbetreiber infolge des Kohleausstiegs halten viele für unangemessen. Sie könnten jedoch unvermeidbar sein, vor allem um die Renaturierung der betroffenen Flächen und die sozial verträgliche Anpassung der Belegschaften zu sichern.

Um den Strukturwandel zu fördern, fordert ein Großteil der Antwortenden begleitende staatliche Maßnahmen, vor allem für die (digitale) Infrastruktur, für Umschulungen, Fortbildungen und für Studienangebote. Außerdem sollten Forschungsinstitute und Behörden angesiedelt werden. Das Fazit der Forscher: Von den Verbänden, die sich äußerten, meinte die Mehrheit, der Ausstieg aus der Kohleverstromung sei zur Wahrung der Klimaziele unverzichtbar. Auch sei eine Stilllegung frei werdender Kohlendioxid-Zertifikate infolge des Kohleausstiegs erforderlich. Überdies sollen die Energieeffizienz erhöht und der Verbrauch verringert werden.

Neben dem Ausbau erneuerbarer Energien solle die Weiterentwicklung vor allem von Gas-Speichertechnologien vorangetrieben werden und die Umrüstung von Steinkohle- auf Gaskraftwerke gefördert werden. Im Arbeitsplatzverlust wird kein großes Risiko gesehen, viele glauben an gute bis sogar sehr gute Chancen zum Aufbau neuer Arbeitsplätze. Bei einem sind sich die Befragten allerdings auch mehrheitlich einig: Es wird erst einmal teurer.

Umfragebasis: Angeschrieben wurden 159 Interessenvertretungen aus Energiewirtschaft, Naturschutz, stromintensiven Industrien und von Beschäftigten. Fünf Prozent waren Gewerkschaften, zwei Prozent Verbraucherverbände. Die größte Gruppe war die der Unternehmerverbände, gefolgt von Naturschutzverbänden. 42 Verbände haben geantwortet.



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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Westfälische Hochschule, 03.04.2019
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E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. April 2019

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