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INTERNATIONAL/239: Honduras und Mexiko - "Das ist keine Karawane, sondern ein Exodus" (poonal)


poonal - Pressedienst lateinamerikanischer Nachrichtenagenturen

Honduras/Mexiko
"Das ist keine Karawane, sondern ein Exodus"

Von Aline Espinosa Gutierrez


(Mexiko-Stadt, 23. Oktober 2018, cimacnoticias) - Zehn Tage, nachdem sich die Migrant*innenkarawane an einem Busbahnhof in Honduras auf den Weg gemacht hat, sind 7.111 (Stand: 23. Oktober) Menschen zu Fuß unterwegs in die USA. Etwa 50 Prozent (3.300) sind Frauen und Mädchen, die sich aufgrund der unsicheren Lage und der speziell gegen die weibliche Bevölkerung gerichteten Gewalt gezwungen sahen, ihr Land zu verlassen und sich ungeachtet der möglichen Risiken und Gefahren auf den Weg zu machen. Im Interview mit Cimacnoticias erklärte die Leiterin des Zentrums für Frauenstudien in Honduras, María Virginia Díaz, die Situation von Frauen und Mädchen sei besonders prekär, da ihre Rechte nicht respektiert würden. In 97 von 100 Fällen bleibe die strafrechtliche Verfolgung von Verbrechen an Frauen (Mord, Entführung, sexuelle Gewalt) aus.

Seit der Übernahme der Präsidentschaft durch Juan Orlando Hernández im Jahr 2014 habe die Gewalt gegen Frauen zugenommen, so die Menschenrechtlerin. Statt mit seiner Politik die Rechte der Frauen zu stärken, habe er sich eher auf Waffenkäufe und die Militarisierung des Landes konzentriert.


Gewalt gegen Frauen hat zugenommen

Es gebe praktisch keinen Raum, wo Frauen vor Gewalt geschützt seien. Am hellichten Tag könnten Frauen ermordet oder in ihrem eigenen Haus entführt und so zu Opfern von Menschenhandel, Zwangsprostitution oder Organhandel werden. Die Überfälle gingen von verbrecherischen Banden wie den "Maras" aus, die mit der Regierung unter einer Decke steckten.

Allein in diesem Jahr seien in Honduras bereits 270 Frauen von ihren Partnern ermordet worden, zugleich seien über 75 Menschenrechtlerinnen massiv unter Druck gesetzt worden: Einige wurden als Rädelsführerinnen diffamiert und willkürlich für nicht nachgewiesene Straftaten verhaftet, anderen hatte man mit der Entführung ihrer Kinder gedroht.

Die Mehrzahl der inhaftierten Menschenrechtlerinnen wurde bei Protesten gegen den Wahlbetrug von Juan Orlando Hernández nach der Wahl am 27. Oktober 2018 festgenommen, etwa 33 Demonstrant*innen starben. Orlando Hernández sicherte sich damit eine Verlängerung seiner Amtszeit um weitere fünf Jahre, und es steht zu befürchten, dass er 2022 erneut kandidieren wird.


Bedrohung durch transnationale Konzerne und Verbrecherbanden

Díaz erinnerte ebenfalls an die Ermordung der Aktivistinnen der indigenen Gemeinden Bertha Careces und Margarita Murillo, die jahrelang gegen die Privatisierung der Flüsse und die Niederlassung transnationaler Konzerne gekämpft hatten. Die anschließenden Strafprozesse wiesen zahlreiche Unregelmäßigkeiten auf. Bis heute wurde wegen ihrer Ermordung niemand verurteilt.

Daher würden die Organisationen auf ihre Finanzreserven zurückgreifen, um die Aktivistinnen an sichereren Orten unterzubringen, doch auch hier bestehe die Gefahr, dass es zu gewalttätigen Angriffen auf die Aktivistinnen oder ihre Familien komme.

Die Niederlassung transnationaler Konzerne sei ein weiterer Grund, der Frauen und insbesondere Menschenrechtlerinnen veranlasst habe, ihr Land zu verlassen. Die Konzerne bemächtigten sich der natürlichen Ressourcen, die für viele Menschen die Grundlage ihres Broterwerbs darstellen; damit seien ihre Verdienst- und Arbeitsmöglichkeiten und die Chance, ihre Familien ernähren zu können, stark gemindert; gleichzeitig wachse dadurch die Bedrohung durch Verbrecherbanden.


Migration in großen Gruppen bietet besseren Schutz

Nach Ansicht der Frauenrechtsorganisation Zentrum für Frauenstudien in Honduras ist alles besser als die Situation, die honduranische Frauen im eigenen Land vorfinden. Als Großgruppe zu migrieren habe die Frauen gestärkt, obwohl sich auch einige allein auf den Weg gemacht hätten, so Díaz.

Diese Bewegung Karawane zu nennen sei nicht angemessen; vielmehr sei dies ein Exodus: Die honduranischen Frauen seien nicht aus freien Stücken unterwegs, sondern die honduranische Regierung habe sie praktisch dazu gezwungen.

Es sei sehr wichtig, die Informationen nicht zu verfälschen und sich bewusst zu machen, dass die Migrationsbewegung drei Dinge besonders deutlich gemacht habe: "Schuld an dem Exodus ist die massive Gewalt und die Armut in diesem Land. Das honduranische Volk will bessere Lebensbedingungen und: Die Regierung lügt".

Die mexikanische Regierung solle den Frauen ihr Recht auf Mobilität zuerkennen, die Bevölkerung solle sich mit den Migrant*innen solidarisieren und die von Mangelernährung und Dehydrierung bedrohten Frauen und Mädchen unterstützen.

Wenn dieser Exodus so voranschreite wie bisher, so Díaz weiter, sei in etwa 20 Tagen die US-amerikanisch-mexikanische Grenze erreicht. Und die Zahl der Migrant*innen werde noch weiter wachsen, wenn erst die Menschen dazukämen, die sich von El Salvador und Guatemala aus auf den Weg gemacht hatten.

Bisher sitzen die Menschen auf der Grenzbrücke Rodolfo Robles fest und warten darauf, in das mexikanische Staatsgebiet eingelassen zu werden, um weiter Richtung USA reisen zu können. Nach Meinung María Virginia Díaz' hat der Exodus trotzdem dazu geführt, dass dieses Jahr noch mehr Menschen versuchen werden, in die USA einzureisen.


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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Oktober 2018

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