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ORGANISATION/163: Wie Wohlfahrtsverbände von dubiosen Altkleidergeschäften profitieren (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 148 - Februar/März 09
Die Berliner Umweltzeitung

GLOBAL
Kleider machen Beute
Deutschlands Wohlfahrtsverbände profitieren heimlich von dubiosen Altkleidergeschäften

Von Christian Linde


Ob auf Werbeplakaten, in Fernsehspots oder in Postwurfsendungen: Appelle. Gutes zu tun, erreichen nahezu jeden Haushalt. Zu den bevorzugten Hilfeaufrufen gehört die Bitte um Kleiderspenden. Jährlich wechseln allein durch die im öffentlichen Raum platzierten Spendencontainer rund 75O.000 Tonnen Textilien ihren Besitzer. Hinzu kommen unzählige Direktspenden an kirchliche und soziale Einrichtungen. Insgesamt, so Schätzungen, werden allein in Deutschland jedes Jahr mindestens 300 Millionen Modeartikel gespendet. Doch was mit den ausrangierten Altkleidern tatsächlich passiert, bleibt den hilfsbereiten Gebern in der Regel verborgen.


Der gute Name wird verkauft

Für die Erfassung von Alttextilien sind drei Sammelsysteme von Bedeutung: Straßensammlungen, Abgabe in Kleiderkammern und Sammelcontainer. Auf über 50.000 schätzen Experten die Zahl der bundesweit aufgestellten Container. Überwiegend gehören sie kommerziellen Unternehmen, die sie unter dem Namen karitativer Einrichtungen betreiben. Denn auch bei den Wohlfahrtsverbänden stehen in erster Linie Gewinnerzielungsabsichten im Mittelpunkt. Was bei den eigenen Sammlungen hereinkommt, wird von zahlreichen sozialen Einrichtungen komplett an gewerbliche Abnehmer verkauft. Die Altkleider, die ursprünglich für einen wohltätigen Zweck gespendet wurden, werden somit zu einer Handelsware beliebiger Art - vor allem für den Export.


Rotes Kreuz ganz vorn dabei

Vier Qualitäten filtern die kommerziellen Sortierer aus dem Spendenaufkommen heraus. Die als "Creme-Ware" bezeichneten besten Stücke werden an inländische beziehungsweise westeuropäische Second-Hand-Läden verkauft. Der Anteil beträgt rund 5 Prozent am gesamten Spendenaufkommen. Der Löwenanteil ist für den osteuropäischen, südamerikanischen und insbesondere afrikanischen "Markt" bestimmt. Dort findet die aussortierte Ware einen reißenden Absatz. Der Teil, der sich in einem tragbaren Zustand befindet, also direkt dorthin vermarktbar ist, wird mit 50 Prozent der Gesamtmenge beziffert. Der größte karitative Sammler, der den Inhalt seiner Sammelcontainer meistbietend an kommerzielle Händler veräußert, ist das Deutsche Rote Kreuz. In gleicher Weise verfahren die Regionalverbände der Johanniter und des Malteser-Hilfsdienstes. Was mit den Spenden passiert, erfahren die Spender nicht. In Veröffentlichungen findet sich lediglich der allgemeine Hinweis auf eine gemeinnützige Verwendung der Erlöse. Angaben über Gewinne existieren nicht.

Den bekanntesten Fall von Verquickung finanzieller Interessen mit einem Hilfsanspruch stellt das zu der weltweit agierenden dänischen Tvind-Gruppe gehörende Unternehmen Humana dar. Nach eigenen Angaben arbeitet die Humana Kleidersammlung GmbH mit regionalen Schwerpunkten in Berlin, Stuttgart und Köln. Hauptkunde ist die Tochtergesellschaft Humana Second-Hand-Kleidung GmbH, die mit ihren rund 25 Kaufhäusern gleichzeitig die größte Second-Hand-Modekette in Deutschland betreibt. Das Exportgeschäft erstreckt sich von Holland, Österreich und Osteuropa bis in afrikanische Staaten. Im Zuge von Ermittlungen der Kopenhagener Staatsanwaltschaft im Jahr 2001 warfen die Behörden dem Konzern vor, dass Humana zwar Vorzeigeprojekte in Entwicklungsländern unterhalte, jedoch zugleich Gewinne auf eigene Konten umlenke.

In den Bestimmungsländern geht die kommerzielle Verwertung weiter. Nicht die tatsächlich Bedürftigen, sondern die Meistbietenden erhalten den Zuschlag.


Importe ruinieren Afrikas Textilbranche

Die Folgen für die lokale Textilindustrie sind verheerend. Studien belegen, dass die Vermarktung die Textil- und Bekleidungsproduktion in zahlreichen afrikanischen Ländern geschädigt hat. Viele Fabriken müssen ebenso schließen wie die Stände der Schneiderinnen auf den Märkten. Immerhin ein Drittel der in Deutschland gesammelten Altkleider landet auf dem afrikanischen Markt. In Tansania haben seit Anfang der 1990er-Jahre "Importe etwa 90 Prozent des Markts erobert", informiert die Deutsche Bundesstelle für Außenhandelsinformationen. Auch in Simbabwe gingen durch die Einfuhr von Alttextilien Tausende von Arbeitsplätzen in der Textilindustrie verloren.

Und die Altkleider-Industrie ist weiter in Bewegung. Vor allem die Billigimporte aus China haben das Konsumverhalten in den westlichen Metropolen nachhaltig verändert. Der Rückgang der First-Class-Ware in den Sammelcontainern ist die unmittelbare Folge. Dies bewirkt wiederwn einen massiven Einbruch des Marktwerts für unsortierte Altkleider. Gleichzeitig boomt der Internethandel privater Haushalte in den Industrieländern.


Markt im Umbruch

Der "Markt" hat inzwischen reagiert. Um Kosten zu senken, sind einerseits Sortierstandorte in Billiglohnländer nach Osteuropa verlagert worden. Andererseits werden Bestimmungen des Abfallrechts in Europa sowie Importbeschränkungen, Abgaben und Zölle in den Empfängerstaaten umgangen. Obwohl Länder wie Südafrika und Nigeria nur eine begrenzte Einfuhr erlauben, gelangen weiterhin jährlich Zehntausende Tonnen Altkleider in diese Länder. "Würden im gesamten Handel alle fälligen Abgaben in Form von Steuern und Zöllen ordnungsgemäß bezahlt, so würde der Preisvorteil der Altkleider schrumpfen und die einheimischen Produkte hätten auf den Märkten eine größere Chance", kritisierten Experten vom alternativen Wirtschaftsinstitut Südwind. Zudem könnten die Staaten diese Einnahmen zur Armutsbekämpfung einsetzen. Verbraucherorganisationen fordern deshalb sogar ein grundsätzliches Exportverbot für Altkleider aus Europa und den USA.


Zweifelhafte Sammelaufrufe

Der Dachverband FairWertung, ein Zusammenschluss alternativer gemeinnütziger Organisationen, die selbst Kleidersammlungen anbieten, hat für die Vermarktung von Gebrauchskleidung verbindliche Standards definiert, die für alle Vertragsfirmen gelten. Denn Altkleidersammlungen seien prinzipiell zu begrüßen. "Wichtig ist vor allem, nicht auf dubiose Sammelaufrufe hereinzufallen, die durch die Verwendung von bestimmten Symbolen, wie Kirchen, Erdkugeln oder Ähnliches, und durch Verwendung von Begriffen wie Not, Opfer, Hilfe sehr bewusst auf die Tränendrüse drücken und den Anschein erwecken, dass die von ihnen gesammelte Kleidung für mildtätige Zwecke verwendet wird", appelliert FairWertung. In Potsdam kommt möglicherweise Bewegung in den Umgang mit der Spendensammler-Industrie. Die dortige SPD will, dass die Standorte für die Altkleidersammlung neu ausgeschrieben werden. Dabei sollen die Aufsteller nachweisen, dass sie die Bekleidung später kostenfrei abgeben und hygienische Standards einhalten. Unbedenklich, so Verbraucherschützer, sei die Weitergabe von Altkleiderspenden am jeweiligen Wohnort selbst. Initiativen und gemeinnützige Vereine jenseits der konzernartigen Trägerstruktur der Sozialverbände geben Kleidung unmittelbar an Bedürftige weiter. Die erzielten Einnahmen fließen ausschließlich in die Refinanzierung der eigenen Infrastruktur. Informieren kann man sich darüber am besten vor Ort.


Adressen

Ausführliche Liste:
www.kurzlink.de/kleiderspende-berlin

Schenkladen Friedrichshain
Scharnweberstr. 29 (EG)
Mo-Do 17-20 Uhr
Tel. 53675460
www.tinyurl.com/schenkladen

Umsonstladen Berlin
Brunnenstrr. 183, Mitte
Di 15-19, Mi 17-20 Uhr
Do 16-20, Fr 14-18 Uhr
www.umsonstladen.info

motz - Der Laden
Friedrichstr. 226, Kreuzberg
Mo-Fr 11-19, Sa 11-15 Uhr
Tel. 25934729
www.motz-berlin.de

Lowtec gGmbH
Kleiderkammer
Michaelkirchstr. 15, Mitte
Mo-Fr 8-13 Uhr
Tel. 27470, www.lowtec.org

Dachverband
FairWertung e.V.
www.fairwertung.de


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Quelle:
DER RABE RALF - 20. Jahrgang, Nr. 148, Februar/März 09, S. 14
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 230, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
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E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.grueneliga-berlin.de/raberalf

Erscheinen: zu Beginn gerader Monate
Abonnement: 10 Euro/halbes Jahr


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. April 2009