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INTERNATIONAL/064: Sri Lanka - Land der Kriegsversehrten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. Januar 2012

Sri Lanka: Land der Kriegsversehrten - Mindestens ein Zehntel der Bewohner der Nordprovinz betroffen

von Amantha Perera


Vavuniya, Sri Lanka, 3. Januar (IPS) - Es gab eine Zeit, in der sich Thiyagarajah Santhirakumaran den Tod herbei gesehnt hat. Das war im Bürgerkrieg gewesen. Heute herrscht in Sri Lanka Frieden, doch für den 35-Jährigen ist das Leben ohne Beine eine Tortur. Er gehört zu den zehn bis 15 Prozent der 1,1 Millionen Bewohner der Nördlichen Provinz, die im bewaffneten Konflikt des Inselstaates eine körperliche Behinderung davontrugen.

Santhirakumarans Beine waren 2006 von einer Bombe abgerissen worden. Das war schon schlimm genug, doch dann wurde 2008 bis 2009 in seinem Heimatdistrikt Mullaittivu die letzte Phase des Krieges zwischen Armee und tamilischen Separatistenrebellen ausgetragen. "Es war die Hölle, und es gibt kein Wort, was besser passen würde", erinnert er sich. "Wer wollte schon einem Krüppel helfen, wenn es galt, sich selbst in Sicherheit zu bringen?"

Doch am Ende gelang es seiner Familie, Santhirakumaran zu retten. Jetzt, wo der Krieg zu Ende ist, muss er zwar keine Angst mehr haben, dass seine Frau oder beiden Kinder tödlich von einer Kugel getroffen werden. Dafür peinigt ihn die Abhängigkeit von der Hilfe anderer.


Ausgegrenzt

Ohne Arbeit und ohne Bewegungsmöglichkeiten - Transportmittel sind nach wie vor Luxus und Integrationshilfen für Behinderte ein ferner Traum - hockt Santhirakumaran meist zu Hause in seiner Lehmhütte. "Ich gehe nicht aus, meine Frau verdient das Geld", sagt er. Hätte er Arbeit, wäre er nicht so deprimiert, ist er überzeugt. "Doch ich kann ja noch nicht mal allein zur Toilette gehen."

Der Jahrzehnte lange Krieg hat vielen Srilankern bleibende Verletzungen beigebracht. Die Srilankische Stiftung zur Rehabilitation Behinderter (SLFRD) schätzt, dass zehn bis 15 Prozent der 1,1 Millionen Bewohner der Nördlichen Provinz körperbehindert sind. "Die meisten Opfer verdanken ihr Schicksal dem Krieg. Sie wurden im besten Alter versehrt", sagt der SLFRD-Chef Cyril Siriwardene. "Schon für gesunde Menschen ist die Lage schwierig, für Menschen mit Behinderungen nahezu unerträglich."

Wie Vellayan Subramaniyam von der Organisation für die Rehabilitation von Behinderten berichtet, konnten verletzte Zivilisten in den von den separatistischen Befreiungskämpfern von Tamil Eelam kontrollierten Gebieten auf keine Hilfe zählen. Nur schwer verwundete Kämpfer wurden betreut.

"Wenn Erwachsene eine Behinderung davontragen, dauert es Jahre, bis sie und ihre Umwelt sich daran gewöhnen", meint Subramaniyam, der als junger Mann bei einem Unfall einen Teil seines Augenlichts einbüßte. Dieser Umstand müsse bei den Rehabilitationsmaßnahmen berücksichtigt werden. In der Regel seien die Betroffenen zu einem traurigen Leben am Rande der Gesellschaft verurteilt.

Die US-Entwicklungsbehörde (USAID) hat 300.000 US-Dollar für ein Pilotprojekt bereitgestellt, das die Integration Behinderter in die srilankische Gesellschaft fördern soll. So ist vorgesehen, dass die Mitarbeiter von fünf lokalen Graswurzelorganisationen im Norden des Landes mit Behinderten zusammenarbeiten und konkrete Hilfsprogramme entwickeln.

"Die psychologische Barriere im Umgang mit Behinderten zu überwinden, wird Jahre in Anspruch nehmen", weiß Ivan Rasiah, ein Mitarbeiter des Projekts. Der SLFRD-Chef Siriwardene ist der gleichen Meinung. "In Sri Lanka herrscht allgemein die Meinung vor, dass Behinderte nicht in der Lage sind, für sich selbst zu sorgen. Wir haben es also mit einem klassischen Stigma zu tun, das aber auch von den Behinderten aufrechterhalten wird."


Suche nach Arbeitgebern

Organisationen wie die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) und der Arbeitnehmerverband Ceylons (EFC) haben Ausbildungsprogramme für Kriegsversehrte im Norden des Landes gestartet, die den Betroffenen helfen sollen, einen Job zu finden. Gerade im Norden, der mit einer Arbeitslosigkeit von 20 Prozent und einer Armutsrate von 30 Prozent geschlagen ist, gestaltet sich gerade für Behinderte die Suche nach einer geeigneten Arbeitsstelle als besonders schwierig.

"Wir haben in anderen Landesteilen ähnliche Programme durchgeführt. Wir hoffen nun, dass wir von den Erfahrungen profitieren werden", meint der EFC-Leiter Ravi Peiris. Zum Abschluss der dreimonatigen Trainingsprogramme werden die Kursteilnehmer mit potenziellen Arbeitgebern zusammengebracht.

Diejenigen, die einen der kostbaren Arbeitsplätze ergattern, haben es dennoch nicht leicht. So klagt Perambalan Janakumar, der nach einer ILO-EFC-Schulung von einer Bank zu einem sechsmonatigen Einführungskurs eingeladen wurde, dass er als Blinder immer wieder seine Fähigkeiten wieder unter Beweis stellen zu müsse. "Ich werde das Gefühl einfach nicht los, wegen meiner Behinderung und nicht wegen meiner Fähigkeiten eingestellt worden zu sein." (Ende/IPS/kb/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Januar 2012