Schattenblick → INFOPOOL → POLITIK → WIRTSCHAFT


AGRAR/1758: Konzernmacht in Tansania (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2015

Money for Nothing
Krise als Geschäftsmodell

Konzernmacht in Tansania
Ein Drittel des Landes wird zum Wachstumskorridor

von Kerstin Lanje


Paul Chilewa, Mitarbeiter von Caritas Tanzania, blickt auf den Hafen in Dar Es Salaam. Hier baut der weltgrößte Düngemittelhersteller Yara International ASA einen neuen Hafenterminal: 150.000 Tonnen Düngemittel will Yara jährlich hierüber importieren. Zielgruppe des Düngemittelherstellers sind die Kleinbauern und Kleinbäuerinnen Tansanias.


Das Unternehmen ist Partner der Neuen Allianz für Ernährungssicherheit in Afrika. Diese wurde im Mai 2012 von Barack Obama auf dem G8-Treffen in Camp David ins Leben gerufen. Ziel war es, sichere Rahmenbedingungen für private Investitionen im Agrarsektor zu schaffen. Die sechs afrikanischen Staaten Äthiopien, Burkina Faso, Elfenbeinküste, Ghana, Mosambik und Tansania waren von Beginn an beteiligt. Benin, Senegal, Nigeria und Malawi sind mittlerweile beigetreten. In Tansania soll ein Gebiet von der Größe Italiens in einen so genannten Wachstumskorridor für industrielle Landwirtschaft umgewandelt und dafür mit Infrastruktur wie Hafenzugang, Straßen, einem Eisenbahnnetz, Bewässerung, mehr Lagerkapazitäten und Verarbeitungsmöglichkeiten augestattet werden. Unter dem Namen Southern Agricultural Growth Corridor of Tanzania (SAGCOT) sollen Kleinbauern und -bäuerinnen durch Vertragslandwirtschaft in den globalen Handel einbezogen werden. Das bedeutet, dass sie auf ihrem eigenen Land produzieren und Aufkaufgesellschaften direkt beliefern. Ziel ist es, auf diese Weise innerhalb von 20 Jahren rund zwei Millionen Kleinbauern und -bäuerinnen aus der Armut zu befreien. In Tansania fiel dieses Konzept auf fruchtbaren Boden, da die tansanische Regierung mit dem Programm Kilimo Kwanza (Landwirtschaft zuerst) ebenfalls auf die Mobilisierung der Privatwirtschaft setzt.

Seit Herbst 2012 mehrten sich besorgte Stimmen von MISEREORPartnerInnen aus Tansania, die von Landnahmen in Folge ausländischer Investitionen berichteten. Für die ländliche Bevölkerung in Tansania ist der Zugang zu Land aber überlebenswichtig: rund 80 % der Menschen leben vom Ackerbau und der Tierhaltung. Ist SAGCOT wirklich ein Weg zur Hungerbekämpfung?


Staat gibt Land an Investoren

Alarmierend sind die im Zuge der Zustimmung zur Neuen Allianz zugesagten Pläne der tansanischen Regierung, etwa 17 % der als "Gemeindeland" ausgewiesenen Flächen in Staatsland umzuwandeln, damit eine Übereignung des Landes an Investoren erleichtert wird. Laut einem Mitarbeiter des Landwirtschaftsministerium ist nicht nachvollziehbar, welcher Investor bereits welche Flächen gepachtet hat oder haben möchte. Eine sogenannte Landbank mit derlei Informationen ist nicht vorhanden. Über allem steht dabei die zentrale Annahme der tansanischen Regierung, es gäbe Land im Überfluss. Laut SAGCOT Veröffentlichungen sind 7,5 Millionen Hektar Land als fruchtbares Ackerland klassifiziert, wovon aber nur 2,1 Millionen Hektar kultiviert werden. Die Realität ist jedoch: Land ist schon jetzt knapp in Tansania. Viele Flächen werden gemeinschaftlich für die Weide, für das Sammeln von Wildfrüchten oder Medizinpflanzen genutzt. Auch notwendige Flächen für zukünftige Generationen bleiben in den Zahlenspielen vieler FürsprecherInnen der Neuen Allianz außen vor. MISEREOR-Recherchen haben ergeben, dass sich Investoren ausschließlich für sehr fruchtbares Land interessieren - gerade dieses wird jedoch bereits von der lokalen Bevölkerung genutzt. Für die MISEREOR-Studie "Das Menschenrecht auf Nahrung" wurden vier Dörfer für die Recherche ausgewählt, die von Investitionsprojekten aus dem Ausland direkt oder indirekt betroffen sind. Alle vier Fallstudien zeigen die massiven Probleme von großen Agrarinvestitionen auf.


Absprachen mit Dorfgemeinschaften werden übergangen

Die tatsächlich von den staatlichen Behörden an die Investoren übertragenen Flächen sind häufig sehr viel größer, als dies ursprünglich mit den Dörfern vereinbart war. So hat die Dorfgemeinschaft aus Lipokela bei Songea eingewilligt, rund 1.000 Hektar an einen Investor abzugeben, tatsächlich übertragen wurden aber 5.000 Hektar. Bis heute herrscht Unklarheit darüber, wer die Verantwortung für die deutlich höhere Flächenübertragung trägt. 160 Familien mussten nach Angaben der Dorfbevölkerung abwandern, während der Kaffeeinvestor Olam Aviv sich auf die Zusage des tansanischen Staates beruft. Auch in der Gemeinde Lutukira wurde mit 20.000 Hektar eine doppelt so große Ackerfläche an einen Investor übergeben, als ursprünglich mit dem Ortsrat vereinbart. Zusätzlich wurde auch die Dauer der Landübereignung ausgedehnt: So hat Lutukira nur einem Übertragungszeitraum von 33 Jahren zugestimmt, während der Investor von den Behörden aber einen Pachtvertrag über 99 Jahre ausgehändigt bekam.

Zudem bleiben Vereinbarungen über Leistungen der Investoren für die betroffenen Dörfer leere Versprechungen. In allen vier Fällen waren den Dörfern im Vorfeld der Landübereignungen umfangreiche Zusagen zu Infrastrukturmaßnahmen, Dienstleistungen und der Schaffung von Arbeitsplätzen gemacht worden. Häufig waren diese gekoppelt an zu erbringende Eigenleistungen der Dorfgemeinschaften. So fehlt oft ein klarer Rahmenvertrag, der die Verpflichtungen der Investoren verbindlich zusichert. In Lutukira zeigte der Vorsitzende des Ortsrates, Christian Mapunda, große Mengen an getrockneten Ziegeln: "200.000 Ziegel haben wir als Eigenleistung produziert, dafür wurde uns vom Investor eine Schule versprochen. Er hat sich seit zwei Jahren nicht um seine Zusage gekümmert."


Es geht nicht nur um Ackerland

Neben dem Zugang zum wichtigen Produktionsmittel Boden, verliert die lokale Bevölkerung den Zugang zu Weide, Holz- und Wasserressourcen. Was das für die DorfbewohnerInnen bedeutet, hat die Autorin und MISEREOR-Mitarbeiterin Kerstin Lanje in Muwimbi erlebt. Ein hoher Zaun verhindert, dass die DorfbewohnerInnen das Investoren-Gelände überqueren können. Ca. 800 Menschen sind seit der Übertragung des Geländes abgeschnitten von dem Dorf. Kinder müssen zwei Stunden zur Schule laufen, statt wie zuvor rund 30 Minuten. Die Dorfbevölkerung befürchtet zudem, dass ihnen der Investor den Zugang zu den Wasserquellen abschneiden wird. Riesige Pipelines zur Bewässerung des Ackerlandes sind schon bereitgestellt, das Nachbardorf hat bereits den Zugang zu ihren Wasserquellen weitestgehend verloren.


Nur prekäre Saisonarbeit geschaffen statt sicherer Ernährung

In allen vier für die Studie besuchten Ortschaften wurde nur eine geringe Anzahl an festen Arbeitsplätzen geschaffen. Arbeitsverträge lagen nur für VorarbeiterInnen vor, die Bezahlung wird als viel zu gering angesehen, die sanitäre Versorgung war mangelhaft. Der Kaffeeinvestor Olam Aviv hat beispielsweise erst im Jahr 2015 mit dem Bau von Toiletten begonnen. Vorher, so beklagen sich die Menschen aus Lipokela, habe es für die rund 1.500 Beschäftigten keine Sanitäranlagen gegeben. Das Essen sei von schlechter Qualität, auch Trinkwasser wäre nicht zugänglich. "Wenn wir die Wahl hätten, selber das Land zu bestellen oder beim Investor angestellt zu arbeiten, würden wir nicht als Tagelöhner arbeiten. Selbst wenn die Löhne erhöht würden, wären wir nicht bereit dazu. Wir hätten lieber unser eigenes Land. Wir schätzen unsere Freiheit - wir würden der Regierung raten, die Investoren zu entfernen", so ein Dorfbewohner aus Lipokela.

Es ist höchste Zeit, die Wirkungen des Konzepts "Agrarmodernisierung" durch Wachstumskorridore zu überprüfen und den Ansatz kritisch zu hinterfragen. Das Werk für Entwicklungszusammenarbeit MISEREOR fordert daher ein sofortiges Moratorium der Neuen Allianz für Ernährungssicherheit-Aktivitäten in Tansania und eine Überprüfung der Auswirkungen auf das Menschenrecht auf Nahrung. Im Oktober 2015 stehen in Tansania die Präsidentschaftswahlen ins Haus. Es bleibt zu hoffen, dass die Neue Allianz zu einem Wahlkampthema wird und die Probleme dieses Feldversuchs zur Sprache kommen.


Die Autorin arbeitet als Referentin für Welthandel und Ernährung bei MISEREOR.

Die Studie "A Right to Food Perspective" wurde im Rahmen des Kooperationsprojektes "Teaching EcoFair" zwischen der Heinrich Böll Stiftung (Deutschland), Caritas Tschechien und verschiedenen Universitäten in Europa durchgeführt. Mit "Teaching EcoFair" soll erreicht werden, dass das Thema Recht auf Nahrung stärker in Forschung und Lehre an Europäischen Universitäten verankert wird.

Mehr Informationen unter:
www.misereor.de/themen/hunger/studie-recht-auf-nahrung.html


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.

*

Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2015, Seite 33-34
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Dezember 2015

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang