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FRAGEN/003: Keine Nachhaltigkeit ohne Frauenrechte - UN Women-Chefin im Interview (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. Juni 2012

Umwelt: Keine Nachhaltigkeit ohne Frauenrechte - UN Women-Chefin im Interview

von Isabelle de Grave



New York, 15. Juni (IPS) - Energien von Frauen freizusetzen und sie zur treibenden Kraft für Veränderungen zu machen, ist nach Ansicht von Michelle Bachelet, der Exekutivdirektorin von 'UN Women', eine Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung. Die Frage ist, ob die Staats- und Regierungschefs aus aller Welt, die sich vom 20. bis 22. Juni zu dem 'Rio+20'-Gipfel in Brasilien treffen, diese Chance ergreifen.

Die ehemalige chilenische Staatspräsidentin Bachelet erklärt im Gespräch mit IPS, welche wichtigen Verbindungen zwischen der Gleichbehandlung der Geschlechter und den ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Dimensionen der nachhaltigen Entwicklung bestehen.

IPS: Wie hängt die Stärkung der Frauenrechte mit nachhaltiger Entwicklung zusammen?

Michelle Bachelet: Bei dem ersten Rio-Gipfel vor 20 Jahren waren sich alle darüber einig, dass nachhaltige Entwicklung niemals ohne eine Gleichstellung der Geschlechter realisierbar ist. Das gilt bis heute.

Die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Stärkung der Frauenrechte sind wesentlich für die nachhaltige Entwicklung. Die Gleichbehandlung ist der Faktor, der drei Dimensionen zusammenbringt. Sie entscheidet darüber, welchen Zugang Männer und Frauen zu Produktionsmitteln wie Land, Finanzen und Technologie erhalten, und ist die Voraussetzung dafür, dass Individuen Chancen wie Bildung und Berufstätigkeit ergreifen können. Außerdem bietet sie Zugang zu sozialem Schutz und grundlegenden Dienstleistungen.

Bäuerinnen machen 43 Prozent aller Arbeitskräfte in den ländlichen Regionen der Entwicklungsländer aus. In manchen Teilen Afrikas beträgt der Anteil sogar 80 Prozent. Wenn Frauen den gleichen Zugang zu den Agrarressourcen hätten wie Männer, würde die Produktion um 20 bis 30 Prozent zunehmen. Die Zahl der Hungernden auf der Welt könnte um zwölf auf 17 Prozent gesenkt werden.

Im Alltag von Frauen und Mädchen würde die Bereitstellung grundlegender Dienstleistungen, sauberen Wassers, Wohnungen und Transportmitteln die Arbeit von Frauen erleichtern und ihre Lebensqualität verbessern.

Rio+20 bietet eine enorme Chance, sich zu einem neuen Entwicklungsparadigma zu bekennen, das das grundlegende Menschenrecht der Gleichberechtigung der Geschlechter und die Stärkung der Frauenrechte auf dem Weg zu nachhaltiger Entwicklung respektiert.

IPS: Weibliche Partizipation und Führungspositionen gehören zu den wichtigsten Anliegen von UN Women ...

Bachelet: Wir werben für die Partizipation und eine Führungsrolle, weil wir wissen, dass Veränderungen möglich werden, wenn Frauen über Dinge diskutieren können und eine starke Stimme erhalten.

Auf dem diesjährigen Gipfel wird es ein hochrangiges Forum weiblicher Führungskräfte geben und eine hochrangige Veranstaltung, auf der sie sich mit dem Thema Hunger befassen. Die Teilnahme einer Gruppe weiblicher Staats- und Regierungschefs wird die Aufmerksamkeit auf die Beziehung zwischen der Gleichbehandlung der Geschlechter, der Stärkung der Frauenrechte und der nachhaltigen Entwicklung lenken. In dieser Hinsicht erkennen wir einen Fortschritt.

Doch es geht nicht nur um Partizipation auf einer bestimmten Konferenz, sondern um die Teilhabe und die Führungsrolle von Frauen auf verschiedenen Gebieten und darum, wie wir dies mit einem Aktionsplan verbinden können. Dieser Aktionsplan wird das Schlussdokument sein, auf das sich die Mitgliedsstaaten auf dem Rio+20-Gipfel einigen werden.

IPS: Was sind diesbezüglich die wichtigsten Anliegen, die auf der Konferenz vorgebracht werden?

Bachelet: In dem Entwurf der Abschlusserklärung heißt es: "Frauen spielen im Umweltmanagement und in der Entwicklung eine wichtige Rolle. Vollständige Teilhabe ist daher wesentlich, um nachhaltige Entwicklung zu erreichen." Dies verdeutlicht, welchen Fortschritt die mit dem Geschlechterverhältnis zusammenhängenden Fragen auf globaler Ebene gemacht haben.

Die politischen Entscheidungsträger werden aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, um die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen auf allen Ebenen der Regierung zu beschleunigen und ihnen eine Führungsrolle in Entscheidungsprozessen zu sichern.

Andere wichtige Ziele sind die Notwendigkeit, alle diskriminierenden Schranken für Frauen in urbanen und ländlichen Gebieten zu beseitigen, und konkrete Maßnahmen gegen Faktoren, die Frauen davon abhalten, gleichberechtigten Zugang zu Produktionsmitteln zu erlangen und diese besitzen und verwalten zu können.

Ein gleichberechtigter Zugang zur Arbeit gehörte lange Zeit zu den Forderungen von Frauen und bleibt ein zentrales Ziel, neben der dringenden Notwendigkeit, die geschlechtsbedingte Gewalt zu beenden.

Während sich das Problem der Frauengesundheit und der Reproduktionsrechte angesichts der divergierenden Positionen im Vorfeld von Rio+20 als Streitfrage erwiesen hat, ist es umso wichtiger, dass diese Rechte auf die Agenda von UN Women gesetzt werden.

Letztlich können Ideen nur dann Früchte tragen, wenn Geld vorhanden ist. Wir müssen die notwendigen finanziellen Ressourcen sichern, damit alle Initiativen umgesetzt werden können.

IPS: Vor welchen Herausforderungen steht die Förderung von Frauenrechten und Gleichberechtigung im Vorfeld des Gipfels?

Bachelet: In den vergangenen Verhandlungswochen haben wir sehr vielversprechende Entwicklungen beobachtet. Ich bin erfreut darüber, dass der Text, auf den sich die Mitgliedsstaaten einigen sollen, die Notwendigkeit der Gleichberechtigung der Geschlechter und der Stärkung der Frauenrechte anerkennt.

Einige Mitgliedsstaaten haben gefordert, Frauen mehr Rechte beim Zugang zu Wasser und Gesundheit zu verschaffen. Ich hoffe, diese Forderungen werden weiterverfolgt und die Rechte von Frauen auf Land und Besitz stärken.

Bezogen auf die sexuellen und Reproduktionsrechte von Frauen gibt es unterschiedliche Positionen. Wir glauben, dass man einen Teil der weiblichen Weltbevölkerung nicht isolieren sollte. Man muss alle Aspekte einschließen, die wesentlich sind, um die Gleichberechtigung der Geschlechter zu erreichen. (Ende/IPS/ck/jt/2012)


Links:
http://www.uncsd2012.org/
http://www.unwomen.org/
http://www.ipsnews.net/2012/06/qa-women-must-be-at-the-forefront-of-rio20-and-beyond/

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 15. Juni 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Juni 2012