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INTERNATIONAL/054: Mexiko - "Erlöse uns von aller Mitschuld" - Protest am Tag der Toten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. November 2011

Mexiko: 'Erlöse uns von aller Mitschuld' - Menschenrechtler protestieren am Tag der Toten

von Daniela Pastrana

Die Suche nach Vermissten geht weiter - Bild: © Daniela Pastrana/IPS

Die Suche nach Vermissten geht weiter
Bild: © Daniela Pastrana/IPS

Mexiko-Stadt, 3. November (IPS) - Die Gegend nahe dem Denkmal des 'Engels der Unabhängigkeit' in Mexiko-Stadt verwandelt sich am traditionellen Tag der Toten in einen riesigen Friedhof. In diesem Jahr haben sich in das Gedenken an die Verstorbenen auch kritische Töne gemischt. Angehörige von Opfern des von der Regierung vorangetriebenen Anti-Drogenkampfes versammelten sich im Stadtzentrum, um Gerechtigkeit zu fordern.

"Mexiko erlebt heute einen der schmerzhaftesten Momente seiner Geschichte", sagte der protestantische Pfarrer Humberto Jaramillo, der die Sozialchristliche Bewegung leitet. "In der Staatsmacht steckt ein Herz aus Stein, ein hartes, kaltes, gleichgültiges Herz", kritisierte der Geistliche unweit des Denkmals an der Hauptstraße der Stadt, dem Paseo de la Reforma.

Zwei Frauen von dem islamischen Orden 'Sufi Yeray' und Gruppen, die die Traditionen der Ureinwohnervölker der Maya und Azteken verteidigen, stimmten Gesänge an. "Erlöse uns von aller Mitschuld", beteten Mitglieder der katholischen Kirche in Anspielung auf das 'Erlöse uns von allem Übel".

"Seit September sind wir dabei, eine Gemeinschaft der Kirchen zu bilden, die für den Frieden arbeiten", erklärte die Baptistenpredigerin Rebeca Montemayor, die zu den Initiatoren der ökumenischen Begegnung gehört. Ziel sei es, die Bevölkerung zu sensibilisieren und weitere öffentliche Veranstaltungen anzuregen.


Ausufernde Gewalt angeprangert

Tausende Kreuze, Kerzen und gelbe Blumen bedecken den Sockel des Denkmals, das der Berliner Siegessäule ähnelt. Für die Mexikaner symbolisiert der "Engel" die Unabhängigkeit von Spanien. Die Bewegung für Frieden mit Gerechtigkeit und Würde, die von dem Lyriker Javier Sicilia angeführt wird, nahm den Tag der Toten zum Anlass, um die ausufernde Gewalt in dem lateinamerikanischen Land anzuprangern.

Den Anhängern Sicilias, die in diesem Jahr gemeinsam einen Protestmarsch durch Mexiko unternommen haben, schließen sich die 'indignados' an, die vor der mexikanischen Börse campieren, um gegen das globale Wirtschafts- und Finanzsystem zu protestieren. Neben ihnen sieht man Studenten mit Kreuzen aus Holz, Pappe und Papier, Gewerkschaftsvertreter und Wixáritari-Indianer, die eine Ausplünderung ihrer Bodenschätze und die Zerstörung ihrer Traditionen verhindern wollen.

Die 'Nachtwache' begann am Nachmittag des 31. Oktober und endete am folgenden Tag um 18 Uhr. Gedacht wurde der Menschen, die seit Januar 2007 ermordet worden sind. Unmittelbar nach ihrem Amtsantritt im Dezember 2007 hatte die Regierung des konservativen Präsidenten Felipe Calderón dem Drogenhandel den Kampf angesagt. Menschenrechtsaktivisten zufolge hat die Militarisierung der Drogenbekämpfung bisher 50.000 Menschen das Leben gekostet.

Nächtliche Demonstration in Mexiko-Stadt - Bild: © Lucia Vergara/IPS

Nächtliche Demonstration in Mexiko-Stadt
Bild: © Lucia Vergara/IPS

Calderón verteidigt weiterhin seine Politik der eisernen Faust. Innerhalb von vier Jahren stieg das Budget für die mexikanischen Sicherheitskräfte um das Fünffache, während es in sozialen Bereichen zu Kürzungen kam.

"Dieser Krieg hat nur erreicht, dass sich Kriminelle zu Verbrechersyndikaten zusammengeschlossen haben. Daraus sind Mikrounternehmen der Angst entstanden", kritisiert Julia Alonso, die seit drei Jahren nach ihrem verschwundenen Sohn sucht.


Proteste auch in Grenzstadt Ciudad Juárez

Zu Protesten kam es auch in anderen mexikanischen Städten, die unter dem Gewaltproblem leiden. In der an die USA angrenzenden Stadt Ciudad Juárez nahm die Polizei Demonstranten fest, die Kreuze vor einer Bank aufstellen wollten.

Viele Studenten in der Stadt reagierten alarmiert. Erst am 26. Oktober war der Aktivist Carlos Cuevas, der zu den Alumni der Nationalen Autonomen Universität von Mexiko gehörte, ermordet worden. "Ich werde erst dann zur Ruhe kommen, wenn der Gerechtigkeit Genüge getan ist", sagte seine Mutter Lourdes Mejía.

In einer politischen Erklärung forderte Sicilias Bewegung ein Mahnmal für die Toten. (Ende/IPS/ck/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. November 2011