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KIND/089: Libanon - Mehr Kinderarbeit durch Syrienkrieg (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 15. August 2013

Libanon: Mehr Kinderarbeit durch Syrienkrieg

von Zak Brophy


Bild: © Sam Tarling/IPS

Der zwölfjährige Aboudi verkauft abends Blumen in Beiruter Bars
Bild: © Sam Tarling/IPS

Beirut, 15. August (IPS) - In einer Zeit, in der der Libanon unter dem Druck des Konflikts im benachbarten Syrien steht und ein politisches Vakuum die Wirtschaft belastet, werden immer mehr Kinder in die Arbeitswelt gedrängt. Nach Schätzungen des Arbeitsministeriums in Beirut ist die Zahl der arbeitenden Minderjährigen in dem arabischen Land mit rund 4,2 Millionen Einwohnern seit 2006 von rund 100.000 auf 180.000 gestiegen.

Dabei ist aufgrund der besonderen Umstände in den vergangenen zwei Jahren von einer "wesentlichen höheren" Dunkelziffer auszugehen, so Nazha Shallita, die Leiterin der Ministeriumsabteilung, die sich mit Kinderarbeit befasst.

"Der Libanon hat mit einem großen Zustrom syrischer Flüchtlinge zu kämpfen, während sich die Wirtschafts- und Sicherheitslage im Land weiter verschlechtern. In der schwierigen Lage, verschärft durch die Abwesenheit einer Regierung, beobachten wir, dass immer mehr Kinder zum Arbeiten gezwungen sind", sagt Hayat Osseiran, die die Internationale Arbeitsorganisation ILO und das Internationale Programm zur Beseitigung von Kinderarbeit berät.

Jeden Abend kann man im Zentrum von Beirut Kinder sehen, die bis in die frühen Morgenstunden hinein Rosen oder Halsketten aus Gardenien verkaufen. Diese Heranwachsenden gehören zu den sichtbarsten Beispielen für Kinderarbeit, bilden aber lediglich die Spitze des Eisbergs. "Die Arbeit ist anstrengend und gefällt mir nicht", sagt der elfjährige Jihad, der vor einer Bar in Beirut Käufer für seine billigen Plastikrosen sucht. "Wenn meine Eltern und mein Bruder hier wären, könnte ich wieder zur Schule gehen. Sie sitzen aber in Aleppo fest."

Die Heerscharen arbeitender Kinder auf den Straßen des Libanons haben sich erheblich vergrößert, seit in den vergangenen zwei Jahren Zehntausende bettelarme syrische Familien ins Land kamen, nachdem sie der Bürgerkrieg in der Heimat entwurzelt hatte.


Kriminelle Banden steuern Kinderarbeit

Das Problem bestand aber auch schon vor der Syrien-Krise. Dabei geht es nicht nur um arme Kinder, die auf der Straße Geld zur Unterstützung ihrer Familien verdienen müssen. "Viele werden von kriminellen Banden auf die Straßen geschickt, damit sie dort alles Mögliche verkaufen", berichtet der Kinderrechtsaktivist Khaled Merheb. "Sie werden in Bussen in die Stadt gebracht und in der Nacht wieder eingesammelt."

Die Polizei ISF sollte eigentlich gegen die Ausbeutung von Straßenkindern vorgehen, räumt aber selbst ein, nur wenig tun zu können. In der gesamten Stadt gibt es nur ein Zentrum für Straßenkinder, das chronisch unterfinanziert ist. Der ISF wurde von Kindern vorgeworfen, gewaltsam gegen sie vorzugehen.

Zu den Straßenkindern kommen Zehntausende weiterer Jugendlicher hinzu, die durch eine Erwerbstätigkeit daran gehindert werden, den Unterricht zu besuchen. Diese Arbeiten gehen über einen kleinen Job zur Aufbesserung des Taschengeldes weit hinaus. Nicht selten werden Kinder und Jugendliche körperlich, sexuell oder psychologisch misshandelt. Ihre Gesundheit und Sicherheit geraten in Gefahr. Sie arbeiten nicht nur in Fabriken, auf Tabakfeldern und auf Müllkippen, sondern auch in Bordellen.

Der Libanon hat mehrere internationale Abkommen gegen Kinderarbeit unterzeichnet und Maßnahmen ergriffen, um die nationalen Gesetze mit diesen Verpflichtungen in Einklang zu bringen. 1996 wurde das Mindestalter für die Aufnahme einer Arbeit von neun auf 14 Jahre erhöht. Tätigkeiten in Industriebetrieben oder körperlich schwere Arbeiten darf niemand ausüben, der jünger als 15 Jahre ist.


Gesetze werden kaum eingehalten

Die Einhaltung dieser Bestimmungen wird aber kaum kontrolliert. Landesweit sind etwa 70 Inspektoren des Arbeitsministeriums im Einsatz. Die niederländische Nichtregierungsorganisation 'War Child' stellte kürzlich fest, dass die 19 Inspektoren, mit denen sie zusammenarbeitet, sich ihrer Verantwortung gegenüber den Kindern gar nicht bewusst seien.

An Straßenecken in den Elendsvierteln von Beirut stehen Gruppen von Jugendlichen zwischen zwölf und 15 Jahren, die alle die Schule abgebrochen haben. Sie putzen in Aluminiumfabriken oder verpacken Rattengift. Dafür sind sie sechs Tage in der Woche acht bis zwölf Stunden im Einsatz und verdienen in dem Zeitraum nicht mehr als umgerechnet 60 US-Dollar.

"Ich dachte, dass Arbeiten besser wäre, als zur Schule zu gehen. Doch da habe ich mich geirrt", gesteht der zwölfjährige Haydar. "Jetzt tut es mir leid, aber es ist zu spät." Vor allem in Armenvierteln verlassen viele Kinder vorzeitig die Schule. Ein 1998 verabschiedetes Gesetz sieht zwar vor, dass der Schulbesuch bis zum Alter von zwölf Jahren obligatorisch ist. Eingehalten wird diese Regelung in der Praxis jedoch nicht. (Ende/IPS/ck/2013)


Links:

http://www.ilo.org/global/lang--en/index.htm
http://www.ilo.org/ipec/lang--en/index.htm
http://www.ipsnews.net/2013/08/more-kids-pushed-into-labour-in-lebanon/

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IPS-Tagesdienst vom 15. August 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. August 2013