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ARBEIT/2832: "Arbeitgeber können es sich leisten, höhere Löhne zu zahlen" (idw)


Technische Universität Berlin - 27.06.2018

"Arbeitgeber können es sich leisten, höhere Löhne zu zahlen"

Regionale Auswirkungen des deutschen Mindestlohns - Aktuelle Studie erschienen


Die Einführung eines einheitlichen nationalen Mindestlohns in Deutschland im Jahr 2015 führte nicht wie befürchtet zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit in Regionen, welche einen hohen Anteil von Beschäftigten unter dem Mindestlohn aufwiesen. Dies hat eine unabhängige Studie der Wissenschaftler Gabriel Ahlfeldt, der an der London School of Economics und an der TU Berlin Stadtökonomie lehrt, sowie Duncan Roth (Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung) und Tobias Seidel (Universität Duisburg-Essen) ergeben. Die Studie wurde als Diskussionspapier des Enter for Economic Policy Research veröffentlicht. Sie ist die erste ihrer Art, welche die Auswirkungen der deutschen Mindestlohnpolitik auf Löhne, Beschäftigung, und regionale Migration umfassend statistisch untersucht.

Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass der Mindestlohn wie erwartet die Löhne von Beschäftigten im Niedriglohnsektor signifikant erhöht hat, insbesondere in Regionen, welche ein niedriges durchschnittliches Lohnniveau aufwiesen. Entgegen den im Vorfeld der Einführung vielfach geäußerten Befürchtung, kam es in diesen Regionen jedoch nicht zu einer Verringerung der Beschäftigung oder einer Erhöhung der Arbeitslosigkeit und Abwanderung. Offensichtlich konnten die Unternehmen die Löhne erhöhen ohne Arbeitsplätze abbauen zu müssen.

Im Südwesten sind die durchschnittlichen Einkommen höher als im Norden und Osten Deutschlands

Im Januar 2015 wurde der bundesweite Mindestlohn in Deutschland, der größten Volkswirtschaft Europas, in allen 16 Bundesländern eingeführt. Als Folge des Gesetzes mussten deutsche Arbeitgeber, von Ausnahmeregelungen abgesehen, in 2015 und 2016 einen Lohn von mindestens € 8,50 Euro pro Stunde zahlen. Dies entspricht 48 Prozent des Medians der Vollzeitbeschäftigten, ein im internationalen Vergleich eher durchschnittlicher Wert. Allerdings haben deutschen Regionen ein sehr unterschiedliches Produktivitäts- und Lohnniveau. Zum Beispiel verfügen Beschäftigte im Südwesten Deutschlands in der Regel über höhere durchschnittliche Einkommen als im Norden oder Osten Deutschlands.

Die Mindestlohnpolitik hatte daher in wirtschaftlich schwächeren Regionen, wo viele Arbeitnehmer weniger verdienen als die 48 % des Medianlohns, einen größeren Einfluss auf die Löhne als in wirtschaftlich stärkeren Gebieten, in denen weniger Arbeiter unterhalb des Mindestlohns beschäftig wurden.

Im Vorfeld der Einführung wurde vielfach befürchtet, dass aufgrund des relativ hohen einheitlichen Mindestlohns, Regionen mit niedrigeren Löhnen von der Einführung des Mindestlohns negativ betroffen sein könnten. Erwartet wurde ein Anstieg der Arbeitslosigkeit, da die Unternehmen ihre Lohnkosten nicht erhöhen könnten. Weiterhin wurde befürchtet, dass es durch erhöhte Arbeitslosigkeit zu einer verstärkten Abwanderung aus diesen Region kommen würde.

Um die regionalen Effekte des einheitlichen Mindestlohns empirisch zu untersuchen, analysierten die Forscher die Entwicklung der Löhne, Beschäftigung, sowie die regionalen Fort- und Zuzüge in Deutschland von 2011 bis 2016 auf Ebene der Kreise und kreisfreien Städte. Grundlage der Untersuchung bildete ein Datensatz der Bundesagentur für Arbeit, der nahezu alle Beschäftigten und Arbeitslosen in Deutschland berücksichtigt.

Einführung des Mindestlohns führte nicht zu einem nennenswerten Rückgang der Beschäftigung

Die Forscher stellen fest, dass die Einführung des Mindestlohns in Regionen mit einem vormals hohen Anteil von Beschäftigten unterhalb des Mindestlohns nicht zu einem nennenswerten Rückgang der Beschäftigung geführt hat. Tatsächlich ist die Arbeitslosigkeit in vielen Gebieten mit relativ niedrigeren Löhnen zumindest temporär im Jahr 2015 sogar leicht gesunken. Die Arbeitgeber in diesen Regionen waren offensichtlich in der Lage die Lohnsumme auszudehnen, ohne die Beschäftigung reduzieren zu müssen. Vor dem Hintergrund des neoklassischen Arbeitsmarktmodells sind diese Ergebnisse überraschend. Das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage sollte eigentlich sicherstellen, dass die Beschäftigten entsprechend ihrer Produktivität entlohnt werden. Löhne, die dieses Niveau übersteigen, sollten nicht nachhaltig sein und zu Entlassungen führen.

Oder, wie es Gabriel Ahlfeldt, Associate Professor an der London School of Economics und Dozent an der TU Berlin zusammenfasst: "Die Tatsache, dass wir von der Politik erzwungene Lohnerhöhungen ohne Arbeitsplatzverluste beobachten, bedeutet wohl, dass viele Beschäftigten unter ihrem Grenzprodukt entlohnt wurden. Dies steht nicht im Einklang mit dem Standardmodell der Arbeitsökonomie und legt nahe, dass Arbeitgeber es sich leisten konnten, höhere Löhne zu zahlen."

"Insgesamt scheint der Mindestlohn innerhalb der ersten zwei Jahre zu einer Verringerung der Lohnungleichheiten zwischen deutschen Arbeitnehmern und Regionen geführt zu haben. Die befürchteten Kosten in Form von erhöhter Arbeitslosigkeit und Abwanderung in wirtschaftlich schwächeren Regionen sind bislang nicht eingetreten. Vor diesem Hintergrund sind die zuletzt beschlossenen Erhöhungen des Mindestlohns bis 2020 nachvollziehbar. Weitere Anpassungen sollten jedoch auf Grundlage einer empirischen Evaluierung von bislang erfolgten und beschlossenen Erhöhungen des Mindestlohns erfolgen."


Zur Studie
"The regional effects of Germany's national minimum wage" von Gabriel Ahlfeldt, Duncan Roth und Tobias Seidel wurden am 20. Juni 2018 Center for Economic Policy Research Discussion Paper veröffentlicht (DP13005) veröffentlicht. Der Artikel ist online verfügbar unter:
https://cepr.org/active/publications/discussion_papers/dp.php?dpno=13005



Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution52

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Technische Universität Berlin, 27.06.2018
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Juni 2018

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