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KIND/055: Neue Perspektiven für die Kindertagespflege (DJI Impulse)


DJI Impulse
Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 4/2011 - Nr. 96

Neue Perspektiven für die Kindertagespflege

Das Aktionsprogramm Kindertagespflege soll die Qualität der Betreuung verbessern und die Tätigkeit attraktiver machen. Was bislang erreicht wurde und welche weiteren Maßnahmen geplant sind - eine Halbzeitbilanz

Astrid Kerl-Wienecke, Gabriel Schoyerer und Christopher Pabst


Die Kindertagespflege hat sich in den vergangenen Jahren zu einem unverzichtbaren Bestandteil der Kindertagesbetreuung entwickelt, insbesondere für die unter Dreijährigen. Dies belegen die Zahlen der Kinder- und Jugendhilfestatistik. Bereits 80.000 Kinder unter drei Jahren wurden im Jahr 2011 in öffentlich geförderter Kindertagespflege betreut, drei Jahre zuvor waren es bundesweit rund 51.000 Kinder. Die Kindertagespflege für unter Dreijährige ist dabei keineswegs eine Randzeiten- oder zusätzliche Betreuung. In fast allen Fällen stellt sie das ausschließlich wahrgenommene Förderangebot dar (Statistisches Bundesamt, Kinder- und Jugendhilfestatistik 2010).

Auch die Anzahl der Tagespflegepersonen ist seit dem Jahr 2008 kontinuierlich gestiegen: von 36.400 auf 42.830 im Jahr 2011; nur 2,5 Prozent sind Männer. Das Profil und das Potenzial der Kindertagespflege liegen unbestritten in der familiennahen und individuellen Betreuung in einer kleinen, überschaubaren Gruppe. In der jüngeren Vergangenheit hat jedoch der Anteil an Betreuungsverhältnissen in anderen Räumen deutlich zugenommen. Im Jahr 2010 wurden bereits zehn Prozent der Kinder weder in der privaten Wohnung der Tagespflegepersonen noch in der Wohnung der Eltern betreut.

Trotz dieser zunehmenden Ausdifferenzierung erhalten Eltern nach wie vor in der Kindertagespflege eine Betreuung für ihre Kinder, die eine größtmögliche Ähnlichkeit mit Familie hat. Als Merkmale werden zum Beispiel angeführt: weniger Lärm für die Kinder, eine warmherzige Atmosphäre, emotionale Bereitschaft und Feinfühligkeit der Betreuenden sowie individuelle Zuwendung und kleine Gruppen. Ob das Label »Familienähnlichkeit« allerdings als erklärender Faktor für gute pädagogische Qualität in der Kinderbetreuung für unter Dreijährige gelten kann, ist empirisch erst noch zu zeigen (Schoyerer 2011).


Qualifizierung von Tagespflegepersonen

Für eine hohe Qualität in der Betreuung spielt die Qualifizierung der Tagespflegepersonen eine wichtige Rolle. Bund und Länder haben sich im Rahmen des Aktionsprogramms Kindertagespflege bundesweit auf gemeinsame Qualifizierungsstandards geeinigt sowie auf ein gemeinsames Zertifizierungsverfahren (Gütesiegel) für Bildungsträger. Das Gütesiegel bietet die Chance, eine hohe und nachweisbare Qualität im Bereich der Grundqualifizierung von Tagespflegepersonen umzusetzen, indem für Bildungsträger vergleichbare Qualitätsstandards vorausgesetzt werden. Insgesamt haben bis heute 214 Bildungsträger das Gütesiegel beantragt.

Der fachlich akzeptierte Mindeststandard von 160 Stunden Grundqualifizierung, der im Rahmen des Aktionsprogramms etabliert wurde, hat sich mittlerweile in den meisten Bundesländern durchgesetzt. Im Jahr 2010 hatten erstmals mehr als die Hälfte aller tätigen Tagespflegepersonen (53 Prozent) einen Kurs von 160 Stunden und mehr absolviert und/oder wiesen eine pädagogische Ausbildung auf - dieser Anteil lag im Jahr 2006 noch bei 33 Prozent (Statistisches Bundesamt 2010). Im Umkehrschluss bedeutet dies allerdings, dass fast die Hälfte aller öffentlich geförderten Tagespflegepersonen in Deutschland noch unter diesem Mindeststandard tätig ist. Das verdeutlicht die Notwendigkeit weiterer qualitätsorientierter Schritte.

Aufbauend auf der Grundqualifizierung soll eine systematisch modulare Fort- und Weiterbildung das Qualifizierungsniveau von Tagespflegepersonen kontinuierlich anheben und damit gleichzeitig das Tätigkeitsfeld Kindertagespflege stärken. Eine fundierte tätigkeitsbegleitende Fortbildung sowie fachliche Unterstützung sind zentrale Bausteine, um die pädagogische Qualität in der Kindertagespflege zu verbessern und zu konsolidieren. Das Deutsche Jugendinstitut (DJI) hat im Rahmen des Aktionsprogramms Kindertagespflege eine Reihe von Fort- und Weiterbildungsmodulen erarbeitet und veröffentlicht. Daneben erstellt das DJI für Träger der Jugendhilfe Handreichungen, die unterstützende Hinweise beim Aufbau der lokalen Infrastruktur Kindertagespflege geben. Alle Materialien können auf den Internet-Seiten des DJI kostenlos heruntergeladen werden (siehe Link-Hinweis auf S. 31).


Berufliche Perspektiven

Im Rahmen des Aktionsprogramms Kindertagespflege wird es in den kommenden Jahren darum gehen, die begonnenen Maßnahmen der Qualifizierung weiterzuführen und auszubauen sowie Tagespflegepersonen zu fördern, die eine tätigkeitsbegleitende formale Ausbildung in pädagogischen Berufen anstreben. Ziel dieser Maßnahme ist es, die Kindertagespflege zu einer attraktiven Tätigkeit zu entwickeln, die auch berufliche Perspektiven bietet, die Qualifizierungsqualität der Kindertagespflege zu erhöhen und damit die Entwicklung einer leistungsgerechten und existenzsichernden Entlohnung des Berufsstandes voranzutreiben. Schließlich ist es das Ziel, die Kindertagesbetreuung insgesamt dadurch auszubauen, dass ungenutzte Potenziale von Fachkräften gewonnen werden. Außerdem sollen Eltern vergleichbare Standards geboten werden, die ihnen bei der Entscheidung für diese Form der Kindertagesbetreuung helfen.

Um die beruflichen Perspektiven zu verbessern, sollen aus fachlicher Sicht auch Tagespflegepersonen ohne pädagogische Ausbildung eine Weiterbildung für einen sozialpädagogischen Assistenzberuf absolvieren können. Die Grundlage soll zukünftig verstärkt der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR) sein, der ein umfassendes Profil aller in Deutschland erworbenen Ergebnisse formellen und informellen Lernens erstellt. Neben formalen Qualifikationen werden dadurch auch Kompetenzen, die im Prozess der Erwerbsarbeit und im Rahmen von Familienarbeit erworben werden, angemessen berücksichtigt. Dieser Ansatz bildet die Grundlage eines neuen kompetenzorientierten Qualifizierungshandbuchs für die Kindertagespflege, das derzeit am DJI entwickelt wird und im Jahr 2013 vorliegen soll.

Im Rahmen der weiteren Evaluation des Aktionsprogramms Kindertagespflege bleibt zu beobachten, wie sich erhöhte Qualifikationsstandards auf quantitativer und auch qualitativer Ebene auf die Kindertagespflege auswirken werden. Eine im Rahmen dieser Evaluation durchgeführte Online-Befragung der geförderten Jugendämter brachte zu Tage, dass es einige Tagespflegepersonen gibt, die einer weiteren Anhebung formaler Qualitätsstandards skeptisch gegenüber stehen. Teilweise werden die gesteigerten Qualifizierungsanforderungen sogar als Beweggrund für eine Einstellung der Tätigkeit als Tagespflegeperson angeführt. Allerdings können höhere Standards mittelfristig dazu führen, dass sich neue (höher qualifizierte) Personenkreise für die Kindertagespflege interessieren und in ihr eine berufliche Perspektive sehen. Welche Auswirkungen dieser angestrebte Wandel auf die Qualität der Betreuung schlussendlich hat, bleibt abzuwarten.


DIE AUTORIN, DIE AUTOREN

Dr. Astrid Kerl-Wienecke, Diplom-Sozialpädagogin, arbeitet seit 2008 als wissenschaftliche Referentin am Deutschen Jugendinstitut in der wissenschaftlichen Begleitung des Aktionsprogramms Kindertagespflege. Schwerpunkt ihrer Arbeit ist die Konzeption und Erarbeitung von Modulen zur Fort- und Weiterbildung in der Kindertagespflege.

Gabriel Schoyerer, Diplom-Pädagoge, ist seit 2008 wissenschaftlicher Referent am Deutschen Jugendinstitut in der wissenschaftlichen Begleitung des Aktionsprogramms Kindertagespflege. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören frühkindliche Bildungsprozesse, Strukturen der Kinder- und Jugendhilfe sowie Evaluationsmethoden.

Christopher Pabst, Diplom-Sozialwirt, arbeitet als wissenschaftlicher Referent am Deutschen Jugendinstitut in der wissenschaftlichen Begleitung des Aktionsprogramms Kindertagespflege. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören quantitative Methoden der Sozialforschung und Evaluationsmethoden.
Kontakt: kerl@dji.de, schoyerer@dji.de, pabst@dji.de


LITERATUR

SCHOYERER, GABRIEL (2011): Kindertagespflege für unter Dreijährige -Skizzen eines Bildungsprofils. In: frühe Kindheit, Heft 01/2011, S. 15-19

STATISTISCHES BUNDESAMT (2006-2010): Statistik der Kinder- und Jugendhilfe, Kinder und tätige Personen in Tageseinrichtungen und öffentlich geförderter Kindertagespflege. Wiesbaden

BUNDESMINISTERIUM FÜR FAMILIE, SENIOREN, FRAUEN UND JUGEND (2011): Zweiter Zwischenbericht zur Evaluation des Kindesförderungsgesetzes. Bericht der Bundesregierung 2011 nach § 24a Abs. 5 SGB VIII über den Stand des Ausbaus für ein bedarfsgerechtes Angebot an Kindertagesbetreuung für Kinder unter drei Jahren für das Berichtsjahr 2010


IM INTERNET

Die Qualifizierungsmodule zur Fort- und Weiterbildung für Tagespflegepersonen sowie die Praxismaterialien für die Jugendämter sind kostenfrei erhältlich unter
www.dji.de/aktionsprogramm-kindertagespflege sowie unter
www.fruehe-chancen.de
(Bereich: Für Tagesmütter & Tagesväter)

Nähere Informationen zum kompetenzorientierten Qualifizierungshandbuch, das derzeit am DJI erarbeitet wird und 2013 erscheint, gibt es unter
www.dji.de/qualifizierungshandbuch_kindertagespflege


Aktionsprogramm Kindertagespflege

Bis zum Jahr 2013 sollen in Deutschland für 39 Prozent der unter Dreijährigen Betreuungsplätze zur Verfügung stehen. 30 Prozent der dafür neu zu schaffenden Plätze sollen im Rahmen der Kindertagespflege entstehen, bei der die Kinder von Tagesmüttern und -vätern in der Regel entweder im eigenen Haushalt oder in dem der Eltern betreut werden. Seit dem Tagebetreuungsgesetz von 2005 haben Tagespflegepersonen genauso wie öffentliche Kindertageseinrichtungen den Auftrag zur Bildung, Erziehung und Betreuung von Kindern. Die Kindertagespflege wird seit 2005 durch beratende und finanzielle Leistungen der Jugendhilfeträger öffentlich gefördert.

Während in den neuen Bundesländern der komplette Betreuungsbedarf bereits heute durch bestehende Betreuungsangebote abgedeckt wird, muss der Ausbau in den alten Bundesländern weiter vorangebracht werden (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 2011): Im Jahr 2011 wurden in Westdeutschland 60.000 Plätze in Kindertagespflege für Kinder unter drei Jahren gezählt. Um aber das anvisierte Ausbauniveau von circa 125.000 Plätzen zu erreichen, müssen bis August 2013 65.000 weitere Plätze geschaffen werden.

Mit dem Aktionsprogramm Kindertagespflege, finanziert aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF), unterstützt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend seit dem Jahr 2008 den qualitativen und quantitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung für unter Dreijährige. In enger Zusammenarbeit mit Ländern und Kommunen soll die Qualität der Kindertagespflege verbessert und gesichert, das Personalangebot für die Tagespflege erweitert sowie die Infrastruktur der Kindertagespflege aus- und aufgebaut werden. Das Deutsche Jugendinstitut ist mit der wissenschaftlichen Begleitung und der Erarbeitung von Qualifizierungsmodulen zur Fort- und Weiterbildung von Tagespflegepersonen beauftragt.

www.dji.de/aktionsprogrammkindertagespflege


DJI Impulse 4/2011 - Das komplette Heft finden Sie im Internet unter:
www.dji.de/impulse


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Quelle:
DJI Impulse - Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 4/2011 - Nr. 96, S. 29-31
Herausgeber: Deutsches Jugendinstitut e.V.
Nockherstraße 2, 81541 München
Telefon: 089/623 06-0, Fax: 089/623 06-265
E-Mail: info@dji.de
Internet: www.dji.de

DJI Impulse erscheint viermal im Jahr.
Die Hefte können kostenlos unter www.dji.de/impulsebestellung.htm
abonniert oder unter vontz@dji.de schriftlich angefordert werden.


veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Januar 2012