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DISKURS/113: Was kann Geldpolitik? (Sozialismus)


Sozialismus Heft 9/2013

Was kann Geldpolitik?
Zum besseren Verständnis von Überakkumulation und Finanzmarkt

von Michael Wendl



"Brauchen wir ein neues Geldsystem?", fragte jüngst das Blatt der klugen Köpfe. Teile der bürgerlichen Ökonomen, Wirtschaftsjournalisten und Politiker sind darüber verunsichert, dass infolge der Großen Krise "die Banken solange Geld produzieren, bis das System zusammenbricht" (FAZ, 18.8.2013). Wie aber die "Geldschöpfung aus dem Nichts" und Wertschöpfung zusammenhängen und zusammengehen, darüber klärt Michael Wendl im folgenden Diskussionsbeitrag auf.


Wir sind gegenwärtig in einer Situation, in der auch aus einer kapitalismuskritischen Sicht registriert werden muss, dass die schwere ökonomische Krise, die nach dem Ausbruch der Immobilienkrise 2007/2008 und ihrem Übergang in die Finanzmarktkrise zumindest für Deutschland, aber auch für andere große Wirtschaftsgesellschaften erwartet und prognostiziert wurde, als allgemeine Krise bis heute so nicht eingetreten ist. Das kann zunächst daran liegen, dass durch die Konjunkturprogramme von Regierungen, aber insbesondere durch die Geldpolitik der Zentralbanken die wirtschaftlichen Entwicklungen vorläufig und nur für die kurze Frist stabilisiert wurden. Dagegen wird eingewandt werden, dass unter dieser kurzfristigen Beruhigung der Finanzmärkte die Krisentendenzen nach wie vor aktiv wirken, sozusagen "schwelen", und irgendwann ausbrechen werden. Trotzdem zeigt die Diskussion über eine "Diktatur der Finanzmärkte" und die heftige Kritik an der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank, diese würde in erster Linie auf eine Rettung der großen Banken zielen, auf eine Leerstelle im Rahmen der marxistischen Ökonomiediskussion: Es geht um die Rolle des Geldes innerhalb einer kapitalistischen Ökonomie und daraus resultierend die Einschätzung der Rolle der Geldpolitik der Zentralbanken bei der Steuerung der Wertschöpfung. Die Konzentration der Kritik auf die Banken als Akteure auf den Finanzmärkten zielt zunächst eine Ebene zu hoch, weil sie unterschlägt, welche Rolle Geld und die Geldpolitik der Notenbank, also der Geld ausgehenden Bank, für den modernen Kapitalismus und seine Krisen spielt. Im Kern wird damit unterstellt, dass das Geld ökonomisch neutral ist und nur als eine Art von "Schleier" über den realwirtschaftlichen Prozessen wirkt.

1. Zwei Fronten

Wenn wir diese Debatte aufnehmen, geht es innerhalb des Rahmens der etablierten ökonomischen Theorien - der Neoklassik und des Keynesianismus - zunächst um eine zweifache Auseinandersetzung: Einmal wende ich mich gegen eine insbesondere in Deutschland populäre Sicht, die jeder expansiven Geldpolitik gegenüber misstrauisch eingestellt ist, weil sie darin eine Gefahr für die Stabilität des Geldes oder eine drohende Inflation sieht. Zum anderen muss sich auch mit dem pragmatischen Mainstream in der Geldpolitik kritisch auseinandergesetzt werden, der auf den ersten Blick mit der Geldschöpfung aus dem "Nichts" die Finanzmärkte mit Liquidität überschwemmt und damit die Zentralbank als "Lender of Last Resort", als Kreditgeber der letzten Instanz, sieht. Dabei wird eine solche Geldpolitik aber wegen der Risiken einer Inflation mit strikten wirtschafts- und sozialpolitischen Einschränkungen einer Politik der Austerität verbunden, die die ökonomisch positiven Effekte dieser Geldschöpfung aus dem Nichts über ein sinkendes Nationalprodukt wieder nicht nur in Frage stellen, sondern direkt ökonomisches Wachstum und damit auch einen tendenziellen Ausgleich der ökonomischen Ungleichgewichte in der Währungsunion verhindern.

In diesem Sinn wirkt der Euro auf den ersten, oberflächlichen Blick wie der Versuch, zu einer Art von Goldstandard der Währung zurückzukehren. Um die Währungsunion zu stabilisieren, müssen eine Reihe von Ländern ihre Wirtschaft durch Depression und Arbeitslosigkeit treiben. Aber das ist anders als bei einer tatsächlichen Golddeckung der Währungen sachlich nicht nötig. Der Euro ist gerade nicht an den Goldwert angebunden, er ist "Willkür-Geld" oder "Fiat Money" (Keynes 1983: 6) und damit Resultat einer politisch gewollten Geldschöpfung. Die Entscheidung für diese Politik in der Währungsunion ist ebenfalls eine politisch gewollte Entscheidung, sie ist kein "Naturgesetz" und daher auch kein ökonomisches Gesetz. Auf diesem der "bürgerlichen Ökonomie eigentümliche(n) Fetischismus", der "den gesellschaftlichen, ökonomischen Charakter, welchen Dinge im gesellschaftlichen Produktionsprozeß aufgeprägt erhalten, in einen natürlichen, aus der stofflichen Natur dieser Dinge entspringenden Charakter verwandelt" (MEW 24: 228), hat Marx immer wieder hingewiesen. Wenn wir daher dem Schein, es handele sich bei diesen ökonomischen Gesetzen um Naturgesetze, nicht folgen, können wir auch eine andere, nicht auf gleichzeitige Kostensenkung und damit auf Austerität fixierte Geld- und Wirtschaftspolitik konzipieren und in der Folge populär zu machen versuchen.

Eine Schwierigkeit besteht darin, sich mit der Ablehnung dieser Austeritätspolitik nicht auf die populäre Gegenposition einer der Sicherung des Geldwerts fixierten Sicht des Geldes und einer entsprechend restriktiven Geldpolitik der Zentralbank zu begeben. In den aktuellen wirtschaftspolitischen Debatten ist das bereits mehrfach geschehen, einmal in der teilweisen Übereinstimmung der Kritik an der Geldpolitik der EZB durch einerseits Sahra Wagenknecht, andererseits Hans-Werner Sinn (Wendl 2012), oder aktuell in der partiellen Übereinstimmung zwischen geldpolitischen Aussagen der Linkspartei und der neuen Partei Alternative für Deutschland. Stattdessen geht es zum einen um eine kritische Sicht auf die Geldpolitik der EZB und zum zweiten um die Abgrenzung gegenüber einer der theoretischen Tradition des Monetarismus zuzurechnenden Geldtheorie, aus deren Sicht ebenfalls die aktuelle Geldpolitik der EZB grundsätzlich kritisiert wird.

2. Das Geld - eine Leerstelle im aktuellen Marxismus

Zunächst müssen wir kritisch gegen Sichtweisen eines tradierten oder einfachen Marxismus konstatieren, dass diese die geldpolitischen Kontroversen um die Rolle der Zentralbank und die Fragen der Geldschöpfung nicht nur nicht thematisieren, sondern sie nicht einmal als Kontroversen über die Rolle des Geldes wahrnehmen. Sie sehen in den unterschiedlichen geldpolitischen Optionen der EZB entweder nur interne Unstimmigkeiten innerhalb eines neoliberalen Blocks oder aber rätseln über unterschiedliche Interessen verschiedener Kapitalfraktionen. Diese Sichtweisen eines "traditionellen Marxismus" sind in erster Linie Theorien der Macht, mit ökonomischer Theorie, mit Werttheorie und einer Analyse der Entwicklung von Wertformen sowie der Herausarbeitung der Geldform im Sinne der Marxschen Kritik der politischen Ökonomie haben sie wenig zu tun (siehe Wendl 2013). Sie greifen schon den Unterschied von Wertsubstanz und Wertform nicht auf und können die Geldform als Resultat einer "Verdoppelung" der Ware in Ware und Geld nicht erklären (siehe Backhaus 1997: 93f.). Insofern verbleiben sie überwiegend im Rahmen einer letztlich moralisierenden Ökonomiekritik, entweder aus einer strikt realwirtschaftlichen Sicht oder einer handlungstheoretisch verkürzten Soziologie der Macht.

"Der Blick zielt zuweilen so sehr auf das Autoritäre an der Politik, dass die politische Ökonomie und vor allem die Rolle des Geldes dahinter verschwinden."

Eine Auseinandersetzung mit diesen Sichtweisen bleibt aber politisch gleichwohl interessant, weil es Schnittstellen mit aktuellen Untersuchungen von Colin Crouch (2011), Wolfgang Streeck (2013) oder der Forschungsgruppe "Staatsprojekt Europa" (2012) gibt, also aus der Perspektive einer herrschaftskritischen Politikwissenschaft oder politischen Soziologie. Von diesen werden die Finanzmarktakteure im engeren Sinn (speziell die Investmentbank Goldman-Sachs wie bei Streeck) oder weiter gefasst "der" Neoliberalismus mit seinen verschiedenen "Hegemonieprojekten" (so die Forschungsgruppe) als die wirklich entscheidenden handelnden Subjekte gesehen. Wenn die Geldpolitik der Zentralbanken berührt wird, geht es gerade nicht um die ökonomischen Wirkungen der Geldpolitik, sondern in erster Linie darum, dass die (neue) Rolle der EZB als Kreditgeber in der letzten Instanz oder als "Lender of Last Resort" gegen geltendes europäisches Recht verstößt. Nicht Geld und Geldpolitik sind das Thema, sondern ein "autoritärer Etatismus", der das "rechtliche Herzstück monetaristischer Ökonomen durchlöchert" (Forschungsgruppe 2012: 67). Dabei wird auf die Staatstheorie von Nicos Poulantzas zurückgegriffen, indem die monetäre Integration Europas durch die neue Rolle der europäischen Zentralbank ausschließlich als Projekt eines "autoritären Wettbewerbsetatismus" (Stützle 2013) gesehen wird. Der Blick zielt so sehr auf das Autoritäre an der Politik, dass die politische Ökonomie und vor allem die Rolle des Geldes dahinter verschwinden.(1) Die Auseinandersetzungen um die Ausgestaltung der geldpolitischen Funktion der Zentralbank, wie sie z.B. durch die Kritik an den geldpolitischen Entscheidungen der EZB formuliert wird, werden deshalb nicht als grundlegende Konflikte wahrgenommen. Das Spannungsverhältnis von ökonomischen Prozessen, ihrer Wahrnehmung und theoretischen Verdichtung auf bestimmte wirtschaftstheoretische Leitbilder und wirtschaftspolitische Handlungen taucht in diesen modernen Varianten von sozialwissenschaftliche formulierten "Räubergeschichten" nicht mehr auf.

3. Geldschöpfung durch Banken

Dem Wirtschaftswissenschaftler Richard Werner (2007, 2012) kommt in den letzten Jahren das Verdienst zu, sich systematisch mit den Fragen der Schöpfung des Geldes und den Wirkungen der Geldpolitik der Zentralbank auseinandergesetzt zu haben. Er hat die im deutschen Sprachraum seit der Veröffentlichung von Schumpeters "Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung" (1911) bekannte These wieder aktualisiert, dass die Geschäftsbanken über die Ausreichung von Kreditgeld an Schuldner eine Geldschöpfung aus dem Nichts durchsetzen und in diesem Prozess durch die Regeln der Zentralbank unterstützt werden. Damit greift Werner Überlegungen auf, die in der Dogmengeschichte der Nationalökonomie bereits vor Schumpeter und L. Albert Hahn (1930/1920) aus Wirtschaftswissenschaftlicher und aus bankentheoretischer Sicht heraus thematisiert worden sind.(2) Diese Fragen der Geldschöpfung durch das Bankensystem wurden in Deutschland in den 1920er und 1930er Jahren breit und durchaus kontrovers diskutiert. Vereinfacht können wir sagen, dass auf der einen Seite Schumpeter und später auch Keynes sowie die Ökonomen, die diesen beiden Theoretikern zugeordnet werden können, diese Geldschöpfung aus dem Nichts insofern positiv gesehen haben, weil sie kreditfinanzierte Investitionen ermöglicht, ohne auf eine vorhergehende Ersparnisbildung, wie das die neoklassische Theorie zur Voraussetzung gemacht hatte, angewiesen zu sein.(3) Ähnliches gilt für die "Österreichische Schule" in der Tradition von Carl Menger, Ludwig von Mises und Friedrich A. von Hayek. Sie hat diese Geldschöpfung durch die Banken aber von Anfang an als Produktion von "Papiergeld" zu diskreditieren versucht und entschieden bekämpft.

Die neoklassische Theorie dagegen hat diese Erkenntnis der "österreichischen Schule" wieder verdrängt, weil sie die Banken nur als "Intermediäre", also als Vermittler von Ersparnissen zu Krediten gesehen und die Rolle der Emission von Krediten im Sinne einer Neuschöpfung von Kredit und damit auch Geld in ihren Modellen des Finanzmarktes nicht vorgesehen hat. Die Neoklassik reduzierte die Wirtschaftstheorie auf die Vorkommnisse in einer Tauschwirtschaft und blendet die Rolle einer Emissionsbank und damit die zusätzliche Schaffung von Geld aus ihren Überlegungen aus. Geld wird nicht mehr als Geld, sondern nur noch als Umlaufsmittel gesehen (Stadermann 2000: 24).

Vor diesem theoriegeschichtlichen Hintergrund ist es zu erklären, warum Werner quasi als wissenschaftlicher Neuerer oder Ketzer auftreten konnte, obwohl er zunächst nur die geldtheoretische Sicht von Schumpeter und auch Keynes (in dessen Buch "Treatise on Money" 1931) wieder aktualisiert hat und an eine geldtheoretische Sichtweise, die als "monetärer Keynesianismus" bezeichnet wird, wieder anknüpft. Schumpeter hat wie Marx darauf hingewiesen, dass die Banken wie eine Art "Zentralbuchhaltung" der Volkswirtschaft agieren (Schumpeter 2008: 126, MEW 25:620). Diese Buchhalter können auch Kredite vergeben, indem sie eine buchhalterische Fiktion in die Welt setzen und unterstellen, dass der Schuldner des Kredits entsprechende Guthaben hinterlegt hat. Die restliche Welt kann nicht wissen, ob dieses Geld aus Ersparnissen kommt oder auf der Annahme einer zukünftigen Zurückzahlung des Kredits basiert, also eine Fiktion darstellt. Die restliche Welt nimmt an, dass auch diese Kredite auf der Übertragung Von Ersparnissen und eben nicht auf einer Kreditschöpfung aus dem Nichts basieren.(4)

"Schumpeter hat wie Marx darauf hingewiesen, dass die Banken wie eine Art 'Zentralbuchhaltung' der Volkswirtschaft agieren. Diese Buchhalter können auch Kredite vergeben, indem sie eine buchhalterische Fiktion in die Welt setzen..."

Werner versucht in einem ersten Schritt die Ebene der Geldschöpfung durch das Bankensystem von der Ebene des kapitalistischen Gesamtreproduktionsprozesses zu trennen. Die systematische Trennung der Kreditschöpfung für "realwirtschaftliche" Prozesse einerseits und für Spekulationen auf die Vermehrung des Geldvermögens neben und außerhalb der "Realwirtschaft" andererseits wird von ihm herausgearbeitet (Werner 2007, 2012). Er kommt zu dieser Einsicht, weil er nicht durch die theoretische Voraussetzung eines neoklassischen Gleichgewichtsmodells oder eine Arbeitswert- bzw. Werttheorie in der Tradition von Ricardo oder Marx geprägt ist. Er knüpft an bestehende Ökonomische Theorien an, sowohl an das von Keynes herausgearbeitete Theorem einer "Liquiditätsfalle" und das von Schumpeter herausgearbeitete Verständnis von Geldschöpfung aus dem Nichts, bei Keynes (1931) gekennzeichnet als "Fiat Money" oder in der deutschen Übersetzung als "Willkür-Geld" zustimmend an (Keynes 1931: 6). Werner vertritt die Sicht, dass die Geschäftsbanken über die Vergabe von Krediten faktisch Buchgeld schaffen, das ihnen die Zentralbank unter Berücksichtigung der Mindestreservesätze dann zur Verfügung stellt. Mit der an Schumpeter anschließenden These "Banken schöpfen Geld aus dem Nichts" (Werner 2007: 229) versucht er zu zeigen, dass die Banken damit unterstellen, dass der Schuldner des Kredits entsprechende Mittel als Guthaben hinterlegt hat. Ob der entsprechende Kredit aus echten Ersparnissen kommt oder eine Fiktion darstellt, die auf der Annahme basiert, dass der Kredit in Zukunft zurückgezahlt werden wird, kann niemand wissen. Damit ist nicht nur eine Zeitdimension in die Ökonomische Sicht eingeführt, sondern es wird zugleich von der Annahme einer wachsenden, also dynamischen Wirtschaft ausgegangen. Das ist einer der neoklassischen Auffassung von Gleichgewichtstheorie komplett entgegenstehende Sicht.

Dieser Zusammenhang ist sowohl in der keynesianischen Literatur, aber auch bei neoklassisch orientierten Geldökonomen durchaus bekannt (siehe Duwendag u.a. 1985, Spahn 2012, für die neoklassische Sicht Issing 2011) und wird nicht bestritten. Diese Geldschöpfung wird von den Anhängern der "österreichischen Schule" heftig bekämpft (Polleit 2011, Schlichter 2013), oder einfach wie in den neoklassischen Modellen nicht gewusst, weil die Rolle der Emissionsbank, also der Bank, die das Notengeld ausgibt, ausgeblendet wird.(5) Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass sich orthodoxe Marxisten wie Guenther Sandleben oder Robert Kurz in ihrer Kritik des Kreditgeldes als "Falschgeld" in Übereinstimmung mit Vertretern der österreichischen Schule befinden, die die Schöpfung von "Papiergeld" als eine Art von Betrug sehen und deshalb zum Goldstandard zurückkehren wollen.

4. Der Bezug zur Wertschöpfung

Werners Argumentation lautet zusammengefasst:

Erstens: Die quantitätstheoretische Gleichung und damit Gleichsetzung von Geldmenge (und ihrer Umschlagsgeschwindigkeit) und Summe der Warenpreise ist theoretisch nicht konsistent, weil Geld eben nicht nur Tauschmittel ist. Aus der Übernahme dieser theoretisch falschen Sicht heraus sind dann die ökonomischen Modelle einer"geldlosen" Ökonomie entwickelt worden, deren Erklärungskraft angesichts der Finanzmarktkrise gegen Null tendiert.

Zweitens: Der mikroökonomische Geldkanal, der über die Höhe der Zinsraten die Allokation des Geldkapitals steuert, hat die so genannte reale Ökonomie, also die nicht-finanziellen Unternehmen nicht mehr ausreichend stimuliert. Die Kapitalfonds dieser Unternehmen haben diesen Mangel an Investitionen nicht entsprechend ausgeglichen.

Drittens: Es muss deshalb zwischen ökonomischen Transaktionen, die auf das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zielen und damit das Volkseinkommen erhöhen, und Transaktionen, die nur auf die dem Bruttoinlandsprodukt unterliegenden, aber nicht in diesem direkt auftauchenden Vermögensbeständen zielen, unterschieden werden. Damit wird, ohne es begrifflich auszuweisen, zwischen Stromgrößen (des BIP) und Bestandsgrößen (der gesellschaftlichen Vermögensrechnung) differenziert. Werners These ist, dass Geldkapital in zunehmendem Maß in die Finanzierung von Vermögenstransaktionen geflossen ist. Dadurch haben sich spekulative Blasen bei bestimmten Vermögensbeständen aufgebaut. Zugleich wurde das Wachstum des BIP dadurch eingeschränkt, dass größere Teile der Kreditschöpfung, die über den Weg von Staatsanleihen erfolgt ist, über deren Sicherheit sich dann die Banken, die Staatsanleihen gekauft hatten, ihr (Buch-)Geld bei der Zentralbank beschafft und damit ihre Forderungen im Umlaufvermögen verbucht hatten, in die Finanzierung nicht des BIP-Wachstums, sondern von Vermögensbeständen eingegangen sind.

Viertens: Auf diese Ausdehnung der Staatsverschuldung wurde dann politisch mit Strukturreformen zu reagieren versucht, die theoretisch darauf zielten, das Wachstumspotential des BIP zu erhöhen, aber faktisch die Entwicklung der Nachfrageseite beschränkt und deflationären Druck ausgeübt haben. In dieser Situation können sinkende Zinsraten das BIP nicht mehr stimulieren, weil eine Kombination von steigender Liquidität und sinkender Zinsen nur noch den schwindenden Wert von Vermögensbeständen vor der Notwendigkeit einer deutlichen Wertberichtigung bewahrt und das durch Strukturreformen eingeschränkte BIP nicht mehr erreicht. Aus der Sicht von Werner begründen diese kreditfinanzierten Vermögenstransaktionen ab dem Moment, ab dem sie sich gegenüber realwirtschaftlichen, auf das Bruttoinlandsprodukt zielenden Prozessen verselbständigt haben, lediglich ein "Ponzi-System", in dem die Gewinne der einen auf den Verlusten der anderen basieren. Die Verluste der Verlierer werden aber durch Geldschöpfung aus dem Nichts wieder zumindest partiell aufgefangen, sodass eine angemessene Wertberichtigung der aufgeblähten Vermögensbestände nicht erfolgt ist und insofern die Wertschöpfung dadurch gekennzeichnet wird, dass aufgeblähte Vermögenswerte fortgeschleppt werden; ihre Belastung für die Wertschöpfung soll eine Geldpolitik der niedrigen Zinsen abmildern. Dadurch werden sowohl die Steuerungsfunktion von Zinsen, wie überhaupt eine Belebung der Wertschöpfung blockiert.

Werner schlägt daher vor, dass die Zentralbank den Teil des Umlaufvermögens der Geschäftsbanken, der faktisch wertlos ist, zu Nennwerten aufkauft und in ihren bilanzierten Beständen faktisch stilllegt, also für eine bestimmte Zeit die neuen Eigenkapitalregeln von Basel III aussetzt und durch die Kombination dieser Instrumente die Kreditschöpfungsfunktion der Banken für die Finanzierung von ausschließlich auf das Wachstum des BIP gerichteten Krediten wieder vitalisiert (Werner 2007: 326). Einerseits wird den Banken durch den Kauf eines Teils ihrer Forderungen zu Nennwerten frisches Kapital zugeführt, andererseits werden dadurch die Bilanzen der Banken wieder verkürzt und ihre Eigenkapitalquoten erhöht.(6) Dieser Hinweis zeigt, welche Spielräume in den Rechnungslegungsstandards bestehen, wenn es um die Rettung von Banken vor einer Insolvenz geht. Er zeigt aber auch, dass große Teile der Öffentlichkeit diese entscheidenden Veränderungen der Rechnungslegungsregeln, nicht registriert haben. Wenn gleichzeitig auf die restriktiven Wirkungen von angebotsorientierten Strukturreformen verzichtet wird, können damit das Wachstum des BIP wieder stimuliert und die langandauernde Krise überwunden werden. Durch eine politische Regulierung des Bankensektors muss dann dafür gesorgt werden, dass sich die Vergabe von Krediten auf Bereiche konzentriert, die für das Wachstum des BIP ausschlaggebend sind. Aus dieser Sicht, die geldtheoretisch in weiten Teilen mit der Sicht des monetären Keynesianismus übereinstimmt,(7) wird einerseits herausgearbeitet, warum Geld endogen ist und nicht neutral sein kann und daher den Wertschöpfungsprozess beeinflusst, und welche positive Rolle die Notenbank für den Wertschöpfungsprozess spielen kann. Werner unterscheidet sich allerdings vom "monetären Keynesianismus" in der Frage der originären Geldschöpfung der Geschäftsbanken, weil er zeigt, dass diese durch die Vergabe von Krediten in der Form des Giralgeldes selbst Geld schaffen. Damit werden weitgehende Möglichkeiten einer strukturellen Reform der Geld- und Kreditschöpfung eröffnet, die sich bei einer eher fundamentalen Sicht auf den Kapitalismus als letzte Ursache der Krise so nicht stellen.

5. Der Zusammenhang von Ersparnis und Investition

Damit kommt auch die marxistische These einer Überakkumulation von Kapital in einen anderen Blickwinkel. Zunächst ist der Überfluss an Kapital ein kurzfristiges konjunkturelles Phänomen, das Keynes mit dem Begriff der Liquiditätsfalle gekennzeichnet hat. Diese Liquiditätsfalle hat sich über die Prozesse auf den Finanzmärkten aufgelöst (Heine/Herr 1996), weil überschüssiges Kapital durch die Deregulierung der Finanzmärkte (aber auch der Güter- und Arbeitsmärkte) neue Anlagemöglichkeiten gefunden hat, die nicht nur einfach als spekulative Abenteuer klassifiziert werden können. Andererseits ist diese Liquidität zu einem großen Teil in Bereiche der Finanztransaktionen angelegt worden, die sich nicht mehr in den Stromgrößen des Bruttosozialprodukts unmittelbar ausdrücken, sondern in den Bestandsgrößen des Anlage- und Umlaufvermögens (auf der Aktivseite einer Bilanz) und in Eigenkapital und überwiegend Fremdkapital (auf der Passivseite dieser Bilanz) enthalten sind. Wenn sie hier nicht wertberichtigt oder abgeschrieben werden müssen, werden Verluste aus Finanztransaktionen noch Jahrzehnte als Forderungen auf der Aktivseite und als Verbindlichkeiten auf der Passivseite bilanziert und mitgeschleppt. Sicher haben die Verluste bei den Bestandsgrößen der Bilanz Rückwirkungen auf die Stromgrößen in der Gewinn- und Verlustrechnung. Sie müssen abgeschrieben werden und werden daher als Kosten von den Erlösen abgezogen. Sie entsprechend ihren deutlich gesunkenen Marktwerten radikal abzuschreiben, würde in einem bedrohlichen Ausmaß Insolvenzen bei den Banken auslösen, weil die Verluste in der Gewinn- und Verlustrechnung mit dem Eigenkapital verrechnet werden. Radikale Wertberichtigungen und damit Verbundene Abschreibungen würden auch die Kapitalanlagen aus verschiedenen Formen der kapitalgedeckten Alterssicherung entwerten, was wiederum negativ zurückschlagen würde auf die Produktion von Gütern und Dienstleistungen, weil die Nachfrage danach spürbar reduziert würde.

Obwohl sich Analyse und Lösungsvorschläge von Werner auf den Geld- und Kreditsektor konzentrieren, gehen von diesen Prozessen auf den Geld- und Kapitalmärkten erhebliche positive, also akkumulationsfördernde Rückwirkungen auf den reproduktiven Sektor einer Volkswirtschaft aus. Werner hat - wie auch Heine und Herr - herausgearbeitet, dass, wenn "zusätzliches Geld für Investitionen benötigt (wird), es die Banken ohne weiteres erzeugen (können). Folglich gibt es keinen zwingenden Grund, dass zunächst Gelder angespart werden müssen, bevor Investitionen vorgenommen werden können. Im Gegenteil: Investitionen werden durch die Kreditschöpfung finanziert - letztere führt zum Wachstum des Nominaleinkommens und also auch zu einer Ausweitung der Ersparnisse" (Werner 2007: 247f.).

Die Reihenfolge ist also anders, als in der klassischen und neoklassischen Kapitaltheorie unterstellt wird. Die Ersparnisse sind nicht die Voraussetzung, sondern als Teile des Einkommens die Folge der Investitionen. Dass sich hier marxistische Sichtweisen im neoklassischen Paradigma bewegen, liegt daran, dass sie die Warenproduktion als der Geldschöpfung vorausgesetzt begreifen und daher hier der Profit ausschließlich als Voraussetzung des Zinses verstanden wird, was nicht zwingend ist - weder theoretisch, noch historisch.

Mit dieser Erkenntnis wird die These von der strukturellen Überakkumulation von Kapital kritisiert. Sie markiert zwar mit dem Hinweis auf einen Überschuss von Kapital die Gegenposition zu der neoklassischen Annahme eines Mangels an Ersparnissen als Grund für eine Investitionsschwäche, aber verbleibt im gleichen theoretischen Paradigma wie die neoklassische Sicht. Den Investitionen vorausgesetzt sind in dieser Sicht nicht Kredite und damit auch "fiktives Kapital", wie es Marx nennt, sondern ein Überschuss an wirklichem Kapital, der auf der Suche nach einer profitablen Anlage ist. Das ist aber in der Sache selbst nichts anderes, als die den Investitionen selbst vorausgesetzten akkumulierten Ersparnisse, wie sie die neoklassische Theorie behauptet. Jörg Huffschmid hatte z.B. registriert, dass die durch eine zunehmenden Verschuldung der privaten Haushalte finanzierte Nachfrage den (neoklassischen) "Lehrbuchzusammenhang" von Ersparnis und Investitionen "auf den Kopf stellt" (Huffschmid 2000: 48), aber er bleibt selbst im neoklassischen und damit realwirtschaftlichen Paradigma befangen, weil er den Kapitalüberschuss faktisch nur als Gewinnüberschuss, der nicht mehr real investiert wird, versteht. In der Phase des Konjunkturabschwungs sehen wir diese Überakkumulation von Gewinnen, von denen ein beträchtlicher Teil wegen der verschlechterten Bedingungen der Realisation nicht mehr investiert wird. Es kommt dann zu Überakkumulation oder zur "Plethora von Kapital", wie es Marx genannt hat. Er hat damit lange vor Keynes und mit einer etwas anderen Begründung das Phänomen der Liquiditätspräferenz vorweggenommen, indem er zeigt, dass wegen der Unsicherheit der Absatzbedingungen die Investitionen stocken. Aber diese Überakkumulation löst sich über die Kapitalmärkte auf, weil die Geldschöpfung der Banken durch die Geldpolitik der Zentralbank wieder angeschoben wird und dadurch eine heftige Neuproportionierung der Größen von Angebot und Nachfrage vermieden werden kann.

6. Wirtschaftspolitische und bewusstseinstheoretische Schlussfolgerungen

Werners Analyse hat den Vorteil, dass damit der problematische Begriff einer "strukturellen" Überakkumulation nicht nur vermieden wird, sondern die daraus resultierenden Prozesse auf den Kapitalmärkten, die auf eine Überakkumulation von Kapital folgen, besser verstanden werden können. Mit seiner Trennung von Transaktionen, die direkt im Zusammenhang mit der Produktion des BIP stehen, und Transaktionen, die in erster Linie auf "financial assets" gerichtet sind, wird es auch möglich, makroökonomische Grenzen dieser Geldschöpfung über Kreditgewährung besser in den Blick zu bekommen, anders als der monetäre Keynesianismus, der hier nur mit der Zielgröße "monetäre Knappheit" (Heine/Herr 2008: 35) argumentiert.

Das folgenschwere Dilemma der gegenwärtig herrschenden Kombination einer pragmatischen Geldpolitik, in der die EZB als Kreditgeber der letzten Instanz handelt und umfangreich Geld schöpft, besteht darin, dass damit Politikvorschläge der harten Austerität und der fiskalpolitischen Disziplin verbunden sind, die die Entwicklung eines europäischen Gesamtreproduktionsprozesses (als Summe der inländischen Wertschöpfungen) weiter blockieren werden und dadurch die Wirtschaft in eine Deflation abgleiten und darin, ähnlich wie Japan, verharren kann. Wenn das System der Notenbanken in der EZB mit seiner großzügigen Schöpfung von Liquidität Geld zur Verfügung stellt, von dem angenommen wird, es müsse Zinsen abwerfen - wie ein Birnbaum Birnen trägt, wie es Marx süffisant bemerkt hatte -, werden mit dieser Produktion von Liquidität zugleich erhebliche Einkommenserwartungen geweckt, weil der übergroßen Mehrheit der Wirtschaftsakteure nicht klar ist, das damit Geld aus dem Nichts geschaffen wird, von dem völlig offen ist oder eher unwahrscheinlich wird, dass aus ihm Zinsen und damit Einkommen fließen werden. In der Folge werden wir mit Entwicklungen konfrontiert, die heute bereits als "finanzielle Repression" bezeichnet werden. Sinkende Zinsen mit der Tendenz gegen Null bei einer gleichzeitig stabilen Inflationsrate von um die 2% werden zu einer Abwertung kapitalgedeckter Einkommenserwartungen führen. Die durch die Anlage als Geldkapital erzeugten Erwartungen werden zu enttäuschten Illusionen, die, wenn sie so enttäuscht werden, politische Aggressionen hervorrufen.

"Die durch die Anlage als Geldkapital erzeugten Erwartungen werden zu enttäuschten Illusionen, die, wenn sie so enttäuscht werden, politische Aggressionen hervorrufen."

Politisch kann zum Problem werden, dass sich diese Aggressionen aus dem Lager des Bürgertums und der modernen Mittelklasse mit den anders begründeten Aggressionen aus dem Feld des "einfachen Marxismus" treffen können, eine Brisanz, die an dem Beifall, den Sahra Wagenknecht als Protagonistin eines moralischen Marxismus für Hans-Werner Sinn als Symbol einer besonders verknöcherten Form des deutschen Handelsmerkantilismus gespendet hat, in ersten Ansätzen abgelesen werden kann. Eine solche Bewegung kann sich angesichts der völligen Intransparenz der geldpolitischen Zusammenhänge und einer steigenden Politikverdrossenheit aufschaukeln.

Real besteht diese Gefahr gegenwärtig nicht, da die politischen Differenzen zwischen einer merkantilistischen und daher auch nationalistischen Politikoption und dem moralischen Marxismus weiterhin groß sind. Sie können sich aber treffen in dem politischen Postulat nach einem Vorrang des Nationalstaats und damit der Sehnsucht nach demokratisch handhabbaren und vermeintlich transparenten Verfahren im Rahmen eines dann wieder durch den Vorrang des Nationalstaats geprägten Europa. Diese können dann in einer insgesamt Euro- und europakritischen Stimmungslage zusammengerührt und mit einer nostalgisch antiimperialistischen Erinnerung auch noch kapitalismuskritisch ausgeschmückt werden.


Michael Wendl ist Mitherausgeber von Sozialismus. Von ihm erschien zuletzt im VSA: Verlag der Band "Machttheorie oder Werttheorie. Die Wiederkehr eines einfachen Marxismus", Hamburg 2013.



Anmerkungen

(1) Das ist bei dem positiven Bezug von Stützle auf den Begriff des autoritären Wettbewerbsetatismus von Poulantzas insofern irritierend, weil Stützle zunächst die Nicht-Neutralität des Geldes betont und danach bei der Bewertung der aktuellen Geldpolitik der EZB nur von einer "scheinbar" gegenläufigen Tendenz der Zentralbank spricht, so als seien deren Käufe von Staatsanleihen nur vorgetäuscht, um die Monetaristen bei der Bundesbank und in der deutschen Ökonomenszene gegen sich aufzubringen.

(2) Diese Sichtweisen haben Vorläufer, insbesondere in der Banking-Currency-Kontroverse um die Folgen der Peelschen Bankakte für die englische Wirtschaft in der Mitte der 19. Jahrhunderts. Bereits Marx hatte diese Kontroverse im 3. Band des "Kapital" aufgenommen und kritisch kommentiert und spätere Erkenntnisse von Schumpeter bereits vorweggenommen. Der Nachvollzug der Marxschen Darstellung der Entwicklung des zinstragenden Kapitals und seiner Formen wird durch die manchmal etwas eigenwillige Zusammenstellung und Kommentierung der verschiedenen Manuskripte durch Engels im 3. Band des "Kapital" (MEW Bd. 25) eher behindert als gefördert. Insofern ist es notwendig, diese Textfragmente, die Marx hinterlassen hatte, in ihrer redaktionellen Zusammenfassung in der MEGA II. 4.2 und 4.3 zu lesen. Sie sind als Zwischenergebnisse von Forschungsprozessen und nicht als Resultate oder gar Darstellung von Forschungsergebnissen zu lesen. Nach meiner Sicht hat Marx im 29. Kapitel von MEW 25 (Bestandteile des Bankkapitals) diese Kreditschöpfung der Banken aus dem Nichts bereits vorweggenommen, ohne allerdings diesen Begriff zu verwenden.

(3) In den 1920/30er Jahren gab es angesichts massiver Währungs- und Wirtschaftskrisen eine breite Debatte in Sachen Geld- und Kredittheorien, auf die hier nur hingewiesen werden kann. Als Zusammenfassung: Wagner 1966 (1937). Als Überblick speziell über die "neue" Kredittheorie L.A. Hahns und dessen Vorläufer: Honegger 1929. Hahn hat sich später von seiner Kredittheorie wegen der weitgehenden Übereinstimmungen mit der Kredittheorie von J.M. Keynes scharf distanziert. Der praktische Bankier Hahn hatte eine Entdeckung gemacht, deren geldpolitische Folgen für die Wirtschaftspolitik er später sehr kritisch gesehen hatte. Keynes verfolgte mit seiner Geldtheorie auch eine auf Beschäftigung gerichtete Wirtschaftspolitik, ein Ziel, das Hahn ablehnte.

(4) Der "monetäre Keynesianismus" hat in dieser Frage allerdings eine andere Sicht der Geldschöpfung als Werner. Für ihn entsteht Geld dadurch, dass die Zentralbanken den Geschäftsbanken, die Kredite vergeben, dieses Geld gegen die Hinterlegung von Sicherheiten ausleiht. Dann finanzieren die Geschäftsbanken mit diesem Geld plus den Einlagen der Sparer die Kreditnachfrage (Heine/Herr 2008: 129). Hier ist die Zentralbank der Schöpfer des Geldes, während es bei Werner, Schumpeter, Hahn u.a. die Geschäftsbanken sind und hier die Zentralbanken nur stützend tätig werden, indem sie als Lender of Last Resort agieren.

(5) Warum es in den 1970er Jahren dazu gekommen ist, dass diese Erkenntnis von der Geldschöpfungsfunktion der Banken verdrängt und vergessen worden ist, bedarf einer genaueren Untersuchung. Schumpeter hat über dieses Defizit in der "Geldwissenschaft" als "hoffnungsloses Gewirr von wissenschaftlichen Meinungen, was nur ein - freilich hoffnungsloses - Gewirre von politischen Wollungen ist" (Schumpeter 2008), gespottet. Werner wird heute als "Entdecker" der Geldschöpfung der Geschäftsbanken gesehen, obwohl er nur auf die Erkenntnisse von Hahn, Schumpeter, Keynes u.a. wieder hingewiesen hat. Viele Marxisten haben eine solche Funktion einer formal selbständigen Geldschöpfung wegen ihres Desinteresses an einer Geldtheorie überhaupt, wegen der Orientierung an der metallischen Basis des Geldes oder an einer Konstruktion des Finanzkapitals in der Tradition von Hilferding überwiegend als wissenschaftliche Apologetik abgelehnt, was bemerkenswert ist, weil Marx bekanntlich den dem Geld eigenen Fetischismus herausgearbeitet und damit die Notwendigkeit einer Geldtheorie betont hat. Den Monetaristen in der Tradition von Irving Fisher und Milton Friedman war diese Funktion der Kreditschöpfung bekannt und sie haben versucht, sie radikal einzuschränken, wollten aber im Unterschied zu den "Österreichern" nicht zum Goldstandard zurück. Daher auch die Zustimmung Fishers zu dem Vorschlag eines "gestempelten" Geldes durch den "seltsamen Propheten" Silvio Gesell (Keynes 2006: 298). Heute tauchen diese Vorschläge Fishers als 100%-Geld oder als "Vollgeld" als Vorschläge zur radikalen Kontrolle des Finanzsektors wieder auf (siehe Huber 1998, 2010) und werden innerhalb der Linken teilweise unkritisch und ohne Bezug auf ihre Entstehungsgeschichte übernommen.

(6) Es hat bereits eine Debatte gegeben, ob statt der Nennwerte (Nominalwerte) der Forderungen, nicht die bereits erfolgten Wertberichtigungen berücksichtigt werden sollen und daher die Forderungen nur zu den Buchwerten gekauft werden sollen. Das International Accounting Standards Board (IASB), das für die Regelung der internationalen Rechnungslegungsstandards IFRS zuständig ist, hatte bereits im Oktober 2008 die entsprechenden Standards (IAS 39 und IFRS 7) dahingehend geändert, dass Handelsaktiva und Bankaktiva unterschieden werden können und die ersten mit den aktuellen Marktwerten (Fair Value) und die zweiten mit den Anschaffungskosten (also zu erheblich höheren Werten) bilanziert werden (Achleitner u.a. 2009: 121ff.). Das hatte damals eine ganze Reihe von Großbanken vor der Insolvenz bewahrt.

(7) Werner knüpft an die Geldtheorie an, die Keynes in "Treatise on Money" (deutsch: Vom Gelde) entwickelt hatte, und richtet diese Sicht kritisch gegen die von Keynes in der "General Theory" vertretene engere Sicht der Geldschöpfung (Werner 2007: 242i, siehe auch Herr 1988, Herr 1992 und Heine/Herr 1996),



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Quelle:
Sozialismus Heft 9/2013, Seite 53 - 59
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Dezember 2013