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AGRAR/1743: Weder Zu- noch Unfälle im Osten auf dem Land (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 391 - September 2015
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Weder Zu- noch Unfälle im Osten auf dem Land
Ostdeutschlands Agrarpolitik förderte und fördert gezielt ungerechte Eigentumsverteilung und macht Landgrabbing erst möglich

Von Claudia Schievelbein


Ironie der Geschichte sei es, sagt Wolfgang Horstmann, dass ausgerechnet in den ostdeutschen Ländern Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg, in denen der Verkauf von staatseigenen Flächen durch die Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) besonders stringent durchgezogen wurde, nun der Aufkauf großer Agrarbetriebe durch außerlandwirtschaftliche Investoren besonders ausgeprägt stattfinde. Er muss es wissen, war er doch von 1990 bis 2011 Geschäftsführer der BVVG. Gerade erst warnten die Länderagrarminister unter Federführung von Mecklenburg-Vorpommerns Till Backhaus (SPD) in einem Brief an Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) vor den negativen Auswirkungen dieses Agrar-Ausverkaufs in Ostdeutschland für das Gemeinwohl. Es könnte der Eindruck entstehen, hier geschähen Dinge, denen Gesellschaft und Politik macht- und fassungslos gegenüberstehen und standen.

Alle wollten

Die Geschichte mag ironisch sein oder nicht, aber sie ist genau so von den Horstmanns und Backhausens geschrieben worden. Bemerkenswerterweise lässt der ehemalige BVVG-Geschäftsführer mit dem Blick zurück nun zumindest einen Hauchvon Selbstkritik wehen. In einem aktuellen Interview wird er mit dem Satz zitiert, es sei "ein entscheidender Fehler gewesen, den Pächtern von BVVG-Flächen in den ab Januar 2007 geltenden Privatisierungsgrundsätzen die Möglichkeit einzuräumen, bis zu 450 Hektar direkt zum Verkehrswert zu erwerben". Im Ergebnis seien fast genauso viel Flächen noch einmal zum Verkehrswert direkt an die Pächter verkauft worden wie vorher auf gesetzlicher Grundlage zu dem begünstigten Preis. Damit habe man zum einen die Agrarstruktur weiter verfestigt. Zum anderen wurde, so Horstmann, dadurch einer ungerechten Vermögensverteilung Vorschub geleistet. Die profitierenden Pächter waren in den meisten Fällen LPG-Nachfolgebetriebe. Es wäre allerdings Augenwischerei zu glauben, die Schieflagen und Ungerechtigkeiten hätten erstmals 2007 stattgefunden und Horstmann müsste ehrlicherweise mit seiner kritischen Rückschau schon früher einsetzen. Schon Anfang der neunziger Jahre des endenden vorigen Jahrtausends, direkt nach dem Ende der DDR, steuerten Politiker und einflussreiche Verbandsvertreter ausschließlich Maßnahmen so, dass sie die vorhandene Agrarstruktur in Ostdeutschland - die durch die Zwangskollektivierung entstandenen Großbetriebe - erhielten. Begründet wurde das immer mit dem Erhalt wirtschaftender Betriebe gerade auf dem Land. 2002 sagte Horstmann, damals noch bei der BVVG in Amt und Würden, der Berliner Zeitung, man habe in den ersten Jahren Ackerflächen fast komplett mit der Option auf den späteren Erwerb verpachtet, weil man den ehemaligen landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften erst einmal die Chance geben wollte, in der Marktwirtschaft Fuß zu fassen. Rund 80 Prozent der Verpächter hätten dann von dem Recht Gebrauch gemacht, bis 2001 einen Kaufantrag zu stellen, um bis 2008 einen Teil der Flächen zum halben Verkehrswert zu kaufen. Hätte man gleich verkauft, so hat es Horstmann damals gesagt, wären die LPG-Nachfolger kaum zum Zuge gekommen. "Es ist unstrittig, dass Agrarbetriebe mit Flächen von 400 bis 1.500 Hektar profitabler arbeiten können als solche mit rund 45 Hektar Fläche", sagte auch Horstmann damals der Leipziger Volkszeitung.

Theoretisch für alle

Mit so einer Haltung nicht nur bei ihm wird klar, warum andersherum kaum jemand außer den LPG-Nachfolgern zum Zuge kam. Das entsprechende Gesetz, das Entschädigungs- und Ausgleichsleistungsgesetz (EALG), sah vor, dass nur Pächter mit einem mindestens sechsjährigen Pachtvertrag mit der BVVG sowie ausschließlich Alteigentümer ohne einen Pachtvertrag vergünstigt kaufen konnten. Letzteres war ein Zugeständnis an die Verlierer der Bodenreform. Zwar sind im EALG auch Neu- und Wiedereinrichter als möglicherweise Kaufberechtigte genannt, auf sie traf aber - siehe Horstmanns Aussagen - kaum die kaufberechtigende Bedingung zu, im Besitz eines langfristigen Pachtvertrags mit der BVVG zu sein. Hinzu kam, dass zusätzlich eine Ortsansässigkeit vorgeschrieben war, über die sich 1998 die EU-Kommission aus Wettbewerbsgründen beschwerte. Die Bundesregierung reagierte mit einer Gesetzesänderung im Jahr 2000, in der die Ortsansässigkeit kassiert wurde und auf die Kritik der EU-Kommission, Verkaufspreise zur Hälfte unterhalb des Verkehrswertes seien unlautere Beihilfen, durch eine Verringerung des Abschlags vom Verkehrswert auf 35 Prozent. Der aufgrund der Streitigkeiten mit Brüssel ausgesetzte Landverkauf lief wieder an, zuvor gestellte Anträge behielten ihre Gültigkeit, es standen noch rund eine Million Hektar Acker- und Grünland zum begünstigten Verkauf zur Verfügung. Als dann 2008 die Modalitäten des begünstigten Verkaufs auszulaufen drohten, wurde der Winkelzug mit den 450 Hektar, die Pächter zum Verkehrswert kaufen konnten angebracht. 2008 präsentierte Wolfgang Horstmann folgende Powerpointaussagen: "75 % der BVVG-Fläche kann direkt an derzeitige Pächter verkauft werden; nur bis zu 2 % der LF in NBL wird im Ergebnis von Ausschreibungen der BVVG ggf. neu verteilt; Auswirkungen der BVVG-Privatisierungen auf Flächenausstattung der Betriebe und Struktur der Landwirtschaft deshalb sehr gering; Anteil der BVVG-Verkäufe an Gesamtverkaufsfläche in den letzten Jahren sehr hoch; Marktgeschehen wird von BVVG-Verkäufen beeinflusst."

Verklärte Genossen

Der ehemalige Staatssekretär im Bundeslandwirtschaftsministerium von Renate Künast, Gerald Thalheim (SPD), sagt heute, es sei um starke Agrarbetriebe gegangen, in Genossenschaften um den Erhalt von Arbeitsplätzen. Von den echten Genossenschaften gibt es heute noch fünf bis zehn Prozent, schätzt Jörg Gerke, AbL-Bauer in Mecklenburg-Vorpommern und Autor zur ostdeutschen Bodenpolitik, alles andere sind Aktiengesellschaften und GmbHs. Durch die Begünstigungen in Vergangenheit und Gegenwart und auch durch rechtswidrige Preisabsprachen zwischen den Flächenkäufern, die das "Thünen-Institut beschreibt, entstanden jene "Objekte der Begierde" die außerlandwirtschaftlichen Investoren. Unter wirtschaftlichen wie auch unter dem Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit sei die erstmalige langfristige Verpachtung im Ergebnis nicht sehr überzeugend, sagt Wolfgang Horstmann heute. Dass es nicht zu spät wäre, korrigierend tätig zu werden, sagt er nicht. Eine breitere Eigentumsstreuung und vor allem eine breitere Streuung des Bewirtschaftungseigentums wäre, so Gerke, möglich, wenn beispielsweise Pachtverträge gekündigt und so neu vergeben würden, dass nun auch alle anderen zum Zuge kämen, die all die Jahre benachteiligt wurden. Wenn der Staat es denn wollen würde, könnte er eingreifen und korrigieren. Finanzielle Unterstützung für Neueinsteiger, geknüpft an die Auflage einer eigenen Bewirtschaftung, keine Scheingerechtigkeit durch Veränderungen bei dem nach wie vor geringen Anteil der öffentlichen Ausschreibungen, sondern eine Umverteilung des Landes, auf das bislang nur Privilegierte eine Chance hatten. Was allerdings passiert, wenn Politiker es wagen, nur schon zaghafte Versuche zu mehr Transparenz zu unternehmen, musste Sachsen-Anhalts Landwirtschaftsminister Hermann Onko Aeikens (CDU) gerade erfahren. Sein Agrarstrukturgesetz torpedierte die Lobby des Bauernverbandes, weil große Agrarbetriebe Anteilsübertragungen hätten öffentlich machen sollen. Wolfgang Horstmann darf auch nicht öffentlich machen, was er in seiner Zeit als BVVG-Chef erlebt hat, Bundesfinanz- wie auch Bundeslandwirtschaftsministerium haben es ihm untersagt. Wer will da glauben, dass dem politischen Beweinen der finanztaktischen und agrarindustriellen Entwicklungen in der ostdeutschen Landwirtschaft eine Hinwendung zu bäuerlichen Strukturen folgt?

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 391 - September 2015, S. 4
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Oktober 2015

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