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WOHNEN/129: Wohnungslosigkeit in Deutschland (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2015

Gute Stadt - Böse Stadt
Landromantik vs. Stadt für alle

Wohnungslosigkeit in Deutschland
Konkurrenz zwischen einheimischen und zugewanderten Wohnungslosen verhindern

von Werena Rosenke


Die BAG Wohnungslosenhilfe (BAG W), der Dachverband der Wohnungslosenhilfe in Deutschland, ermittelt einen drastischen Anstieg der Wohnungslosigkeit: 2014 waren ca. 335.000 Menschen in Deutschland ohne Wohnung - ausgehend von 2012 ist dies ein Anstieg um ca. 18 %.(1) Die BAG W veröffentlicht regelmäßig ihre Schätzung zur Zahl der Wohnungslosen, da es in Deutschland keine bundeseinheitliche Wohnungsnotfall-Berichterstattung auf gesetzlicher Grundlage gibt. Seit Jahren fordert die BAG W die jeweiligen Bundesregierungen auf, umgehend einen entsprechenden Gesetzesentwurf ins Parlament einzubringen. Wenn die wohnungs- und sozialpolitischen Rahmenbedingungen nicht nachhaltig geändert werden, wird es zu einem weiteren Anstieg der Wohnungslosenzahlen um 60 % auf knapp 540.000 bis zum Jahr 2018 kommen, so die Prognose der BAG W. Dabei spielt die wachsende Zuwanderung von EU-BürgerInnen und AsylbewerberInnen zwar eine verstärkende Rolle, die wesentlichen Ursachen liegen jedoch in einer seit Jahrzehnten verfehlten Wohnungspolitik in Deutschland, in Verbindung mit einer unzureichenden Armutsbekämpfung. (2)


Mehrere Faktoren sind maßgeblich für den deutlichen Anstieg der Wohnungslosenzahlen: Dazu gehört das unzureichende Angebot an preiswertem Wohnraum in Verbindung mit dem ständig schrumpfenden sozialen Wohnungsbestand, dem nicht durch Neubau und soziale Wohnungspolitik gegengesteuert wurde und wird. Seit 2002 gibt es beispielsweise eine Million Sozialwohnungen weniger. Zugleich haben Kommunen, Länder und der Bund ihre eigenen Wohnungsbestände meistbietend an private InvestorInnen verkauft und sich so selbst geeigneter Reserven preiswerten Wohnraums beraubt. Große Wohnungsbestände in attraktiven Lagen stehen durch Verdrängungsprozesse (Gentrifizierung) Miethaushalten mit geringem Einkommen nicht mehr zur Verfügung.

Die Armut der unteren Einkommensgruppen hat sich verfestigt, unter anderem durch die Ausweitung des Niedriglohnsektors und der atypischen Beschäftigung sowie durch den unzureichenden ALG II-Regelsatz. Noch immer gibt es zu wenige Fachstellen zur Verhinderung von Wohnungsverlusten in den Kommunen und Landkreisen. In vielen Fällen könnte bei Meldung des drohenden Wohnungsverlustes an eine entsprechende Fachstelle Wohnungslosigkeit vermieden werden. Doch viel zu wenige Kommunen, insbesondere Klein- und Mittelstädte, und Landkreise machen von den gesetzlichen Möglichkeiten (im SGB II und im SGB XII) zur Verhinderung von Wohnungslosigkeit Gebrauch.

Einer immer größeren Zahl von Wohnungssuchenden mit geringem Einkommen steht somit ein ständig schrumpfendes Angebot an bezahlbarem Wohnraum zur Verfügung.

Die Konkurrenz auf den Wohnungsmärkten ist offensichtlich, war vorhersehbar und wird sich vermutlich noch verschärfen. Vorschnell wird die Wohnungsnot mit der Zuwanderung begründet. Aber, wie anhand der langfristigen Entwicklungen zu erkennen ist: Die Zuwanderung hat die Krise auf den Wohnungsmärkten nicht ausgelöst, sondern wirkt dabei wie ein Katalysator, der das ganze Ausmaß der Fehlentwicklungen und politischen Fehlentscheidungen der vergangenen Jahre offen zu Tage treten lässt.

Wohnungsgipfel und Nationaler Aktionsplan gefordert

Nach Ansicht der BAG W muss der Bund wieder Verantwortung für die Wohnungspolitik übernehmen. Die Dezentralisierung auf die Länder durch die Föderalismusreform von 2006 erweist sich immer mehr als Fehlentscheidung. Die Bundesregierung sollte einen Wohnungsgipfel einberufen, unter anderem mit dem Ziel eines Nationalen Aktionsplans zur Bekämpfung der Wohnungslosigkeit und zur Versorgung von Wohnungslosen und Flüchtlingen mit eigenem Wohnraum. Ein Konzept für solch einen Aktionsplan hat die BAG W bereits 2014 vorgelegt.(3)

Wohnungspolitik muss als Daseinsvorsorge verstanden werden! Die Versorgung mit Wohnungen darf nicht dem freien Spiel des (Kapital-) Marktgeschehens überlassen werden. Die Bundes- und Landesmittel für den Sozialen Wohnungsbau müssen über Jahre drastisch erhöht werden, um den Fehlbestand an preisgünstigen Wohnungen ausgleichen zu können. Die BAG W hält den Bau von 400.000 Wohnungen im Jahr, davon mindestens 150.000 preiswerte Wohnungen und Sozialwohnungen, für nötig. Der Bau von preiswertem Wohnraum ist zwar Voraussetzung für die Bekämpfung von Wohnungslosigkeit, aber nicht ausreichend: Die Kommunen müssen geeignete Maßnahmen ergreifen, gegebenenfalls durch Einführung entsprechender Belegungsquoten, um bereits wohnungslose Haushalte mit eigenen Wohnungen zu versorgen.

Die Kommunen müssen die Prävention von Wohnungsverlusten gezielt betreiben, unter anderem durch den Auf- und Ausbau von zentralen Fachstellen zur Vermeidung von Wohnungsverlusten und durch die Förderung ambulanter, aufsuchender Sozialarbeit und der Gemeinwesenarbeit. Dies sollte durch entsprechende Förderprogramme des Bundes und der Bundesländer unterstützt werden. Zu einem solchen Aktionsplan gegen Wohnungslosigkeit gehören nach Ansicht der BAG W weitere Maßnahmen, zum Beispiel der Stopp des Verkaufs öffentlicher Wohnungsunternehmen und die Prüfung des Rückkaufs. Die Kommunen und Landkreise müssen kommunale Wohnraumversorgungskonzepte entwickeln, die das Augenmerk insbesondere auf Beziehende von Niedrigeinkommen und Transferleistungen richten.


Zuspitzung der Krise bei der Notunterbringung der Menschen ohne Wohnung

Die Krise auf den Wohnungsmärkten mit ihrem Mangel an bezahlbarem Wohnraum hat ebenfalls zu einer Krise im ordnungsrechtlichen Unterkunftssektor geführt: Weil wohnungslose Menschen oft chancenlos auf dem Wohnungsmarkt sind, sitzen sie in den Unterkünften fest. Die Wohnungslosigkeit verfestigt sich und zugleich - und das ist besonders im Winter riskant - gibt es zu wenige freie Unterkunftsplätze. Vor allem wohnungslose Frauen und junge Wohnungslose leben häufig in prekären Mitwohnverhältnissen, in denen sie mitunter besonders gefährdet sind. Einer Notunterkunft fehlt alles das, was eine Wohnung auszeichnet: Sicherheit durch einen Mietvertrag, Privatsphäre, Schutz und Geborgenheit. Sanitäre Anlagen sind häufig unzumutbar. Frauen müssen dort sexualisierte Gewalt fürchten.

Deswegen müssen Menschen ohne Wohnung mit einer Notunterkunft nach Ordnungsrecht versorgt werden, die der Menschenwürde gerecht wird, in der die Gesundheit nicht gefährdet ist und die ein Mindestmaß an Privatsphäre ermöglicht. Dabei ist es unerheblich, wie lange sich die Betroffenen bereits in der Kommune aufhalten. Regelungen, die eine Mindestaufenthaltsdauer in einer Kommune vorsehen, sind nicht rechtens. In der Praxis erfüllen Kommunen diese Pflichtaufgabe oft nicht oder nur unzureichend. Deswegen hat die BAG W ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, das die Rechtslage nochmals eindeutig darlegt.(4) Obdachlosigkeit gefährdet die grundgesetzlich geschützten Individualrechte wie das Recht auf Leben, auf Gesundheit, auf körperliche Unversehrtheit und auf Menschenwürde. Deswegen hat jede Gemeinde den unabweislichen Auftrag, diese Grundrechte zu schützen und bei entsprechenden Gefahren abwehrende Maßnahmen zu ergreifen. Da es hier um den Schutz grundlegender Menschenrechte geht, besteht der Anspruch auf ordnungsrechtliche Unterbringung unabhängig von der Nationalität und dem Aufenthaltsstatus der Betroffenen.


Gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit

Fehlende bezahlbare Wohnungen und unzureichende Unterbringungskapazitäten - all dies bildet eine Gemengelage, in der sich rechtspopulistische und rechtsextreme Gruppierungen, Strömungen und Parteien versuchen zu profilieren. Sie instrumentalisieren die Not Wohnungsloser - die sie ansonsten als "Asoziale" und "Penner" beschimpfen, demütigen, verprügeln und auch totschlagen - für ihre rassistischen und demokratiefeindlichen Parolen. Diesen unerträglichen rechten Parolen wird die Wohnungslosenhilfe entschieden entgegentreten. Sie wird es nicht zulassen, dass die einen Armen gegen die anderen - zugewanderten - Armen ausgespielt werden.


Die Autorin ist stellvertretende Geschäftsführerin der BAG W


Anmerkungen:

(1) Pressemitteilung der BAG W, Zahl der Wohnungslosen in Deutschland auf neuem Höchststand. Berlin 05.10.2015,
http://www.bagw.de/de/themen/zahl_der_wohnungslosen/index.html.

(2) Vgl. BAG Wohnungslosenhilfe (2015): Wohnen ist ein Menschenrecht! Solidarität statt Konkurrenz. Berliner Erklärung gegen Wohnungsnot.
http://www.bagw.de/de/tagungen/buta_15_aktion/ber_erk.html.

(3) BAG Wohnungslosenhilfe (2014): Aufruf zu einer Nationalen Strategie zur Überwindung von Wohnungsnot und Armut in Deutschland.
http://www.bagw.de/de/nat_strat/.

(4) Ruder, Karl-Heinz: Grundsätze der polizei- und ordnungsrechtlichen Unterbringung von (unfreiwillig) obdachlosen Menschen unter besonderer Berücksichtigung obdachloser Unionsbürger. Rechtsgutachten aus Anlass der Bundestagung der BAG Wohnungslosenhilfe e. V. in Berlin vom 9.-11. November 2015 "Solidarität statt Konkurrenz - entschlossen handeln gegen Wohnungslosigkeit und Armut".
http://www.bagw.de/de/themen/notversorgung/gutacht.html.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2015, Seite 8-9
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 93, Fax: 030/678 1775 80
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Februar 2016

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