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ENERGIE/1662: Energiewende sozial verträglich bewältigen (spw)


spw - Ausgabe 5/2012 - Heft 192
Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

Energiewende sozial verträglich bewältigen

Von Steffen-Claudio Lemme



Spätestens seit dem verheerenden Atomunfall in Fukushima, der Hunderten von Menschen das Leben kostete und eine ganze Region für Jahrhunderte einer Strahlenbelastung aussetzte, hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass wir uns über die Energieversorgung der Zukunft Gedanken machen müssen. Die Bundesregierung legte daraufhin eine Rolle Rückwärts hin und nahm den Ausstieg aus dem Ausstieg aus der Atomenergie wieder zurück.

Das Ende der Stromerzeugung mittels Atomkraftwerken ist eingeläutet und das ist auch gut so, denn eine zuverlässige, umweltverträgliche und bezahlbare Energieversorgung ist das Herzstück für die nachhaltige Entwicklung einer Industriegesellschaft. Der zukünftige Energiemix kommt ohne Atomkraft aus. Die Bundesrepublik Deutschland befindet sich in einem Prozess, der auf die grundlegende Neugestaltung der Energieversorgung zielt.

So ist der Strommarkt von einem zunehmenden Anteil von Erneuerbaren Energien geprägt. Der Grünstrom hatte im Jahr 2000 einen Anteil von 6,4 Prozent am Bruttostromverbrauch. Bis zum ersten Halbjahr 2012 ist der Anteil auf 25 Prozent angestiegen. Wahrend die Steigerung in den Jahren bis 2010 etwa ein Prozent pro Jahr betrug, lag sie 2011 bei drei und im ersten Halbjahr 2012 bei 5 Prozent. Dieser sprunghafte Anstieg führt zu Verwerfungen im Energiemarkt, weil bisherige Preisbildungsmechanismen nicht auf diese Entwicklung eingestellt sind.

Wind und Photovoltaik haben marginale Kosten von nahe Null, so dass in dem auf marginalen Kosten basierenden Strompreisbildungsmodell Fixkosten der Erzeugung immer weniger verdient werden. Gleichzeitig wird aber eine Deckung von Fixkosten neuer Anlagen immer dringlicher. Auf Dauer ist es geboten, die Preisbildung an diese geänderten Verhältnisse anzupassen: Ein stetig zunehmender Trend von Grenzkosten bei oder nahe Null auf der einen Seite und die Notwendigkeit zur Refinanzierung von Back-up-Kapazitäten andererseits, die jedoch über die Strompreisbildung nicht realisiert werden können, zwingen absehbar dazu, die Strompreisbildung zu korrigieren.

Die öffentliche Debatte zur Energiewende ist geprägt von Mahnungen, dass die Energieversorgung und insbesondere der Strompreis zunehmend teurer wird. Als verteuernde Elemente werden der notwendige Netzausbau, die Belastungen aus der EEG-Umlage und der trotz stark steigendem Grünstromanteil noch notwendige Zubau von konventionellen Kraftwerken genannt.

Eine dieser Mahnungen bezieht sich auf die Tatsache, dass die in den letzten Jahren ständig ausgeweiteten Ausnahmetatbestände bei Stromsteuer, EEG-Umlage und Netznutzungsentgelten den Strompreis für nicht privilegierte Verbraucher belasten. Deshalb sollten diese Entlastungstatbestände nur für jene besonders stromintensiven Unternehmen gelten, die im internationalen Wettbewerb stehen und deren Produktpreis sich vorwiegend an internationalen Handelsplätzen bildet. So war es unter Rot/Grün auch bei der Ökosteuer festgeschrieben. Unternehmen, die im Jahr eine Strommenge von 10 Gigawattstunden verbrauchen, wurden als energieintensiv geführt und mussten somit weniger EEG-Umlage und weniger Stromsteuern zahlen. Seit diesem Jahr wurden diese Vergünstigungen auf Unternehmen mit einen Stromverbrauch von nur noch einer Gigawattstunde pro Jahr ausgeweitet. Die Folge ist, dass mittlerweile 1.600 Firmen statt vorher 540 eine solche Entlastung erfahren.

Mit anderen Worten: Statt 2,1 Milliarden Euro werden künftig bis zu 3,2 Milliarden Euro an Erneuerbarer-Energien-Umlage von kleinen Unternehmen und von den Privathaushalten bezahlt. Da fragt sich natürlich auch der kleine Handwerker, weshalb er eigentlich für ein großes Kaufhaus die EEG-Umlage zahlen soll. Und auch die Rentnerin fragt sich, wieso sie eigentlich die Kosten schultern soll, damit ein Hotel entlastet werden kann. Diese besondere Ausgleichsregel ist einzig und allein für die energieintensiven Unternehmen geschaffen worden, weil wir die Arbeitsplätze und Deutschland als Industriestandort erhalten wollen. Das ist eine nicht hinnehmbare Klientelpolitik von schwarz-gelb, die im Interesse kleinerer Unternehmen und der privaten Haushalte zu korrigieren ist.

Zumal wir bereits ein Problem der Energiearmut in unserem Lande haben. Nach jüngsten Schätzungen von Verbraucherverbänden sollen im Jahr 2011 bis zu 800.000 Haushalte in der Bundesrepublik von Stromabschaltungen betroffen gewesen sein - meist arme Haushalte, Rentner mit niedrigen Alterseinkünften oder Bezieher von Sozialleistungen.

Ein weiterer wichtiger Aspekt an dieser Stelle ist die Energieeffizienz. Energieeinsparungen müssen im Hinblick auf den Klimaschutz Ziel sein. Mit der Ausweitung der Vergünstigungen erreichen wir genau das Gegenteil. Ein verpflichtendes Energiemanagement als Voraussetzung für die Begünstigung bei der Energiesteuer wäre ein Schritt in diese Richtung.

Ein weiterer wichtiger Beitrag der Politik zu bezahlbaren Energiepreisen, insbesondere für private Haushalte mit niedrigen Einkommen ist die Stärkung des Wettbewerbs auf dem Energiesektor. Derzeit beherrschen einige wenige große Energiekonzerne den Strommarkt, so dass sich der Wettbewerb in Grenzen hält.

Um die Energiepreise für private Haushalte von Geringverdienern in einem erträglichen Maß zu halten, müssen Sozialtarife eingeführt werden. So wird der durchschnittliche Stromverbrauch einer vierköpfigen Familie mit etwa 3.000 Kilowattstunden pro Jahr beziffert. Diese Strommenge muss also günstiger angeboten, für darüber hinausgehende Mengen ein höherer Preis angesetzt werden.

Dabei darf allerdings nicht zugelassen werden, dass Sozialtarife zum Wettbewerbsnachteil für kleine Stromanbieter werden, da diese nicht in der Lage sind solche Preise in anderen Bereichen auszugleichen. Die Monopolstellung der Energieriesen ist daher einzuschränken und kleineren Anbietern eine faire Wettbewerbschance zu ermöglichen.

Durch mehr Transparenz auf dem Strommarkt müssen die Menschen dazu animiert werden, Strompreise stärker zu vergleichen und vor einem Anbieterwechsel nicht zurückzuschrecken. Dies stärkt wiederum den Wettbewerb und wirkt sich positiv auf die Preisentwicklung aus. Die Verbraucher haben so einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Strompreise.

Auch das Handwerk, in der Regel nicht so energieintensive Betriebe, beklagt stetig steigende Energiekosten. Nicht alle Handwerksbetriebe sind in der Lage die Kosten vollständig auf den Kunden umzulegen, ohne sich damit einen erheblichen Wettbewerbsnachteil zuzufügen. Weiter steigende Energiepreise können so der Konjunktur erheblichen Schaden zufügen.

Viele Betriebe versuchen durch Energieeinsparungen diesen Entwicklungen entgegenzuwirken. Vor dem Hintergrund der Klimaveränderungen, kann das nur begrüßt werden, auch wenn der Grund für die Sparmaßnahmen alarmieren muss.

Bei der Diskussion über die Energiewende darf allerdings nicht außer Acht gelassen werden, dass der Strompreis nicht allein für die stetig steigende finanzielle Belastung der Menschen in Deutschland verantwortlich ist. Eine ganz entscheidende Rolle spielt hier auch der Ölpreis. Dieser wirkt sich einerseits auf die Heiz- und andererseits auf die Mobilitätskosten aus.

Im Interesse des Klimaschutzes muss Energieeinsparung gefördert werden. Eine Maßnahme ist die energetische Gebäudesanierung. Diese Maßnahmen dürfen allerdings nicht einseitig zu Lasten der Mieter gehen.

Derzeit plant die Bundesregierung allerdings eine Aufweichung der Rechte der Mieter. So soll zukünftig eine Mietminderung bei energetischer Sanierung für den Mieter nicht mehr möglich sein. Das heißt, die Menschen müssen für die Dauer der Sanierungsarbeiten erhebliche Belastungen und Einschränkungen der Wohnqualität hinnehmen, können als Ausgleich dafür aber den Mietpreis nicht mindern.

Die Modernisierungsmaßnahmen dürfen zudem nicht zu einer Explosion der Mieten führen. Die Mieten müssen bezahlbar bleiben. Genau das Gegenteil will der Referentenentwurf von Regierungsseite. Er zeigt, dass offensichtlich energetische Modernisierungsmaßnahmen und das soziale Mietrecht gegeneinander ausgespielt werden sollen. Sie nimmt keine Rücksicht darauf, wie belastend die Baumaßnahmen für die Betroffenen sind, ob die Modernisierung sinnvoll und wirtschaftlich ist, ob Energie oder Heizkosten überhaupt eingespart werden oder ob die Miete nach Abschluss der Baumaßnahme noch bezahlbar bleibt.

In vielen Städten Deutschlands haben sich die Mietpreise und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Mieter in den letzten Jahren erheblich auseinanderentwickelt. Viele Mieter sind durch rasant steigende Mieten gezwungen, den oftmals langjährig bewohnten Stadtteil zu verlassen und in günstigere Bezirke, häufig am Rand der Stadt zu ziehen. Auch dieser Entwicklung muss mit klaren Rahmenbedingungen entgegengetreten werden, die eine energetische Gebäudesanierung sozial absichern.

Um hohe Mehrkosten für Mieter durch energetische Modernisierungsmaßnahmen zu vermeiden, muss das Mietminderungsrecht in seiner bestehenden Form beibehalten werden. Es ist insbesondere nicht begründbar und unserer Rechtssystematik fremd, dass Mieter 100 Prozent Leistung bei der Miete bei unvollständiger Gegenleistung aufgrund eingeschränkter Wohnbedingungen erbringen müssen.

Deshalb sind Vorschläge zu befürworten, die Umlagefähigkeit sämtlicher Modernisierungskosten von elf auf neun Prozent zu senken. Ebenso sollten nicht rückzahlbare Förderungen zur energetischen Modernisierung aus der Umlagefähigkeit herausgenommen werden.

Zu fordern ist ferner, dass "Contracting" zur Übertragung des Betriebes beispielsweise der Heizungsanlage auf Dritte lediglich bei einer Steigerung der Energieeffizienz zugelassen werden darf. Es ist sicherzustellen, dass für die Mieter eine Warmmietenneutralität gegeben ist und sie somit vor steigenden Preisen geschützt werden.

Darüber hinaus muss das Mietrecht der fortschreitenden Verdrängung einkommensschwacher Mieter aus bestimmten Stadtteilen entgegenwirken. Dazu sollte die Miete binnen vier Jahren um maximal 15 Prozent - statt wie bisher 20 Prozent in drei Jahren - steigen dürfen. Bei Neuvermietung sollte die Miete zudem die ortsüblichen Vergleichsmieten um höchstens 10 Prozent übersteigen dürfen.

Eine weitere enorme Belastung für die Menschen in Deutschland sind die seit Jahren kontinuierlich steigenden Benzin- und Heizölpreise.

Das Bundeskartellamt hat in einer Untersuchung festgestellt, dass die hohen Kraftstoffpreise auf die marktbeherrschende Stellung fünf großer Ölkonzerne (Aral/BP: 23,5 Prozent Marktanteil, Shell 22 Prozent, Jet 10 Prozent, Total und Esso jeweils 7,5 Prozent) zurückzuführen sind. Es gibt laut Umfrage zwar keine Preisabsprachen, die kartellrechtliche Verfahren nach sich ziehen würden, erhöht aber einer der Konzerne die Preise, ziehen die anderen unmittelbar nach. Die Bundesregierung muss unverzüglich erklären, welche politischen Konsequenzen aus den Ergebnissen zu ziehen sind, auch im Hinblick auf eine mögliche Verschärfung der rechtlichen Rahmenbedingungen. Darüber hinaus wäre insbesondere zu prüfen, in welcher geeigneten Form Maßnahmen zu ergreifen sind, die - wie zum Beispiel in Österreich und Australien - durch rechtliche Vorgabe von Zeiträumen für Preisveränderungen dämpfend auf die Preisentwicklung einwirken können.

Die Marktmacht der großen Ölkonzerne ist mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu beschränken, insbesondere geplante Tankstellenzukäufe sind wie angekündigt ausnahmslos zu stoppen. Es müssen darüber hinaus in geeigneten Fällen konsequent entsprechende Kartellverfahren wegen Wettbewerbsbeschränkungen eingeleitet werden (z.B. unzulässige Preisbindung, nicht genehmigte Unternehmenszusammenschlüsse, Vertragsgestaltungen, sogenannte kartellrechtliche Preisscheren).

Abschließend ist zu sagen, dass es weitgehende Einigkeit über die Notwendigkeit zum Ausstieg aus der Atomenergie sowie die konsequente Nutzung unendlich vorhandener und ungefährlicher Energieträger gibt. Klar muss aber sein, dass die Energiewende nur unter Austarierung der Interessen aller Beteiligten zu machen ist. Es darf nicht dazu kommen, dass die Umstellung auf erneuerbare Energien ausschließlich zulasten der privaten Haushalte und kleiner Unternehmen geht. Ansonsten wird die Akzeptanz der notwendigen Maßnahmen im Zuge der Energiewende bei breiten Teilen der Bevölkerung erheblich gefährdet.

Hier hat die Politik eine Verantwortung regulierend einzugreifen. Die jetzige Bundesregierung stellt die Weichen allerdings in die falsche Richtung. Sie betreibt wieder einmal reine Klientelpolitik. Damit muss endlich Schluss sein. Wir brauchen die Energiewende im eigenen und im Interesse nachfolgender Generationen, aber sozial verträglich.


Steffen-Claudio Lemme ist Mitglied der SPD-Bundestagsfraktion und des Bundesvorstandes der Volkssolidarität und Leiter der AG Sozialpolitik.

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 5/2012, Heft 192, Seite 30-33
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Dezember 2012