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DISKURS/133: Digitaler Kapitalismus - Auf der Suche nach einer neuen Prosperitätskonstellation (spw)


spw - Ausgabe 5/2019 - Heft 234
Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft

Digitaler Kapitalismus - Auf der Suche nach einer neuen Prosperitätskonstellation

von Arno Brandt[1]


Im Folgenden will ich der Frage nachgehen, ob es einen digitalen Kapitalismus geben kann, der sich als eine neue Prosperitätskonstellation durchsetzt und welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um die produktiven und emanzipatorischen Kräfte einer solchen Transformation zur Entfaltung zu bringen. Es geht mir in diesem Zusammenhang nicht um die Frage, welche destruktiven Potentiale mit dem digitalen Kapitalismus verbunden sind, die z.B. Shoshana Zuboff in ihrem Buch über den Überwachungskapitalismus analysiert hat (Zuboff 2018.[2]) Ist also eine längere Phase kapitalistischer Entwicklung denkbar, die wieder von zunehmenden Wachstumsraten der Arbeitsproduktivität[3] gekennzeichnet ist und welche Rahmenbedingungen müssen dafür hergestellt werden?

Warum Prosperitätskonstellation?

Als Prosperitätskonstellation sind Phasen kapitalistischer Entwicklung zu verstehen, die sich aufgrund institutioneller, sozialer und technologischer Innovationen als länger währende Wachstumsschübe auszeichnen (Lutz 1984). Jeder Wachstumsschub setzt die Herstellung einer jeweils neuen Prosperitätskonstellation voraus, wobei es die historisch sehr unterschiedlichen Verläufe von kapitalistischer Prosperität und Krise gemäß ihrer jeweils besonderen Dynamik zu erklären gilt. "Jede Entwicklungsphase bringt einen spezifischen Umgang mit Ressourcen mit sich, hat bestimmte Organisationsformen, bestimmte Formen sozialer Ungleichheit, Ausbeutung u. ä." (Lutz 2011, S. 17). Prosperitätskonstellationen können auf große Krisen und längeren Phasen mit stagnativen Grundton folgen, die mit neuen Basisinnovationen und neuen institutionellen und sozialen Arrangements einhergehen. Derartige Konstellationen bewirken i. d. R. eine Dynamisierung im Wachstum der Arbeitsproduktivität, wobei die jeweilige Art und Weise dieser Erhöhung wiederum die Spezifik der jeweiligen Prosperitätskonstellation kennzeichnet.[4]

Die Frage nach einer neuen Prosperitätskonstellation ist insofern für die demokratische Linke von Relevanz, als sich mit ihrer Beantwortung klärt, welche politisch-strategischen Weichenstellungen sich für linke Politik eröffnen. Meine These lautet, dass sich mit jeder Prosperitätskonstellation auch spezifisch progressive bzw. emanzipatorische Potenziale ergeben, die gehoben werden können, und dass die Hegemoniefähigkeit der demokratischen Linken davon abhängt, ob sie in der Lage ist, diese Potenziale zu identifizieren und sie in eine reformistische Strategie des demokratischen Sozialismus zu integrieren. Überdies sind die Finanzierung sozialer Reformen und öffentlicher Infrastrukturen sowie die Verteilungsspielräume in den gewerkschaftlichen Kämpfen um Löhne und Arbeitszeitverkürzung auf das Engste mit der weiteren wirtschaftlichen Dynamik verbunden[5]: "Productivity isn't everything, but in the long run it is almost everything" (Krugman 1992, S. 11). Höhere Zuwachsraten der Arbeitsproduktivität müssen nicht zwangsläufig zu einem höheren Wirtschaftswachstum führen, sie können auch einen größeren Anteil an Freizeit ermöglichen. Und ein Mehr an Wirtschaftswachstum kann mit völlig unterschiedlichen Lebens-, Arbeits- und Umweltqualitäten einhergehen. Aber ohne Zuwachsraten der Arbeitsproduktivität bleiben die Gestaltungsspielräume für fortschrittliche Politik begrenzt. Zwar verfügt niemand über eine Glaskugel, die zeigen könnte, wohin die Reise auf dem weiteren Pfad kapitalistischer Entwicklung geht, aber die demokratische Linke ist selbst Subjekt bei der Gestaltung des digitalen Wandels und es liegt auch an ihren Reformperspektiven und an ihrer Durchsetzungsmacht, welchen Weg der Prozess der digitalen Transformation nimmt.

Produktivitätsparadoxon der Digitalisierung

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Diffusion der Digitalisierung bereits in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts eingesetzt und vor allem in den 90er Jahren an Dynamik gewonnen hat, um mit dem Platzen der Dotcom-Blase im Jahr 2000 vorläufig zum Erliegen zu kommen. Eine zweite Welle der Digitalisierung, die bis in die Gegenwart anhält, erfolgte im Zuge der Nachwehen der großen Rezession der Jahre 2008/2009. Dieser Digitalisierungsschub ist technologisch u.a. mit einer quantitativen und qualitativen Weiterentwicklung des Internets (Internet der Dinge), neuen Einsatzformen der Robotik und einem Entwicklungssprung in der Technologie der Künstlichen Intelligenz verbunden (Lenzen 2018).

Bemerkenswerterweise hat dieser sich über alle Wirtschaftsbereiche ausdehnende Diffusionsprozess der Digitalisierung zu keiner nennenswerten Erhöhung der statistisch ausgewiesenen Zuwachsraten der Arbeitsproduktivität geführt. In der ökonomischen Theorie wird dieser Widerspruch als "Produktivitätsparadoxon" diskutiert (Hübner 2018, Krämer 2018). Obwohl die technologische Innovation der Digitalisierung an Breite und Geschwindigkeit gewonnen hat, schlägt sie sich nicht in steigenden Zuwachsraten der Arbeitsproduktivität nieder und erzeugt damit keine nachhaltige Welle der Prosperität.

Kurt Hübner vertritt die Auffassung, dass die Digitalisierung der Wirtschaft zu einem neuerlichen Produktivitätsschub führen und damit einen längerfristigen wirtschaftlichen Aufschwung ermöglichen kann. Die der Digitalisierung zugrundeliegende Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) fungiert als "General Purpose Technology" (GPT). GPTs entsprechen dem, was in schumpeterianischer Perspektive als "Basisinnovation" bezeichnet wird, die in der Lage sind, ein neues technologisches Paradigma zu definieren. Solche Innovationen beginnen in ihrem Lebenszyklus noch unstrukturiert und formieren sich erst allmählich zu einer Innovation, die eine breite sektorale Anwendung erlaubt. GPTs zeichnen sich daher dadurch aus, dass zwischen der Markteinführung und den ersten fühlbaren Effekten lange Zeiträume verstreichen können und sie ihre Wirkung nur in Verbindung mit institutionellen bzw. sozialen Innovationen entfalten können (Hübner 2006, S. 58).

Dass technologische Basisinnovationen für sich nicht zu langen Wellen wirtschaftlichen Wachstum führen - wie von der Theorie der Kondratieff-Wellen unterstellt wird - gilt in der wirtschaftshistorischen Wissenschaft mittlerweile als Binsenweisheit. Technologische Basisinnovationen sind eine notwendige, aber noch keine hinreichende Voraussetzung, um eine neue Ära der Prosperität zu begründen (Abelshauser 2006, S. 27). Dazu bedarf es jeweils ergänzender und unterstützender institutioneller Arrangements, die sich schrittweise in einem jahrzehntelangen Prozess herausbilden. Im Unterschied zu politischen Revolutionen können sich industrielle Revolutionen über Jahrzehnte oder gar über ein ganzes Jahrhundert hinziehen (Kiesewetter 1989, S. 20).

Pfadabhängigkeiten im digitalen Kapitalismus

In der Debatte um den digitalen Kapitalismus gibt es neben den Vertretern einer technizistischen Hightech-Euphorie die entgegengesetzte Position, dass die Digitalisierung nicht das Potenzial hat, einen Wachstumsschub auszulösen. Nach Richard Gordon verkörpert sie einfach nicht den gesellschaftlichen Nutzen, wie er von den großen Innovationen Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts ausging (Elektrifizierung, Chemie, Automobilität etc.) (Gordon 2016; S. 329 ff., Krämer 2018). Für Florian Butollo und Sabine Nuss bietet die Digitalisierung lediglich sozio-technische Lösungen, die in historisch spezifische Akkumulationsstrategien integriert werden. "Sie passt sich ein in Tendenzen der Flexibilisierung, Finanzialisierung, Prekarisierung und der systemischen Rationalisierung ganzer Wertschöpfungsketten, die kennzeichnend für die Produktionsmodelle der jüngeren Vergangenheit sind" (Butollo, Nuss 2019, S. 13.) Für die beiden AutorInnen findet der aktuelle Technologieschub im Kontext einer langen Phase schwachen Wachstums statt (ebd. S.16). Das sind zweifellos mögliche Erzählungen der gegenwärtigen technologischen und ökonomischen Entwicklung, die im Diskurs über den digitalen Kapitalismus auch weiterverfolgt werden sollten. Eine andere Erzählung insistiert auf die Tatsache, dass es immer nur signifikant voneinander abweichende Varianten von Kapitalismus gibt und bezieht sich auf die Pfadabhängigkeit des spezifisch deutschen Produktionsmodells.

Es gibt in der Realität keinen "reinen" Kapitalismus, wie er von Karl Marx in "Das Kapital" analysiert wurde, sondern immer nur ständig in Umwandlung begriffene zeitlich-räumliche Konfigurationen der kapitalistischen Produktionsweise. Nach Marx ist "die jetzige Gesellschaft kein fester Kristall, sondern ein umwandlungsfähiger und beständig in Umwandlung begriffener Organismus" (Marx 1972, S. 16.) Auf der zeitlichen Achse hat sich der Kapitalismus immer wieder in einem Prozess der Häutung neu erfunden und auf der räumlichen Achse zu jedem gegebenen Zeitpunkt eine beachtliche Diversität realisiert (Kurz et al. 2018). Ebenso wie der Kapitalismus in seinem Evolutionsprozess seit seinen Anfängen von unterschiedlichen Epochen gekennzeichnet war, zeigen Forschungsarbeiten zu den "Varieties of Capitalism" (Hall, Soskice 2001, Soskice 1999), dass er auf der Ebene der einzelnen Volkswirtschaften jeweils höchst divergierende Ausdrucksformen angenommen hat. Seit der ersten industriellen Revolution - die nicht mit den Anfängen des Kapitalismus gleichzusetzen ist - bis zur industriellen Revolution der Gegenwart ("Industrie 4.0")[6] gab es aufgrund der spezifischen Dialektik von Produktivkraftentwicklung und Produktionsverhältnissen jeweils deutlich unterschiedliche Prosperitätskonstellationen, die wiederum gravierende nationale Besonderheiten aufweisen. Die Ursprünge des "kooperativen Kapitalismus" deutscher Prägung (im Unterschied zum "Wettbewerbskapitalismus" anglo-amerikanischer Prägung und zum staatskapitalistischen Modell chinesischer Provenienz) reichen weit in die Zeit der ersten industriellen Revolution des 19. Jahrhunderts hinein. Die Unterschiede zwischen dem Kooperations- und dem Wettbewerbsmodell sollen im Folgenden exemplarisch durch einen Vergleich des deutschen mit dem US-amerikanischen Modell skizziert werden.[7]

Nach Abelshauser hat sich bereits der preußische Staat zur Zeit der Stein-Hardenbergschen Reformen und damals auch die deutsche Wirtschaft zugunsten kooperativer Formen der Marktbeherrschung entschieden.[8] Auch der spätere deutsche Fordismus weist gegenüber dem amerikanischen Modell deutlich andere Funktionsprinzipien auf und entzog sich weitgehend dem Modell der standardisierten Massenproduktion wie es angesichts der Marktverhältnisse in den USA möglich war (Abelshauser 2003, S. 102 ff.). Aufgrund ihres großen Binnenmarktes konnte die US-amerikanische Industrie zu jener Zeit die Vorteile der Massenproduktion (economies of scale) zur Geltung bringen, während der deutschen Industrie dieser Entwicklungspfad in Ermangelung vergleichbarer Marktverhältnisse versperrt war. Insofern kann für die westdeutsche Wirtschaft nach 1945 auch nur von einem modifizierten Fordismus die Rede sein (ebd., S. 107).

Das deutsche Produktionsmodell war damit mehr oder minder von Anfang an auf Exportmärkte ausgerichtet. "Die deutsche Wirtschaft stieg zur führenden Lieferantin 'nachindustrieller Maßschneiderei' auf, indem sie sich auf anspruchsvolle Einzelfertigung, Kleinserien, Anlagenbau und (...) auf anwendungstechnisch veredelte Massenproduktion konzentrierte, die in spezifischer Weise den Kundenwünschen auf dem Weltmarkt entgegenkam" (Abelshauser 2018, S. 51, vgl. auch Abelshauser 2011, S. 38 ff.). Die komparativen Vorteile der deutschen Industrie liegen seither in der Fähigkeit zur diversifizierten Qualitätsproduktion, die sich auf Exportmärkte und Nischen mit einer relativ niedrigen Preiselastizität der Nachfrage ausrichten. Diese Fähigkeit basiert auf spezifischen institutionellen Arrangements (z.B. duale Ausbildung, Facharbeiterqualifikationen, kooperative industrielle Beziehungen, Verbundwirtschaft und geduldiges Kapital) und begründet bis heute den Kern des deutschen Exporterfolges (vgl. Abelshauser 2018, S. 63, auch Streeck 1991). Vergleichbare Unterschiede zum US-amerikanischen Modell weisen bei allen Differenzen untereinander auch viele der anderen westeuropäischen Volkswirtschaften auf.

Ich halte es daher auch nicht für zielführend, von "dem" digitalen Kapitalismus zu sprechen. Ebenso wie zu früheren Epochen kapitalistischer Entwicklung ist die "Industrie 4.0" in Deutschland durch eine andere Grundaufstellung als in den USA gekennzeichnet. Die deutsche Wirtschaft ist nach wie vor von einer starken industriellen Basis geprägt, die weit in den Dienstleistungssektor ausstrahlt. Die deutsche Industrie mit ihrer festen Verankerung im Maschinen- und Anlagenbau, in der chemischen und in der Automobilindustrie unterscheidet sich signifikant von der digitalen Welt des Silicon Valleys. In der industriellen Kultur der "Industrie 4.0" sind im deutschen Modell nach wie vor Formen des kooperativen Kapitalismus tief eingeschrieben (Cluster, Netzwerke, sozialpartnerschaftliche industrielle Beziehungen etc.).

Vor diesem Hintergrund gehe ich von einer gewissen Pfadabhängigkeit der jeweils nationalen Wirtschaftsmodelle aus, die nur bei Inkaufnahme hoher Transformationskosten und bei einem höchst ungewissen Ausgang für die weitere wirtschaftliche Entwicklung überwunden werden kann. Auch wenn der Kapitalismus der Gegenwart immer mehr aus der Perspektive der Weltmarktintegration gedacht werden muss, ergibt es wenig Sinn, die Suche nach einer tragfähigen Prosperitätskonstellation auf der internationalen bzw. globalen Bühne anzusetzen. Der archimedische Punkt einer Analyse der Wirtschafts- bzw. Produktionsmodelle bleibt daher die jeweils nationale Volkswirtschaft mit ihrem jeweils konkreten Wirtschaftsmodell. Die Schnittmengen, die das deutsche Produktionsmodell mit der anderer westeuropäischer Nachbarländer aufweist, macht die Option der Herausbildung eines europäischen Wirtschaftsmodells denkbar, was in der wachsenden Konkurrenz mit den Wirtschaftskulturen der USA und Chinas noch zu einer zentralen Herausforderung werden kann.[9] Die Globalisierung erweist sich keineswegs als der große Leveler der internationalen Ökonomie (Stiglitz 2010, S. 255 f.). Daher ist die nationale bzw. europäische Orientierung auch in Zeiten weltumspannender Produktionsnetze keineswegs "anachronistisch" (Butollo 2019, S. 199), sondern aufgrund der divergierenden konkreten zeitlich-räumlichen Ausprägungen kapitalistischer Entwicklung zielführend. Vom jeweils nationalen bzw. supranationalen Produktionsmodell können dann die internationalen Prozessketten und ihre Vernetzungen weiterverfolgt werden.[10]

Das Regulierungssystem

Wie schon die bisherigen Überlegungen gezeigt haben, vertrete ich hier die These, dass sich die Entwicklung kapitalistischer Volkswirtschaften nicht linear vollzieht, sondern in längeren Wachstumsschüben, zwischen denen jeweils Phasen mit großen Krisen und stagnativem Grundton liegen. Große Krisen, die sich von kleinen Krisen dadurch unterscheiden, dass sie nicht durch endogene Mechanismen bereinigt werden können, repräsentieren in diesem Zusammenhang die Schnittstellen bzw. Wegscheiden, von denen aus die Suche nach neuen institutionellen Arrangements einsetzt, die im weiteren Verlauf zu einer neuen Prosperitätskonstellation führen können. Die Überwindung großer Krisen kann nur aufgrund weitreichender Veränderungen des gesellschaftlichen Regulierungssystems erfolgen, das in seiner neuen Gestalt Grundlage und Rahmen für eine neue Wachstumsperiode ist.

Nach Burkart Lutz erfolgt die Beendigung einer Phase der Stagnation durch die Durchsetzung neuer Strukturparameter mit deren Hilfe es möglich wird, die Barrieren zu durchbrechen, welche bisher einer weiteren Ausdehnung der industriellen Produktionsweise entgegenstanden (Lutz 1984, S. 62). Diese Strukturbedingungen ökonomischer, sozialer und institutioneller Natur sind in der regulationstheoretischen Literatur begrifflich auf verschiedene Weise ausdifferenziert, aber im Kern handelt es sich um die folgenden Elemente des Regulationssystems (debd. 1984, Hübner 1989, Hollingsworth, Boyer 1997)[11]:

  • Produktion
  • Nachfrage
  • Bildung und Ausbildung (einschließlich Wissenschaft)
  • Industrielle Beziehungen
  • Kapitalmarkt
  • Staat (öffentlicher Sektor)

Nach der fordistischen Ära erfolgte in den 70er Jahren mit der computergestützten Automatisierung eine weitere Weggabelung der industriellen Systeme. Mit der beginnenden Durchdringung der Welt mit Hardware, Software und Internet spielten die Industrien der USA und Deutschlands (West) auf sehr unterschiedlichen Klaviaturen. "Die Industrie spaltete sich in eine, die ganz auf Software setzte, und eine, die ihren Fokus auf den Dingen behielt, auf der Produktion von Gütern, Maschinen und Anlagen. Die USA sollten im ersten Zweig führend werden. Deutschland im zweiten" (Sendler 2018a, S. 109f). Während das Rückgrat des digitalen Kapitalismus in Deutschland die Industrie mit ihren industriellen Plattformen bildet, sind es in den USA die großen Werbe-, Vertriebs-, und Produktplattformen (z. B. GAFA-Konzerne[12]). Daher ist es m. E. auch nicht zielführend das Wirtschaftsmodell des Silicon Valleys als Ausgangspunkt für eine Theorie "des" digitalen Produktionsmodells zu nehmen (Nachtwey, Staab 2019).

Diversifizierte Qualitätsproduktion bleibt in Deutschland auch in der Ära des digitalen Kapitalismus weiterhin die Grundlage der industriellen Produktion, die aufgrund ihrer Vorleistungsverflechtung (Wertschöpfungsketten) in erheblichem Umfang auch auf den Dienstleistungssektor (unternehmensorientierte Dienstleistungen) ausstrahlt.[13] Dies ist auch der rationelle Kern der "Industrie 4.0"-Debatte in Deutschland, die sich auf die innerbetriebliche und zwischenbetriebliche Vernetzung von Produktionsbetrieben und den ihnen vor- und nachgelagerten Dienstleistungen bezieht. Diversifizierte Qualitätsproduktion ist durch eine hohe ökonomische und technische Komplexität gekennzeichnet. Wie César Hidalgo gezeigt hat, zeichnen sich erfolgreiche exportorientierte Volkswirtschaften durch eine hohe ökonomische Komplexität aus, die ein auf kollektiver Ebene akkumuliertes Wissen und Know-how repräsentiert (Hidalgo 2016, Hidalgo, Hausmann 2009). "Je mehr unterschiedliche Produkte exportiert werden können, desto komplexer ist eine Volkswirtschaft ..." (Pfeiffer 2015, S. 370). Auf dem Gebiet der Herstellung komplexer Produkte zählt die deutsche Wirtschaft nach wie vor zu den weltweit führenden Volkswirtschaften.

Mit der fortschreitenden Digitalisierung der Industrie werden in zunehmendem Maße Industrieplattformen zur Steigerung der Effizienz, Flexibilität und Individualisierung von Produktions- und Leistungsprozessen eingesetzt. Industrieplattformen setzen auf die produktionstechnischen Systeme der diversifizierten Qualitätsproduktion auf und koordinieren die Hard- und Software, die für die Umwandlung traditioneller Herstellungsverfahren in internetbasierte Prozesse erforderlich sind (Srnicek 2018, S. 52). Diese Plattformen dienen der Absicherung gemeinsamer Kommunikationsstandards und der Koordination unterschiedlicher Komponenten; "... sie geben den grundlegenden Rahmen ab, um Sensoren und Stellmotoren zu verbinden, Fabriken und Lieferanten, Produzenten und Konsumenten, Software und Hardware" (ebd., S. 68) zu verknüpfen. Werbe-, Vertriebs- und Produktplattformen spielen in Deutschland bislang eine nachgelagerte bzw. untergeordnete Rolle.

Die Produktion der Zukunft und ihre Voraussetzungen

In diesem Zusammenhang drängt sich die Frage auf, wie sich das deutsche Produktionsmodell im Zuge der Digitalisierung künftig weiterentwickeln wird. Auch wenn die Zukunft ungewiss bleibt und uns mögliche technologische und gesellschaftliche Veränderungen der nächsten Jahrzehnte vom heutigen Standpunkt aus vielfach unbekannt sind, spricht vieles dafür, von einer Pfadabhängigkeit der industriellen Entwicklung in Deutschland auszugehen. Daher ist nicht zu erwarten, dass die deutsche Industrie auf absehbare Zeit völlig aus dem bislang vorgezeichneten industriellen Entwicklungspfad ausbricht. Die Produktion mitsamt ihrer Wertschöpfungsketten wird auf absehbare Zeit aber noch einmal deutliche Modifikationen davontragen (vgl. Kagermann, Winter 2018, Sendler 2018)[14]:

  1. die Verflüssigung der Übergänge zwischen Produktion und Dienstleistungen mit wachsender Bedeutung industrieller Dienste,
  2. die Interaktion zwischen intelligenten Produkten, Maschinen, Betriebsmittel und Lagersysteme unter Echtzeitbedingungen (Integration autonomer Systeme in den Produktionsprozess),
  3. die Verknüpfung von Produktions- und Konsumentendaten auf der Basis des Internets der Dinge (Internet of Things),
  4. die zunehmende Entgrenzung der Unternehmung, um damit der systemischen Rationalisierung entlang der Wertschöpfungskette den Weg zu ebnen,
  5. die Ausweitung horizontaler und vertikaler Kooperationen und damit die Entwicklung neuartiger Netzwerkstrukturen (Netzwerkökonomie)
  6. die zunehmende Bedeutung von Produktund Vertriebsplattformen für die Industrie

Vor diesem Hintergrund wird digitalisierte Produktion in der Zukunft aller Voraussicht nach durch zunehmende Komplexität und netzförmige Koordination gekennzeichnet sein. An der Grundausrichtung und den Grundprinzipien der diversifizierten Qualitätsproduktion wird sich wenig ändern. Komplexität und vor allem Netzwerkstrukturen sind in besonderer Weise auf Kooperationskulturen angewiesen (Powell 1996, S. 224). Ebenso sind die mit wachsender Komplexität verbundenen Anforderungen an die Qualität der Arbeitskraft mit sozialpartnerschaftlichen Beziehungen hochkompatibel. Entwickelte Kooperationsbeziehungen bedingen aber eine gewisse Langfristorientierung von Institutionen und Akteuren, um produktive Arrangements zu gewährleisten. Gewachsene Flexibilitätsanforderungen sind in diesem Kontext nur unter der Voraussetzung ihrer Vereinbarkeit mit Kooperations- und Langfristorientierungen zu realisieren, wenn die Prinzipien einer diversifizierten Qualitätsproduktion nicht in Frage gestellt werden sollen.

Im Folgenden will ich mit einem breiten Pinselstrich skizzieren, welche institutionellen Arrangements für ein erfolgreiches Produktionsmodell unter den Bedingungen des digitalen Kapitalismus realisiert werden müssen, um eine neue Prosperitätskonstellation zu ermöglichen. Ich beziehe mich dabei auf die notwendigen institutionellen Reformen im Kontext eines deutschen Produktionsmodells der Zukunft, das aber in einem engen Zusammenhang mit der Herausbildung eines europäischen Produktionsund Wirtschaftsmodells zu sehen ist. Die erforderlichen Arrangements werden sich vermutlich nur in einem konfliktreichen Prozess realisieren lassen, in dem sich die fortschrittlichen Parteien, Gewerkschaften und andere Akteure der Zivilgesellschaft gegen kurzfristige Kapitalinteressen durchsetzen. Möglicherweise werden sich auch einzelne Kapitalfraktionen in eine solche Allianz einbringen, wenn sie erkennen, dass der neue "Klassenkompromiss" auch mit ihren langfristigen Verwertungsinteressen kompatibel ist. Da die kulturelle Hegemonie des Neoliberalismus gegenwärtig erodiert und selbst in den USA sich erste Anzeichen dafür andeuten, dass Shareholder Value-Strategien an Boden verlieren (Stiglitz 2018), könnte sich ein Zeitfenster auch für neuartige Allianzen eröffnen.

• Nachfrage: Ausbau öffentlicher und privater Investitionen
Nur bei einer hinreichenden effektiven Nachfrage, die auch im (europäischen) Binnenmarkt wirksam wird, können die innovatorischen Impulse der Digitalisierung in Wertschöpfung umgesetzt werden. Ohne ausreichende Investitionen in den Kapitalstock werden neue Technologien nicht im notwendigen Umfang in den Produktionsprozess gelangen. In Europa haben die Austeritätspolitik und die Selbstverpflichtung zu ausgeglichenen Budgets einen Deleveraging-Effekt ausgelöst.[15] In Deutschland wird zu wenig investiert, weil die Nachfrage fehlt: Die realen Bruttolöhne sind in Deutschland über lange Jahre kaum gestiegen. Löhne und Produktivität hängen jedoch eng miteinander zusammen. "Löhne und Produktivität müssen im Gleichschritt steigen, wenn kontinuierlich investiert und das potenzielle Wachstum voll ausgenutzt werden soll" (Herrmann 2019).

• Bildung und Ausbildung: Theoretisches und Erfahrungswissen fördern
Laut OECD-Bildungsbericht weist alles darauf hin, dass in Zukunft der Bedarf an Fachkräften zunimmt. (OECD 2019). "In komplexen und innovativen Arbeitsumwelten wird für alle Fachkräfte nicht nur Theoriewissen relevanter, sondern auch eine moderne Form des Erfahrungswissens und des erfahrungsbasierten Handelns. An allen Qualifizierungsorten - Schule, Betrieb und Hochschule - stellt sich gleichermaßen wie zunehmend die Frage, wie diese lern- und erfahrungsförderlich gestaltet werden können. Der Wandel der Arbeit erfordert mehr und höhere Qualifikationen" (Pfeiffer 2015, S. 373). Daher gilt es die Wertschätzung und Durchlässigkeit des Systems der Beruflichen Bildung deutlich zu erhöhen und eine größere Flexibilität der Arbeitnehmer im Laufe des Erwerbslebens zu ermöglichen. Diese Reform ist mit einer Weiterbildungsoffensive zu verknüpfen, die die Anreize für die Unternehmen und Beschäftigten auf der Nachfrageseite des Weiterbildungssystems spürbar erhöht. Auch berufliche Weiterbildung ist Teil des gesellschaftlichen Bildungssystems und damit für Arbeitnehmer kostenfrei zur Verfügung zu stellen.

• Industrielle Beziehungen: Mehr Mitbestimmung
Sozialpartnerschaftliche Beziehungen haben in Deutschland in der Vergangenheit maßgeblich dazu beigetragen, dass der technische Fortschritt erfolgreich umgesetzt werden konnte. Mitbestimmung verhindert nicht Innovationen, sondern befördert eine nachhaltige Unternehmensentwicklung.[16] "Mitbestimmung im Besonderen und kooperative institutionelle Arrangements im Allgemeinen haben ihren Ursprung nicht in der Ratio des verblichenen Industriezeitalters, sondern sind Grundlagen der 'Neuen Industrie', (...)" (Abelshauser 1999, S. 235). Neben ihrer sozialpolitischen Funktion liegt ihr Nutzen vor allem in ihrem Beitrag zur Senkung von Produktions- und Transaktionskosten innerhalb komplexer Markt- und Produktionsprozesse. Eine der größeren vor uns liegenden Reformen wird daher eine Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG 4.0) sein, die die Mitbestimmung auf eine breitere Grundlage stellt und die Mitgestaltungsmöglichkeiten der Arbeitnehmer bei der Einführung digitaler Technologien stärkt. In einer digitalisierten Arbeitswelt, in der die Entgrenzung von Arbeitsplätzen und Betrieben voranschreitet, muss der Arbeitnehmerstatus eindeutig definiert werden, um die Mitbestimmung auch für neue Formen der Arbeit zu sichern. Aber auch in Hinblick auf die betriebliche Einführung von Systemen der Künstlichen Intelligenz ist zu klären, wie Mitbestimmung noch frühzeitiger bei der Einführung neuer Technologien einzugreifen vermag und diese angesichts zunehmender Vernetzung ganzer Wertschöpfungsketten zu einer überbetrieblichen Mitbestimmung ausgebaut werden kann.

• Kapitalmarkt: Spielanordnung für eine realkapitalistische Konstellation
"Mehr private Investitionen und höheres gesamtwirtschaftliches Wachstum sind notwendige, aber nicht hinreichende Bedingungen für eine Verbesserung der Produktivität. Erst wenn sich das Risikomanagement privater Investoren verändert und die Liquiditätspräferenz abgebaut wird, dürften vermehrt Technologien ausgesucht werden, die die Produktivität nachhaltig verbessern können." (Hübner 2018, S. 21). Die im Unterschied zur finanzialisierten Ökonomie der USA noch relativ starke industrielle Basis der deutschen Volkswirtschaft ist mit ihrem spezifischen Produktionsmodell auf eine realkapitalistische Spielanordnung angewiesen (Schulmeister 2018) und braucht daher auch in der Ära des digitalen Kapitalismus ein Finanzsystem des "geduldigen Kapitals", das länger als das Vierteljahressystem der Finanzmärkte getaktet ist (Abelshauser 2012). Zu den Reformschritten hin zu einer realkapitalistischen Spielanordnung hat Stephan Schulmeister in seinem Buch "Der Weg zur Prosperität" instruktive Vorschläge unterbreitet (Schulmeister 2018, S. 325 ff.).

• Staat: Der unternehmerische Staat
In ihrem Buch "Das Kapital des Staates" plädiert Mariana Mazzucato für eine Hinwendung zum unternehmerischen Staat ("entrepreneurial state") und für einen Abschied vom neoliberalen Staat (Mazzucato 2014). Ein unternehmerischer Staat ist ein investierender und innovierender Staat. Der dringend erforderliche Ausbau öffentlicher Investitionen, gerade unter dem Gesichtspunkt der Schaffung leistungsfähiger und ubiquitärer Netze, gehört ebenso dazu wie die konsequente Regulierung digitaler Märkte, um Monopolbildungen und den Datenmissbrauch (Überwachungskapitalismus) zu verhindern. Hierzu zählt auch, dass Suchmaschinen und allgemeine soziale Netzwerke als öffentliche Infrastruktur bereitzustellen sind.

In einer Welt des Internets der Dinge muss die Frage des Eigentumsrechts an Daten auf die politische Agenda rücken, um der Ausbeutung der privaten Nutzer auf der Basis der Geschäftsmodelle der Internetkonzerne wirksam zu begegnen (Stiglitz 2019, S. 129). Erst dadurch kann eine nachhaltige Vertrauensbasis für Transaktionen in den Netzen geschaffen werden (Sendler 2018b, Morozov 2018, S. 97 f.). Dabei geht es um eine neue Eigentumsordnung, die unsere Daten vor dem umfassenden Zugriff privater Internetkonzerne schützt und dabei Eigentumsformen entwickelt, die Individualeigentum mit kollektiven Eigentumsformen (freie Software, genossenschaftliche Plattformen etc.) kombiniert (Dörre 2019, S. 27).

Mariana Mazzucato plädiert vor allem auch für eine "mission oriented" Innovationsstrategie, die große öffentliche Innovationsprojekte definiert und staatlich umfassend fördert. Dieser Ansatzpunkt könnte beispielgebend genutzt werden, um die Digitalisierung für Innovationsprojekte zugunsten der Dekarbonisierung und Ressourceneffizienz (z.B. geschlossene Kreisläufe) unserer Produktions- und Lebensweise einzusetzen, für neue Formen der urbanen Produktion und Mobilität oder für eine Revitalisierung der Arbeits- und Lebensverhältnisse im ländlichen Raum. Künftiges Beschäftigungswachstum wird zu einem erheblichen Teil von der Entwicklung des Dienstleistungssektors abhängig sein (FES 2011, S. 27). Aufgrund der im Industriesektor zu erwartenden Substituierungseffekte, sind insbesondere im Dienstleistungssektor neue Beschäftigungsfelder zu entwickeln. Es sind dabei gerade die hochwertigen, sozialen und gesellschaftsorientierten Dienstleistungen (neben den unternehmensnahen Dienstleistungen), die über ein hohes Beschäftigungspotenzial verfügen.

Die im digitalen Kapitalismus möglicherweise wachsenden Einkommens- und Vermögensungleichheiten (Krämer 2019) sind durch eine stärkere Besteuerung der durch Digitalisierung erzielten Produktivitätsgewinne und durch neue Formen der Vermögensbildung (z.B. Fonds) zu bekämpfen (Stiglitz 2017). Ein erster Schritt könnte die aktuell diskutierte Digitalsteuer sein. Die in den letzten Jahrzehnten gerade auch in Deutschland massiv gestiegenen Privatvermögen, deren Verwendung sich jeder öffentlichen Kontrolle entziehen, lassen sich aber durch steuerliche Umverteilungsmaßnahmen schlussendlich nicht in den Griff bekommen (Brandt, Kremer 2019, S. 75). Diese Vermögensungleichheit wird nur im Rahmen progressiver Strukturreformen zu bewältigen sein, die z.B. gesellschaftlich kontrollierte Investitionsfonds auf den Weg bringen.

Zu den notwendigen (sozialen) Innovationen zählt auch der weitere Ausbau des Sozialstaats, um die anstehenden Transformationsprozesse erfolgreich zu bestehen. Der Sozialstaat ist nicht nur Resultat erfolgreicher Wertschöpfung, sondern umgekehrt auch die Voraussetzung für wirtschaftlichen Erfolg (Lutz 1984 und 2011). Der Sozialstaat reduziert die sozialen Risiken des technologischen Wandels und schafft daher Raum für Innovation. Sozialstaatliche Sicherungssysteme verhindern, dass die Angst vor Arbeitsplatzverlusten zur treibenden gesellschaftlichen Kraft wird und damit der innovatorische Wandel blockiert wird.

Damit ist die Suche nach einer neuen Prosperitätskonstellation noch nicht beendet. Vor allem das Terrain eines europäischen Produktionsmodells muss noch vermessen werden. Aber diese Reise ist eine andere Erzählung als jene, die die Welt des Silicon Valleys stellvertretend für "den" digitalen Kapitalismus zum Ausgangspunkt der Analyse nimmt. Vor allem ist eine Richtung aufgezeigt, in der es in Deutschland und vielleicht in den Kernländern der EU weitergehen könnte. Es wird auch an der Sozialdemokratie selbst liegen, wer am Ende das Steuerrad in der Hand hält.


Anmerkungen

[1] Dr. Arno Brandt ist Regionalökonom.

[2] Vgl. auch andere Analysen zu dieser Problematik: auch Sennett 2017, Nachtwey 2019, Brandt, Läpple 2018, Brandt 2019.

[3] Arbeitsproduktivität wird hier als BIP pro Arbeitsstunde definiert.

[4] Nach Lutz bedingen Prosperitätskonstellationen auch die Erschließung neuer Terrains gesellschaftlich vermittelter und letztendlich globalisierter Ökonomie im Allgemeinen und ihre Durchkapitalisierung im Besonderen ("Landnahme") (Lutz 1984, S. 57 ff.) Die Erhöhung der Arbeitsproduktivität und die jeweils spezifische Form der Landnahme verbinden sich typischerweise in einer Neukonfiguration der intersektoralen Beziehungen innerhalb der Volkswirtschaft (siehe mit Blick auf die Vergangenheit die für die fordistische Ära typische wechselseitige Bedingtheit zwischen der Steigerung der Arbeitsproduktivität in den fordistischen Industrien, der ökonomischen Erschließung des häuslichen Lebens durch industrielle gefertigte Nahrungsmittel und Hauswaltswaren und der Etablierung eines sozialstaatlich vermittelten Beschäftigungssektors). Aus Platzgründen werde ich diesen Aspekt in den folgenden Ausführungen nicht weiter verfolgen.

[5] Zur Kritik der Wachstumskritik vgl. Priewe 2016, S. 69-108, insbesondere S. 100 ff.

[6] Anmerkung: "Industrie 4.0" ist ein wirkungsmächtiger Marketingbegriff, aber keine wissenschaftliche Kategorie.

[7] Zum chinesischen Modell siehe auch Butollo 2018.

[8] Anmerkung: Spätestens nach Bismarcks Wende zur "nationalen Wirtschaftspolitik" von 1879 hat sich die deutsche Wirtschaft von einer Verabsolutierung der Konkurrenzwirtschaft verabschiedet (Abelshauser, W. (1995), S. 112f.).

[9] Die bestehenden Divergenzen allein zwischen den westeuropäischen Produktionsmodellen sind nach wie vor beträchtlich.

[10] Eine entsprechende Analyse kann an dieser Stelle schon aufgrund der Beschränkung der Zeichenzahl nicht erfolgen.

[11] Auch die Frage der Unternehmensführung spielt eine Rolle, wird aber im Folgenden aus Platzgründen nicht weiter verfolgt.

[12] Abkürzung für Google, Amazon, Facebook und Apple.

[13] Anmerkung: Nach Eickelpasch lag im Jahr 2015 (30.6.) von den 30,9 Millionen Beschäftigten 14,3 Millionen in dem von ihm als "Industrienetzwerk" bezeichneten Verbund von Industrieproduktion und -dienstleistungen tätig (vgl. Eickelpasch 2018, S. 88ff.).

[14] Ich danke Ulrich Sendler für seine Unterstützung bei der Abfassung dieser Passage zur Produktion der Zukunft.

[15] Anmerkung: (deleveraging-Effekt meint eine kontraktive wirtschaftliche Entwicklung durch den Abbau von öffentlicher und/oder privater Verschuldung).

[16] Anmerkung: Mitbestimmte Firmen verfügen über eine höhere Quote dualer Ausbildung, weisen eine höhere Investitionsquote aus und richten die Vergütung ihres Topmanagements eher langfristig aus. (Scholz, R. 2018 S. 60 ff).


Literatur

Abelshauser, W. (1995): Die deutsche industrielle Revolution, in: Wehler, H.-U. (Hrsg), Scheidewege der deutschen Geschichte - Von der Reformation bis zur Wende 1517-1989, München 1995, S. 103-115.

Abelshauser, W. (1999): Vom wirtschaftlichen Wert der Mitbestimmung: Neue Perspektiven ihrer Geschichte in Deutschlande, in: Streeck, W., Kluge, N. (Hrsg.): Mitbestimmung in Deutschland. Tradition und Effizienz, Frankfurt 1999, S. 224-238.

Abelshauser, W. (2006): Von der Industriellen Revolution zur Neuen Wirtschaft - Der Paradigmenwechsel im wirtschaftlichen Weltbild der Gegenwart, in: Osterhammel, J., Langewiesche, D., Nolte, P. (Hrsg): Wege der Gesellschaftsgeschichte, Göttingen, S. 205. f..

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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 5/2019, Heft 234, Seite 21-30
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. November 2019

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