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KRIMINALITÄT/057: El Salvador - Krimineller Datenmangel, Verbrechensbekämpfung wird zur Farce (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. Januar 2012

El Salvador: Krimineller Datenmangel - Verbrechensbekämpfung wird zur Farce

von Edgardo Ayala


San Salvador, 25. Januar (IPS) - El Salvador erlebt derzeit neue Formen der Gewalt: Menschen werden bestialisch ermordet, ganze Familien ausgerottet. Darüber hinaus stoßen die Ermittler auf geheime Friedhöfe, in denen einige der unzähligen Vermissten gefunden werden, deren Zahl das rechtsmedizinische Institut (IML) mit mehr als 2.000 angibt.

Internationalen Angaben zufolge wurden in dem 6,6 Millionen Menschen zählenden Land im letzten Jahr 4.374 Morde begangen. Die Rate liegt bei 70 pro 100.000 Einwohner. Das IML spricht sogar von 4.564 Mordopfern, zu 85 Prozent Männer.

Wie Honduras und Guatemala auch hat El Salvador ein ernstes Problem mit Jugendbanden, den sogenannten Maras, die Schätzungen zufolge aus 29.000 Mitgliedern bestehen. Die meisten verteilen sich auf die 'Mara Salvatrucha' (MS-13) und die 'Mara 18'.


Auf schwankendem Boden

Die Forensiker machen die Maras für zehn Prozent der im letzten Jahr begangenen Morde verantwortlich. Sicherheitsminister David Munguía und die Nationale Zivilpolizei (PNC) lasten den Gangs 90 Prozent respektive 30 Prozent aller tödlichen Gewaltverbrechen an.

"Die Angaben des Ministers sind falsch, inakzeptabel und unglaubwürdig", meint hingegen Mauricio Figueroa von der Stiftung 'Quetzalcoatl', die der Zentralamerikanischen Koalition zur Prävention von Jugendgewalt angehört. Die Zahlen seien manipuliert, um jedes gewaltsame Vorgehen gegen die Jugendbanden zu legitimieren.

Der Sicherheitsminister wirbt derzeit für ein Gesetz, das ihm erlauben soll, in den von Kriminalität besonders betroffenen Landesteilen den nationalen Notstand auszurufen. Sichert er sich den Rückhalt des Parlaments, liegt es künftig in seiner Macht, in diesen Regionen Grundrechte wie die Versammlungs- und Bewegungsfreiheit aufzuheben.

Munguía war bis 22. November Verteidigungsminister, wurde dann aber vom linksgerichteten Präsidenten Mauricio Funes mit der Kriminalitätsbekämpfung beauftragt. Menschenrechtsorganisationen werfen dem Staatschef vor, wie seine Amtsvorgänger der rechten Arena-Partei eine Militarisierung der öffentlichen Sicherheit zu betreiben. Ein soziales Problem mit Militärgewalt lösen zu wollen, habe schon in der Vergangenheit nicht funktioniert, warnen sie.

Das Problem der Maras geht auf die 1980er Jahre zurück, als die USA zentralamerikanische Zuwanderer deportierten, die zurück in der Heimat kriminelle Banden nach US-Vorbildern gründeten. Die Gangs fanden in El Salvador einen Nährboden aus Armut und Ausgrenzung vor, dem sie einen rasanten Zulauf junger Leute verdanken.


Zahlenstreit

"Im Grunde offenbaren die unterschiedlichen Zahlen, mit denen die Fahndungsbehörden hantieren, das Fehlen einer abgestimmten Datenerfassungspolitik", meint dazu Jeannette Aguilar, Leiterin des Instituts für öffentliche Meinung der katholischen Zentralamerikanischen José-Simeón-Cañas-Universität. "Ohne verlässliche Statistiken können wir uns aber kein objektives Bild von dem Problem machen."

Die Differenzen treten bereits bei der Zählung der Mordopfer zutage. So hat die PNC für das letzte Jahr 20 Tote weniger gezählt als das rechtsmedizinische Institut. IML, PNC und die Generalstaatsanwaltschaft haben zwar einen runden Tisch etabliert, um sich auf gemeinsame Kriterien zur Erfassung der Mordopfer zu einigen. Doch regelmäßig kommt es zu Streitereien. "Um aber effektive Maßnahmen gegen die Kriminalität entwickeln zu können, müssen wir wissen, wer warum welche Verbrechen begeht", sagt Aguilar. (Ende/IPS/kb/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 26. Januar 2012