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BERICHT/196: Hans-Böckler-Stiftung - Zwischenbilanz der Wirtschaftskrise (idw)


Hans-Böckler-Stiftung - 20.08.2009

Zwischenbilanz der Wirtschaftskrise

IMK: Stärkung der Binnenwirtschaft bringt Wachstum nach der Krise


Für die Politik ist es höchste Zeit, die einseitig exportorientierte Ausrichtung der deutschen Wirtschaft zu beenden. Das ist möglich und sinnvoll: Durch eine Strategieänderung würde im Saldo sogar zusätzliche Beschäftigung in Deutschland entstehen. Vor allem aber würde der Euroraum stabilisiert. Auch die extremen Ungleichgewichte in den Leistungsbilanzen der großen Wirtschaftsnationen, die wesentlich zur aktuellen Wirtschaftskrise beigetragen haben, würden wenigstens von deutscher Seite verringert. Zu diesem Schluss kommt das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) in der Hans-Böckler-Stiftung in einer neuen Studie. Ohne Korrektur der Wirtschaftsstrategie würden nach dem Ende der Wirtschaftskrise nicht für alle Jobs, die jetzt in Deutschland verloren gehen, neu entstehen, warnen die Konjunkturexperten in ihrer Untersuchung, die heute als IMK Report erscheint.*

"Die Wirtschaftskrise wirkt in mehr als einem Sinn wie ein Erdbeben. Sie war auch eine Reaktion auf die enormen Spannungen in der Tektonik der internationalen Wirtschaftsbeziehungen", sagt Prof. Dr. Gustav A. Horn, der Wissenschaftliche Direktor des IMK. "Sie führt uns vor Augen, dass eine globalisierte Wirtschaft nicht funktionieren kann, wenn ein kleiner Kreis von Ländern - in den letzten Jahren vor allem Deutschland, China und Japan - riesige Exportüberschüsse erzielt, während eine andere Gruppe - insbesondere die USA, Spanien und Großbritannien - riesige Leistungsbilanzdefizite aufhäuft. Wir haben also gar keine Alternative dazu, unser Wirtschaftsmodell zu überdenken - die anderen Staaten dürften es auch tun", so Horn.

Die Ökonomen empfehlen für Deutschland einen Pfad "balancierten Wachstums", auf dem die Binnennachfrage eine größere Rolle spielt als im vergangenen Jahrzehnt. "Dies bedeutet nicht, dass die Exporte reduziert werden müssten, sondern, dass in Zukunft eben auch die Importe nach Deutschland sich im Gleichklang mit den Exporten bewegen sollten", betont Horn. "Es geht also nicht um eine verminderte Integration der deutschen Wirtschaft in das weltwirtschaftliche Gefüge. Im Gegenteil, es geht vielmehr um deren nachhaltige Stabilisierung."

Die Wirtschaftskrise hat exportorientierten Ländern wie Deutschland einen besonders scharfen konjunkturellen Einbruch beschert, zeigt die IMK-Untersuchung. Ohne die Kurzarbeit hätte dies auch schon weitaus stärker auf die Arbeitslosenzahlen durchgeschlagen. Bis Ende 2010 dürfte die Zahl der Arbeitslosen auf 4,7 Millionen steigen, prognostiziert das IMK. In den nächsten Jahren wird die Weltwirtschaft nach Einschätzung vieler Ökonomen nicht wieder so kräftig wachsen wie vor der Krise. Damit fällt der Außenhandel als treibende Kraft der deutschen Wirtschaft aus.

Vor diesem Hintergrund skizziert das IMK für die wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands in nächster Zeit drei Szenarien:

Szenario 1:
Weiter so. Deutschland führt seine bisherige wirtschaftspolitische Strategie auch unter den geänderten weltwirtschaftlichen Rahmenbedingungen fort. Das dürfte ein mittelfristig noch geringeres Wachstum als vor der Krise bedeuten, da die Exporterfolge der jüngsten Vergangenheit bei geringerem Weltwachstum nicht mehr zu erreichen wären. Zudem werden die USA, Großbritannien oder Spanien auf absehbare Zeit gezwungen sein, ihre außenwirtschaftlichen Defizite zu begrenzen. Was das für die deutsche Wirtschaft bedeutet, machen die Ökonomen mit einer Simulationsrechnung deutlich: Wenn die drei Länder ihre Importe so stark reduzieren würden, dass die Defizite auf nur noch ein Drittel des aktuellen Wertes sänken, würde das in Deutschland zu einem negativen Wachstumsimpuls von etwa zwei Prozentpunkten führen. Das im Zuge der Krise zu erwartende höhere Niveau der Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik wird unter diesen Umständen nicht wieder abgebaut werden können; die Staatsverschuldung bleibt hoch. Wegen der gesetzlich eingeführten Schuldenbremse kann der Staat auch nicht mehr wirtschaftspolitisch gegensteuern. Damit steigt der Zwang, Einsparungen im Sozialbereich und - vor allem auf Seiten der Kommunen - bei den Investitionen vorzunehmen. Es drohen ein weiterer Sozialabbau und eine Fortdauer der Wachstumsschwäche. Gleichzeitig wird bei geringem Wachstum, verschlechterten Exportbedingungen und hoher Sockelarbeitslosigkeit der Druck auf die Löhne zunehmen. Eine Verstärkung der Ungleichverteilung der Einkommen und deflationäre Tendenzen sind zu erwarten.

Szenario 2:
Aggressivere Exportstrategie. Deutschland setzt weiter auf den Export. Um aber unter den verschlechterten Rahmenbedingungen hohe Exporterfolge erzielen zu können, wird der Druck auf die Arbeitnehmer erhöht, Lohnverzicht zu üben. Zusammen mit institutionellen Veränderungen am Arbeitsmarkt wird darauf eingewirkt, die Arbeitskosten so weit zu senken, dass Deutschland seine Exportanteile auf Kosten anderer Länder weiter aggressiv ausbauen kann. Der Export kann so seine Funktion als Wachstumsmotor erfüllen, allerdings nur um den Preis einer immer weiter geschwächten Binnennachfrage, einer sinkenden Lohnquote und zunehmender Verteilungsungerechtigkeit. Prekäre Arbeitsverhältnisse nehmen weiter zu. In diesem Szenario entstehen zudem erneut die destabilisierenden Außenhandelsüberschüsse. Auch die Europäische Währungsunion geriete unter großen Druck.

Szenario 3:
Balanciertes Wachstum. Deutschland ändert seine Strategie und bemüht sich, die Binnenwirtschaft zu stärken. Dass sich das auszahlen würde, belegt eine weitere IMK-Studie.** Sie zeigt, dass Deutschland in der Vergangenheit von der Globalisierung profitiert hat. Im Zuge der Exporterfolge erhöhte sich nicht nur das Wachstum, sondern es wurden auch mehr Arbeitsplätze geschaffen, als durch Verlagerung von Produktionsstätten ins Ausland und den Import von Vorprodukten verloren gingen. Doch schon vor der Krise wäre eine Strategie, die die Binnenwirtschaft gestärkt hätte, erfolgreicher gewesen, zeigen weitere Berechnungen mit dem makroökonomischen Modell des IMK: Hätte sich die gesamtwirtschaftliche Lohnentwicklung in den vergangenen Jahren am mittelfristigen Produktivitätswachstum plus der EZB-Zielinflationsrate orientiert, wäre sie mit jährlich drei Prozent deutlich höher ausgefallen als in der Realität. Die höhere Lohnsteigerung hätte zwar zu etwas geringeren Exportanstiegen und höheren Importen geführt. Wegen der verbesserten Kaufkraft hätten sich aber auch privater Konsum und inländische Nachfrage besser entwickelt. Die Beschäftigung wäre um rund ein Prozent höher gewesen. Angesichts der Größe Deutschlands hätten die Zuwächse in der Binnennachfrage die Außenhandelsverluste mehr als kompensieren können, resümiert das IMK: Wachstum, Löhne, Verteilung und Arbeitsplätze hätten sich besser entwickelt. Zugleich wären nicht so hohe destabilisierende Außenhandelsüberschüsse entstanden.

Für ein nachhaltiges, kräftigeres Wachstum machen die Wirtschaftsforscher deshalb Vorschläge, wie sich die Binnenwirtschaft stärken ließe:

Rückkehr zu an der Produktivität orientierten Lohnzuwächsen
Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns. So ließe sich das Ausfransen der Löhne nach unten eindämmen und Fehlentwicklungen in der Einkommensentwicklung korrigieren. Der private Konsum könnte sich besser entwickeln.
Erhöhte staatliche Investitionstätigkeit. Grundsätzlich ist der Staat in Deutschland gemessen an den erforderlichen Aufgaben unterfinanziert. Allgemeine Steuersenkungen verbieten sich vor diesem Hintergrund. Dies schließt Änderungen der Steuerstruktur nicht aus. Eher müssen - nach dem Abklingen der Krise - höhere Steuern verlangt werden, die für höhere öffentliche Investitionen verwendet werden sollten, um so die Binnennachfrage zu stärken. Denn höhere Ausgaben für Infrastruktur und Bildung steigern die Produktivität - und ermöglichen damit auch privaten Wohlstand.
Förderung privater realwirtschaftlicher Investitionen. Das Steuersystem sollte auch für Privatleute Anreize setzen, in die reale Wirtschaft zu investieren - und nicht in Finanzprodukte. Deshalb sollten beispielsweise Finanzmarkttransaktionen besteuert werden.

(*) Gustav Horn, Heike Joebges, Rudolf Zwiener:
Von der Finanzkrise zur Weltwirtschaftskrise (II):
Globale Ungleichgewichte: Ursache der Krise und
Auswegstrategien für Deutschland,
IMK Report Nr. 40 August 2009

Download unter:
http://www.boeckler.de/pdf/p_imk_report_40.pdf

(**) Heike Joebges, Andreas Schmalzbauer, Rudolf Zwiener:
Der Preis für den Exportweltmeister:
Niedrige Löhne und geringes Wirtschaftswachstum,
IMK Study Nr. 4/2009


Download:

http://www.boeckler.de/pdf/p_imk_study_4_2009.pdf

Infografik zum Download im neuen Böckler Impuls 12/2009:
http://www.boeckler.de/32014_96325.html

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution621


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Hans-Böckler-Stiftung, Rainer Jung, 20.08.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. August 2009