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AL-ARAKIB/008: Offener Brief der Jüdischen Stimme an den Jüdischen Nationalfond (EJJP)


Die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost (EJJP Deutschland)

Offener Brief der jüdischen Stimme für gerechten Frieden, Deutschland, an den Jüdischen Nationalfond anlässlich der Zerstörung des Beduinendorf im Negev


An den Keren Kayemeth LeIsrael
Jüdischer Nationalfond e.V. (JNF-KKL)
Kaiserstr. 28
40479 Düsseldorf

20. Februar 2011

Sehr geehrte Damen und Herren,

wie Ihnen sicher bekannt ist, wurde das Beduinendorf, Al Arakib, in der vorigen Woche zum elften Mal durch Bulldozer, die deutlich als KKL Fahrzeuge gekennzeichnet waren, zerstört. Vor einigen Tagen wurde auch der Friedhof, auf dem viele Dorfbewohner ausgeharrt hatten, beseitigt. Die Zerstörung dieses sowie weiterer Dörfer soll Platz für Aufforstungsprojekte des Jüdischen Nationalfonds (in der Regel Freizeitparks) schaffen.

Die Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost - EJJP Deutschland protestiert aufs Schärfste gegen diese unwürdigen Handlungen. Sie verstoßen gegen die universellen Menschenrechte und sind mit den international verbrieften Rechten zum Schutz ethnischer und nationaler Minderheiten sowie ihres Landeigentums unvereinbar!

Die Beduinen von Al Arakib haben zusammen mit BewohnerInnen anderer - in Israel "nicht anerkannter" - Dörfer im Negev Klage gegen die Enteignung ihres Landes eingereicht. Der Rechtsstreit über den Status ist noch nicht entschieden.

In Deutschland bedenken zahlreiche Bürger und Bürgerinnen den Jüdischen Nationalfond als gemeinnützige Vereinigung mit Spenden für das Pflanzen von Bäumen. Ist allen Spendenden bewusst, dass sie damit indirekt an der Vertreibung der einheimischen - im konkreten Fall des Dorfs Al Arakib beduinischen - Bevölkerung teilhaben?

Das Dorf Al Arakib existiert seit 80 Jahren. Mit der israelischen Staatsgründung wurden seine BewohnerInnen israelische StaatsbürgerInnen. Der Kampf um das Land, das von Beduinen im Negev seit je her zur wirtschaftlichen Existenzsicherung genutzt wird, hat eine lange Vorgeschichte. Israel hat schon bald nach der Staatsgründung den verbliebenen Beduinen den Aufenthalt nur im Nordosten des Negev erlaubt. Die meisten der von den halbnomadischen Beduinen traditionell als Weideland und anderweitig landwirtschaftlich genutzten Gebiete des Negev wurden enteignet. Seit Jahrzehnten wird versucht, die Beduinen sesshaft zu machen. Die Städte, die dafür geschaffen wurden, sind völlig überfüllt. Weder reicht der Platz, um neue Häuser zu bauen, noch reichen Infrastruktur und Arbeitsplätze hin, um der beduinischen Bevölkerung eine menschenwürdige Existenz zu ermöglichen. Die Hälfte der israelischen Beduinen lebt heute unter der Armutsgrenze.

Durch das scharfe Vorgehen der israelischen Polizei gegen die protestierenden Zivilisten von Al Arakib mit Tränengas, Pfefferspray und Gummigeschossen sind Menschen, einschließlich Kinder, Frauen und Greisen, zu Schaden gekommen. Sie haben nun keine Unterkunft mehr - der Winter im Negev ist bitterkalt! Überdies wurden im Verlauf der Protest- und Widerstandshandlungen gegen ihr Enteignung und letztlich auch Vertreibung etliche Dorfbewohner von Al Arakib verhaftet und in Gewahrsam genommen!

Wir fragen: Ist der Protest gegen Willkür ein Grund zur Verhaftung?

Wir fordern von den Verantwortlichen des JNF-KKL, die Unterstützung einer Innenpolitik der israelischen Regierung einzustellen, die die einheimische nichtjüdische Bevölkerung von ihren angestammten Territorien vertreibt, ihre Dörfer zerstört und sie - wie im vorliegenden Fall der beduinischen Bevölkerung von Al Arakib - buchstäblich um ihre historisch gewachsene Form der Existenzsicherung bringt.

Indem der JNF-KKL die Wahrheit über den Verwendungszweck der Spenden aus Deutschland - zumindest in wesentlichen Teilen - verschweigt, werden die Spenderinnen und Spender ohne ihre Zustimmung zu Komplizen dieser inhumanen und menschenrechtswidrigen Politik gemacht.

Wir appellieren daher eindringlich auch an alle Spender und Spenderinnen des JNF-KKL in Deutschland: Versagen Sie Ihre direkte und indirekte Unterstützung von Projekten, die die einheimische Bevölkerung wie im Fall von Al Arakib schutzlos ins ökonomische, ökologische und kulturelle Aus treiben. Die Beduinen leben seit Jahrtausenden in der Negevwüste und in anderen Gebieten des heutigen Israels. Ihre historisch und natürlich gewachsenen Ökologien und Kulturen zu Gunsten der Interessen der jüdisch-israelischen Bevölkerung zu zerstören, ist mit grundlegenden Geboten der Menschlichkeit sowie den universellen Grund- und Menschenrechte unvereinbar.

Michal Kaiser-Livne

Vorsitzende der Jüdischen Stimme


*


Quelle:
Offener Brief vom 20. Februar 2011
Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost - EJJP Deutschland
Haus der Demokratie und Menschenrechte
Greifswalder Str. 4, D-10405 Berlin
Telefax: +49 (0)30 396 21 47
E-Mail: mail@juedische-stimme.de
Internet: http://www.juedische-stimme.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Februar 2011