Deutsches Jugendinstitut e.V. - 22.05.2015
Risikokarrieren verhindern: Jugendhilfe für straffällige Jugendliche mit Migrationshintergrund
Die Kinder- und Jugendhilfe erreicht straffällige männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund vielfach nicht oder zu spät. Dies kann zur Folge haben, dass sie weitere Straftaten begehen. Letztlich zeigt sich, dass diese Gruppe im Jugendstrafvollzug überproportional vertreten ist. Gleichzeitig hat die Fachpraxis der Kinder- und Jugendhilfe in den vergangenen Jahren diese, lange oft unverstandenen Jugendlichen besonders in den Fokus genommen. Warum prinzipiell vorhandene Hilfsangebote der Praxis diese Jugendlichen vielfach dennoch nicht erreichen und wie mit dieser Herausforderung umgegangen werden könnte, untersucht ein Wissenschaftlerteam des Deutschen Jugendinstituts in München.
"Die Ursachen, warum der Zugang zu straffälligen Jugendlichen und ihren
Familien noch nicht immer gelingt und die Jugendlichen bestehende
Hilfsangebote nicht annehmen, sind vielfältig", resümieren Sabrina Hoops
und Bernd Holthusen in ihrem Beitrag: "Unbekannt, unerreicht und
unverstanden? Straffällige männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund
als Adressaten der Kinder- und Jugendhilfe". Nicht selten fehle es in den
Familien an ausreichenden Deutschkenntnissen, um Briefe der Behörden zu
verstehen oder um Formulare und Anträge ausfüllen zu können. Auch herrsche
bei Eltern bisweilen eine Abwehr gegen Jugendämter vor, die eher als
Kontrollinstanz denn als Hilfe in der Erziehung der Kinder erlebt werden.
"Im schlimmsten Fall befürchten Eltern, dass das Jugendamt ihnen ihre
Kinder wegnimmt", erzählt Sabrina Hoops und ergänzt, dass häufig auch
kulturelle Unterschiede wie beispielsweise in der Verbindlichkeit von
Terminen zu Missverständnissen zwischen den Fachkräften der Jugendhilfe
und den Eltern führen könnten. Hinzukommt, dass das die Jugendhilfe
teilweise erst spät in Form der Jugendhilfe im Strafverfahren
eingeschaltet wird, wenn die Jugendlichen bereits straffällig geworden
sind und vor Gericht stehen.
Gleichzeitig verwahren sich Sabrina Hoops und Bernd Holthusen entschieden dagegen, Jugendliche mit Migrationshintergrund undifferenziert unter Generalverdacht zu stellen. "Selbstverständlich bilden Heranwachsende mit Migrationshintergrund keine homogene Gruppe", erläutert Bernd Holthusen, sondern umfassten so unterschiedliche Biografien wie beispielsweise den Sohn eines polnischen Musikers, den Enkel eines türkischen Handwerkers oder den Sohn einer traumatisierten alleinerziehenden Togolesin wie den Neffen eines Flüchtlings aus dem Irak oder Syrien. "Der Migrationshintergrund kann, muss aber nicht für jugendliche Delinquenz eine Rolle spielen", ergänzt Sabrina Hoops, die vor einem verengten Blick auf Migration warnt. Für eine passgenaue Lösung müssten daher auch parallel die soziale Situation des Jugendlichen und das Geschlecht einbezogen werden.
In der Fachpraxis gibt es inzwischen durchaus ein differenziertes Hilfsangebot für Jugendliche, das von offener Jugendarbeit, über Angebote für Eltern bis zu einem Anti-Aggressivitätstraining für männliche türkische Jugendliche reicht. Gleichzeitig könnten die Angebote aber noch ausgeweitet werden, um tatsächlich eine größere Gruppe Jugendlicher zu erreichen. Nur 11 Prozent aller Jugendgerichtshilfen halten beispielsweise spezielle Möglichkeiten für Jugendliche und Heranwachsende mit Migrationshintergrund vor. Nur zwei Prozent der Jugendhilfen im Strafverfahren haben auf diese Gruppen spezialisierte Arbeitseinheiten.
Um langfristig Risikokarrieren dieser heterogenen Gruppe Jugendlicher zu verhindern, ist nach den Erhebungen der DJI-Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention vor allem der Aufbau einer nachhaltigen interkulturellen Kompetenz für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Jugendhilfe notwendig. Ebenfalls sehr gut werden schon jetzt in der Fachpraxis niederschwellige Angebote für Eltern angenommen wie das Einbinden von Ehrenamtlichen mit Migrationshintergrund, die zwischen den Familien und den Jugendämtern vermitteln können. Auch Tandemangebote von Fachkräften der Sozialen Arbeit mit Migrationshintergrund und deutschen Fachkräften haben sich bewährt.
Der Buchbeitrag fußt auf laufenden Forschungsarbeiten des Themenschwerpunkts Migration in der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention am DJI. Eingeflossen sind zudem Erkenntnisse aus dem aktuellen DJI-Forschungsprojekt Jugendliche Gewalttäter zwischen Jugendhilfe- und krimineller Karriere sowie einer bundesweiten Online-Befragung zu Jugendhilfen im Strafverfahren für das Jugendgerichtshilfeb@rometer.
Literatur
Holthusen, Bernd / Hoops, Sabrina (2015):
Unbekannt, unerreicht und unverstanden?
Straffällige männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund als
Adressaten der Kinder- und Jugendhilfe.
In: Dollinger, Bernd / Oelkers, Nina (Hrsg.) (2015):
Sozialpädagogische Perspektiven auf Devianz. Weinheim
Weitere Informationen unter:
http://www.dji.de/index.php?id=42272
Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution360
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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Deutsches Jugendinstitut e.V., Dr. Felicitas von Aretin, 22.05.2015
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de
veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Mai 2015
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