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MELDUNG/011: Was tun mit gefangenen Piraten? - Strafverfolgung schwierig (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. August 2010

UN: Was tun mit gefangenen Piraten? - Strafverfolgung schwierig

Von Aprille Muscara


New York, 26. August (IPS) - UN-Mitgliedstaaten und Regionalorganisationen haben auf einer Sitzung des Sicherheitsrates in New York über die rechtlichen Möglichkeiten diskutiert, somalischen Piraten das Handwerk zu legen. Grundlage der Gespräche waren acht von UN-Generalsekretär Ban Ki-moon bereits im Juli vorgestellte Vorschläge.

Über 54 Seiten hatte sich der UN-Chef in einem Bericht über die Vor- und Nachteile ausgelassen, die etwa die Stärkung nationaler Gerichte, die Einrichtung spezieller Strafkammern oder den Aufbau regionaler oder internationaler Tribunale mit sich bringen könnten, die ausschließlich Fälle von Piraterie verhandeln würden.

Die UN haben vor diesem Hintergrund die Position eines UN-Sonderberaters für rechtliche Angelegenheiten im Zusammenhang mit Piraterie vor der somalischen Küste geschaffen. Amtsinhaber ist der ehemalige französische Sondergesandte für Nordkorea und internationale Rechtsprofessor Jack Lang. Er wurde von der US-Botschafterin Susan Rice auf der Sitzung des UN-Sicherheitsrates am 25. August willkommen geheißen.

Piraterie hat sich zu einer gefährlichen Geißel entwickelt, die das Leben vieler Seeleute bedroht, die Kosten der internationalen Reedereibetriebe in empfindliche Höhen treibt und die Auslieferung von Hilfsgütern verhindert. Sprecher vor dem UN-Sicherheitsrat warnten, dass das einst weitgehend auf den Golf von Aden beschränkte Problem inzwischen auch den Indischen Ozean betrifft.

Die menschlichen Kosten der Überfälle seien unermesslich, erklärte Bans Rechtsberaterin Patricia O'Brien. So würden Menschen, die ohnehin schon einem risikoreichen Beruf nachgingen, getötet und entführt. Auch der kommerzielle Schaden sei erheblich.

In den vergangenen drei Jahren haben einzelne Staaten Militärboote in die Region geschickt, um auf die Übergriffe reagieren und die Angreifer festnehmen zu können. Ungeklärt ist jedoch die Frage, wie gefangene Piraten am besten zur Rechenschaft gezogen werden. Sie sitzen derzeit in deutschen, französischen, kenianischen, spanischen und US-Gefängnissen und warten auf ihren Prozess.


Ursachen bekämpfen, nicht nur die Symptome

Der Marinekommandeur James Kraska, Rechtswissenschaftler am US-amerikanischen 'Naval War College', hat sich mit dem Phänomen der Piraterie näher beschäftigt. Das Problem lässt sich seiner Meinung nach nicht militärisch lösen, sondern nur durch "Zusammenarbeit und regionales Partnering", wie er im letzten Jahr in einem Beitrag für das 'Armed Forces Journal' schrieb.

Der Vorschlag, die nationalen Gerichte leistungsfähiger zu machen, ist vielerorts - etwa in Kenia und den Seychellen - schon Realität, wie Ban betonte. In den zurückliegenden 18 Monaten seien 600 Piraten in 11 Ländern strafrechtlich verfolgt worden. In jüngster Zeit sind es vor allem kenianische Gerichte, die derartige Fälle verhandeln. Allein im Juni wurden 18 Angeklagte verurteilt. 100 Verdächtige sitzen in kenianischen Gefängnissen und warten auf ihren Prozess.

In der Debatte vor dem UN-Sicherheitsrat klagte Kenias ständiger Vertreter bei den Vereinten Nationen über die Unerträglichkeit dieser Situation. "Die derzeitige Praxis, Piraten nach Kenia oder in andere Nachbarstaaten zu schaffen und dort vor Gericht zu stellen, bedeutet für unsere Länder eine auf lange Sicht unerträgliche Belastung", sagte der Botschafter Zachary Muburi-Muita.

Japan sprach sich auf dem Treffen des UN-Sicherheitsrates dafür aus, die bestehenden rechtlichen Strukturen zu nutzen anstatt neue zu schaffen. "Aus unserer Sicht ist es angebracht, dass die Küstenstaaten die in Piraterie involvierten Personen strafrechtlich verfolgen. Zudem ist es wichtig, die Fähigkeiten der Küstenstaaten zu stärken, Akte der Piraterie zu ahnden", meinte Japans Botschafter Tsuneo Nishidia bei seinem ersten Auftritt vor dem UN-Sicherheitsrat als ständiger Vertreter vor den UN. Japan habe Vorbehalte gegen die Idee, ein neues Tribunal aufzuziehen. Ein solches Vorhaben sei sowohl zeitlich als auch finanziell viel zu aufwendig.


Justiz und Strafvollzug unter Druck

Weiter ging es in New York um die Frage der Repatriierung von Piraten und den Kapazitäten des Strafvollzugs. Angesichts der hohen Zahl Verdächtiger, die auf See festgenommen würden, dürfte klar sein, dass die Frage nach einer angemessenen Haftunterbringung ebenso wichtig sei wie die Frage der strafrechtlichen Verfolgung", betonte Patricia O'Brien.

Einig waren sich die insgesamt 33 Redner vor dem UN-Sicherheitsrat, dass Stabilität im kriegszerrütteten Somalia, das das US-Magazin 'Foreign Policy' seit drei Jahren auf seinem Index verfehlter Staaten auf Platz eins führt, der Schlüssel zur Lösung des Piraterieproblems sei.

"Das Piraterieproblem ist direkt mit dem Scheitern der staatlichen Institutionen Somalias verbunden", sagte Muburi-Muita. "Um eine definitive Lösung des Piraterieproblems zu erreichen, ist es wichtig, dass wir eine dauerhafte Lösung der politischen Krise in Somalia finden. Dazu gehört auch, dass wir die sozio-ökonomischen Gegebenheiten angehen, die Piraterie für Somalis zu einer attraktiven Form des Lebensunterhalts gemacht haben."

40 Prozent der Somalier, die im Durchschnitt keine zwei US-Dollar am Tag zum Leben haben, sind auf humanitäre Hilfe angewiesen. Demgegenüber erpressen die mit AK-47-Sturmgewehren ausgerüsteten Freibeuter in den Küstengewässern Somalias für eine Geisel bis zu zwei Millionen Dollar.

Allein in diesem Jahr kam es zu 139 Zwischenfälle, die mit Piraterie in Verbindung stehen. Geentert wurden 30 Schiffe, entführt 450 Personen. Nach Angaben von James Kraska verläuft ein Drittel aller Piratenangriffe erfolgreich. "Wir sollten immer daran denken", sagte dazu UN-Chef Ban, "dass eine Verringerung und Einschränkung der Piraterie in der Region eine nachhaltige Antwort erforderlich macht: nicht nur auf See, sondern auch auf dem Land, von wo die Piraten herkommen". (Ende/IPS/kb/2010)


Links:
http://www.imo.org/
http://www.icc-ccs.org/index.php?option=com_fabrik&view=visualization&controller=visualization.googlemap&Itemid=219
http://www.usnwc.edu/
http://www.foreignpolicy.com/articles/2010/06/21/2010_failed_states_index_interactive_map_and_rankings
http://ipsnews.net/news.asp?idnews=52609

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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. August 2010