Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → SOZIALES

ORGANISATION/205: pro familia - Ansprechpartnerin für soziale Probleme in den neuen Ländern (pro familia)


pro familia magazin 2/2009
Deutsche Gesellschaft für Familienplanung,
Sexualpädagogik + Sexualberatung e.V.

"Mir wurde gesagt, Sie sind allwissend!"
pro familia als Ansprechpartnerin für soziale Probleme in den neuen Bundesländern

Von David Riha


Die Beratungsstelle in Fürstenwalde/Spree bietet die bei pro familia üblichen Themen - von der Familienplanung über die Sexualpädagogik bis zur Verhütung - an. Anfragen, die diesem Angebotsspektrum nicht entsprechen, nehmen jedoch aktuell merklich zu, wobei vor allem sozialrechtliche und finanzielle, aber auch juristische Anliegen vorgebracht werden.


Unsere Beratungsstelle befindet sich in einem Gesundheitszentrum, das heißt, in einem der sozialen Brennpunkte in Fürstenwalde. In dem sich anschließenden Neubaugebiet leben etwa 20 Prozent der Bevölkerung, statistisch betrachtet ist der Stadtteil Nord im gesamten Landkreis das Gebiet mit der höchsten Anzahl an geleisteten Hilfen zur Erziehung. Der Anteil an SozialgeldempfängerInnen ist in diesem Stadtteil mit 9,5 Prozent etwa doppelt so hoch wie im gesamten Stadtgebiet (4,3 Prozent). Fürstenwalde Nord ist weiterhin gekennzeichnet durch einen hohen Migrationsanteil (10 Prozent), eine hohe Jugendarbeitslosigkeit und eine unzureichende Infrastruktur: Es fehlen Räume für die Gemeinwesenarbeit, soziale Arbeit oder Beschäftigung.

Durch diese Faktoren wird die Identifizierung mit dem Stadtteil erschwert. Durch die mangelnde Durchmischung verschiedener Bevölkerungsgruppen, die hohe Fluktuation und fehlende Freizeitangebote kommt es unter anderem kaum zur Ausbildung nachbarschaftlicher und sozialer Netzwerke.

Spontane, meist telefonische Anfragen, hauptsächlich im Zusammenhang mit Hartz IV-Bescheiden, Sorgerecht und Scheidung nehmen zu. Die Anfragenden sind sich gelegentlich bewusst, dass die von ihnen nachgefragten Leistungen eigentlich nicht Teil des Angebotes von pro familia sind. Charakteristisch hierfür ist die Bemerkung einer Anruferin: "Mir wurde gesagt, Sie sind allwissend. Können Sie mir sagen, an wen ich mich wegen einer Privatinsolvenz wenden kann?"

In der Mehrzahl scheint dieses Wissen jedoch nicht vorhanden zu sein, manche Anrufer leiten aus dem Namen "pro familia" ab, wir seien eine Einrichtung der Familienhilfe oder böten finanzielle Hilfen für Familien, Familientherapie oder Beratung in (juristischen) Scheidungs- und Sorgerechtsangelegenheiten an. Auch Hilfen zur Erziehung bzw. Erziehungsberatung werden oft angefragt.


Fehlt die historische Dimension?

Möglicherweise fehlt in den neuen Bundesländern die historische Dimension der Namensgebung von pro familia, die sich ja ursprünglich aus der in Westdeutschland intensiv geführten Debatte um den Schwangerschaftsabbruch ergab. Die durch uns eingereichten Stiftungsanträge für Familien in Not (Landesstiftung) führen zudem zu Anfragen, ob man direkt von uns Geld ergänzend zum ALG-II oder im Fall von Verschuldung für notwendige Anschaffungen erhalten könne. Vermehrt erreichen uns auch Nachfragen, wie man sich juristisch gegen Kürzungen der Leistungen durch die Arbeitsagentur zur Wehr setzen könnte.


Faktoren, die eine Wahrnehmung als Ansprechpartner begünstigen

Zu der Wahrnehmung als Ansprechpartner in so gut wie allen sozialen Fragen tragen in unserem Fall einige klar zu benennende Faktoren bei. Schon die gute Erreichbarkeit für die im Stadtteil lebende Bevölkerung begünstigt das Nachsuchen um Rat - beispielsweise von Personen, die ohnehin einen Termin im Gesundheitszentrum wahrnehmen. Verstärkt wird dieser Zugang durch den guten Kontakt zu den im selben Gebäude praktizierenden Ärzten, wie zum Beispiel einer Allgemeinärztin, der Kinderärztin und der Gynäkologin, die bei entsprechender Indikation auch häufig auf uns verweisen. Durch unsere vergleichsweise gute Besetzung mit vier Mitarbeitern können wir zudem Öffnungszeiten an vier Tagen in der Woche anbieten.

Die sozialrechtliche Beratung (Hilfen für Schwangere und Familien mit Kleinkind) bildet aufgrund der Charakteristika des Stadtgebietes einen Schwerpunkt unserer Arbeit und wir sind insbesondere durch dieses Arbeitsfeld ein regional bekannter Ansprechpartner geworden. Unsere langjährige Kollegin Ines Scholz berichtet, dass die Frauen in ihren Geburtsvorbereitungskursen häufig Mütter haben, die als Schwangere selbst bereits von ihr begleitet worden sind und auch, dass sie feste "KundInnen" hat, die sie in allen Fragen zu den Bereichen Pränataldiagnostik, Schwangerschaft und Geburt über mehrere Schwangerschaften begleitet. Auf der Straße wird sie erkannt und gegrüßt, häufig klopft es und stolze Eltern präsentieren ihr ein Neugeborenes.

Durch die vor allem durch unsere Mitarbeiterin Maya Perrier regelmäßig angebotenen sexualpädagogischen Veranstaltungen an Schulen, Jugendclubs und Wohneinrichtungen für beeinträchtigte Menschen gibt es in der Bevölkerung zudem ein Wissen darum, dass wir eine breite Palette von Themen bedienen. Auch durch die gute Zusammenarbeit in lokalen Netzwerken, wie zum Beispiel im "Netzwerk Häusliche Gewalt" und in lokalen Bündnissen wie "Stärke Familien - Gesunde Kinder" haben wir uns im sozialen Bereich bekannt gemacht.


Informelle Netzwerke begünstigen soziale Anfragen

Aufgrund der überschaubaren Angebotspalette psychosozialer Hilfen in Fürstenwalde ergibt sich weiterhin eine gewachsene, regelmäßige und von allen Seiten gepflegte Kooperation mit der Erziehungsberatungsstelle und der Kinder- und Jugendpsychiaterin sowie mit der Stadtverwaltung und dem Gesundheitsamt. Regelmäßig kommt es zu persönlichen Kontakten mit Mitarbeitern anderer Institutionen, die man beispielsweise im Öffentlichen Nahverkehr trifft. Auf diese Weise wird die Pflege informeller Netzwerke hervorragend durch das "Lebensraumphänomen Kleinstadt" begünstigt. Gleichzeitig entsteht möglicherweise jedoch so auch eine geringere "Konturschärfe" für unsere eigentlichen Angebote. Nicht zuletzt gehört es möglicherweise zum Erfahrungsspektrum der überwiegend in Ostdeutschland sozialisierten Klientel, dass man sich mit einem Anliegen erfolgreich an "irgendeine offizielle Stelle" wenden kann.

Die sich aktuell allgemein ergebende Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation breiter Bevölkerungsschichten, die Zunahme prekärer Beschäftigungsverhältnisse, der Abbau der Gesundheitsversorgung sowie ein unbefriedigendes Angebot staatlicher Hilfen in Zusammenhang mit einem gezielten Abbau der sozialstaatlichen Ausrichtung sind weitere mögliche Erklärungsfaktoren für die wahrgenommene Zunahme nicht angebotsgerechter Anfragen.


Fazit für die Praxis

Den gestiegenen telefonischen und auch persönlichen Anfragen nach weiterführenden sozialen, juristischen Hilfen begegnen wir durch die Nennung geeigneter Ansprechpartner mit Telefonnummern, Sprechzeiten und Adressen aus unserem regelmäßig aktualisierten Datenbestand.

Insgesamt ergibt sich in Zeiten der Wirtschaftskrise ganz klar die Aufgabe, sich vermehrt mit sozialen Aspekten in der Beratungsarbeit auseinander zu setzen. Beraterinnen und Berater müssen außerdem über ein solides sozialrechtliches Grundwissen verfügen, welches durch regelmäßige Weiterbildungen auf den neuesten Stand gebracht wird. Darüber hinaus gilt es, entsprechende Netzwerke zu pflegen und auszubauen sowie im Sinne moderner Case-Management-Ansätze bei multiplen Problemlagen systematisch mit anderen Anbietern zu kooperieren.

Dipl.-Psych. David Riha, Hypnotherapeut und Gestalttherapeut in Ausbildung, arbeitet für die pro familia Beratungsstelle Fürstenwalde (Brandenburg) in der Lebens-, Paar- und Sexualberatung sowie in der Sexualpädagogik.
Daneben ist er freiberuflicher pädagogisch-psychologischer Weiterbildner und Teamentwickler für Schulen und Tageseinrichtungen für Kinder.


*


Quelle:
pro familia magazin Nr. 02/2009, S. 18-19
Herausgeber und Redaktion:
pro familia Deutsche Gesellschaft für Familienplanung,
Sexualpädagogik und Sexualberatung e.V., Bundesverband
Stresemannallee 3, 60596 Frankfurt am Main
Tel.: 069/63 90 02, Fax: 069/63 98 52
E-Mail: magazin@profamilia.de
Internet: www.profamilia.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. März 2010