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GENDER/030: Dilemma und Herrschaftsanspruch eines (konstruiert) männlich-autonomen Subjekts (Frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 127, 1/14

Dilemma und Herrschaftsanspruch eines (konstruiert) männlich-autonomen Subjekts - Skizzierung eines Weltbildes (*)

Von Edith Ertl-Hofinger



Die Autorin erklärt in diesem Text, warum es nicht allein die Gruppe der ausgewiesenen Maskulinisten mit ihrer Strategie einer Verkehrung von Tatsachen ist, die unsere Aufmerksamkeit erfordert oder uns sogar vom Grundproblem ablenkt. Sie analysiert, warum das maskulinistische Weltbild an sich uns Sorgen bereiten sollte.

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Maskulinismus geht uns alle an!

Maskulinismus ist ein Weltbild, das in seinen Grundzügen auf der Vorstellung beruht, dass das sogenannte Weibliche, alles als weiblich markierte, also auch Frauen, aber nicht nur, dem als männlich definierten untergeordnet wäre. Dieses Grundsystem ist in der gesamten westlich-weißen Denkordnung, quasi als ein Glaubenssatz erster Ordnung verankert. Es gibt dabei seit dem 19. Jahrhundert, in dem das zweigeschlechtliche System als Ordnungs- und Verteilungsstruktur, oder besser gesagt, als Enteignungs- und Ausbeutungssystem gegenüber Frauen, verfestigt wurde, mit immer neuen Anläufen, diese Konstruktion als naturgegebene Ordnung hinzustellen, immer wieder neue Anläufe, sie mit immer neuen "Erkenntnissen", bspw. aus der (Neuro-)Biologie, zu rechtfertigen. Alle diese "Nachweise" haben sich bisher jedoch als gescheitert erwiesen oder sind strittig. Das konstruierte Andere "des Weiblichen", das "Othering" generell, erfasst neben einem "doing gender" weitere Ebenen und gesellschaftliche Gruppen.

Auch rassistisch motivierte Diskriminierungshandlungen sind aus diesem Muster heraus lesbar. Im Grunde werden alle Menschen, die der Konstruktion von (weißer) Männlichkeit nicht entsprechen können oder wollen, abgewertet. Entsprechend vielfältig unterscheiden sich individuelle Benachteiligungserfahrungen und -effekte und verschleiern durch diese scheinbare Komplexität das zugrunde liegende System. Dies lenkt davon ab, dass es ein grundlegendes Problem mit dieser maskulinen Konstruktion von Männlichkeit in globalem Ausmaß und mit globalen Auswirkungen gibt.

Das "Männlichkeitsdilemma"

Einerseits ist diese Konstruktion von Männlichkeit in sich fragil und instabil und daher entsprechend immer schon krisenanfällig. Wie der Männlichkeitsforscher Rolf Pohl unter Bezugnahme auf Ilka Quindeau meint, liegt eines der Hauptprobleme für heranwachsende, als Jungen markierte Menschen, in der gesellschaftlich geltenden Geschlechterhierarchie und dem Druck und der Überforderung, der sie im Laufe ihres Heranwachsens ausgesetzt sind, indem sie einem "privilegiertes Geschlecht" angehören, es im Ideal verkörpern sollen.

Pohl: "Die durch die Initiation oder auf initiationsähnlichen Wegen erworbene Männlichkeit bleibt aber generell ein permanent bedrohter Zustand, in dessen Zentrum die elementare Angst vor einer weiblichen Kontamination steht." (Pohl 2011). Andererseits ergibt sich aus dieser Initiations- und Definitionsmacht innerhalb einer männlich-weißen Maschinerie, mit ihren Allmacht- und Kontrollphantasien, die bis dato offenbar eben nicht grundlegend erschüttert zu sein scheint, jedoch nicht nur für heranwachsende Jungen ein Problem. Es ist auch generell die Phantasie von völliger Kontrolle, Überwachung, Steuerung und Beherrschbarkeit aller Lebens- und Gesellschaftsprozesse als aus einem maskulinistisch angelegten Männlichkeitskonstrukt gespeist denkbar, das uns letztlich alle betrifft. Wohlgemerkt können prinzipiell auch Frauen diesem Muster folgen.

Stabilität durch totale Herrschaft?

Die wahrnehmbaren, nur scheinbar unzusammenhängenden, Problemfelder reichen von irrationaler Anhäufung unvorstellbarer Kapitalsummen, während gleichzeitig Millionen Menschen Hunger und Elend preisgegeben sind, über global installierte Überwachungssysteme, von der Entschlüsselung des Genoms mit dem Ziel der Steuerung von Erbgut und damit der Möglichkeit der Erzeugung bestimmter Menschentypen (und Verhinderung anderer), bis zum dem Versuch der Ersetzung der bisher unersetzlichen Gebärfähigkeit von Frauen durch künstliche Befruchtungstechniken und Maschinen-Uterus-Systeme. So unterschiedliche Themen wie die flächendeckende Versorgung mit Plastikkarten mit ihren Kontrollmöglichkeiten über körperzentrierten Erkennungssysteme, die Prozesse von Ein- und Ausschlussverfahren an Menschen deutlich vereinfachen (werden), Datenüberwachung, Handyortungssysteme, bis zu ferngesteuerten Drohnen, die auf einen kontrollierten Krieg und gezielte Tötungen von Menschen in rechtsfernen Räumen, vom Computer aus, setzen, reicht ein breites Spektrum von Erscheinungen neuer Herrschaftsformen. Eine wirksame demokratische Kontrolle ist hier schwer vorstellbar.

Diese Idee von Herrschaft und Kontrolle kann jedoch nur auf Basis rücksichtloser Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft, der Aushöhlung sozialer Anspruchs- und Sicherungssysteme und der Ausbeutung und Zerstörung der natürlichen Lebensgrundlagen, wie die Verseuchung der Meere und die Zerstörung der klimatischen Voraussetzungen für das gesamte Leben auf der Erde bestehen. Hier ist die Verschränkung von Maskulinismus mit der Vorstellung eines existenziell voraussetzungslosen autonomen Subjektes anzusetzen.

"Kein Subjekt ist sein eigener Ausgangspunkt"

Autonomie kann als eine Phantasie aus der Verleugnung der konstitutiven Beziehungen beschrieben werden. Es geht mit Judith Butler darum zu fragen, wo die Möglichkeiten liegen, diese uns konstituierende Matrix der Macht umzuarbeiten und das Erbe dieser Konstituierung zu rekonstruieren. Sie schlägt daher vor den Begriff des Subjektes umzuarbeiten. Butlers Kritik des Subjekts beinhaltet keine Verneinung oder Nichtanerkennung des Subjekts, sondern eher eine Infrage Stellung seiner Konstruktion. Denn diese Denkstruktur verschleiert (unterschlägt) den Werdungs-Prozess und setzt ein bereits fertiges Subjekt in ein als quasi äußerlich gedachtes Netz kultureller und existenzieller Bedingungen. Diese Unterschlagung lässt offenbar vergessen, dass jedes Subjekt nur in einem komplexen, existenziell abhängigen Werdungs- und Fürsorgeprozess bestehen kann. Sie lässt auch die zerstörerischen Folgen rücksichtslosen Herrschaftsstrebens für die Lebensgrundlagen außer Acht - kurz gefasst in dem weithin bekannten Greenpeace-Aufkleber der 1980er Jahre: "Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet Ihr merken, dass man Geld nicht essen kann."

Männlichkeit(en) und Maskulinismus

Arthur Brittan definierte 1989 den Begriff Maskulinismus als die "Ideologie des Patriarchates", die männliche Dominanz naturalisiere und legitimiere. Diese Definition ist auch auf die Praxis ganz normaler Durchschnittsmännlichkeit(en) anwendbar. Frauen in Beziehungen mit Männern meiden oftmals mögliche "Gefahrenzonen" vollständig oder deuten sie um. Macht-Zonen, die Affirmations- und Unterwerfungs-, aber immer auch Widerstandszonen sind. Alternative Männlichkeiten und egalitär-partnerschaftlich orientierte Männer sind (noch) in der Minderzahl. Maskulinismus äußert sich also nicht immer nur in der extremen Ausprägung von Herabsetzung, direkter Diskriminierung, Gewalt oder Sexismus gegenüber Frauen. Laut Männlichkeitsforscher Rolf Pohl kann er sich auch bei sogenannten neuen Männern in der Form äußern, indem sie Aufmerksamkeit verweigern, hinhalten, Aufgaben vergessen, Bedürfnisse ihrer Partnerin ignorieren. Gleichstellungsrhetoriker also. Dies alles muss sich nicht im Bewusstsein vollziehen oder absichtlich geplant sein. Laut Pohl ist das Problem, dass zu dieser Konstruktion männlicher Identität das unbewusste Bedürfnis, sich aufzuwerten, indem Frauen abgewertet werden, dazu gehört. Sich als einzelner Mann von dieser Konstruktionsvorgabe abzugrenzen, ist nach Pohl sehr schwer. Für das, was nach Pohl in unserer Gesellschaft als männlich gilt, finden sich immer wieder zwei dominante Merkmale: zum einen eine Hierarchie innerhalb der Männergruppe herzustellen - Status- und Rangkämpfe sind für eine männliche Identität sehr wichtig - und zum anderen die Abgrenzung zur Weiblichkeit, die alle Männer in ihrer Überlegenheitsphantasie miteinander vereint.

Krise der Männlichkeit(en)? Schön wär's!

Würde sich eine produktive Krise von "Männlichkeit" abzeichnen, eine Bewegung, die sich selbst-kritisch gegen diese (Selbst-)Herrschaftssysteme wendete, ginge es um nichts Geringeres als um einen Befreiungsakt von Männern gegen Männlichkeitsdiktate und deren inneren und äußeren Zwangsvollzug, der individuell und kollektiv oftmals krisenhafte Verläufe nimmt und zudem ein Leben lang prekär bleibt. Wenn sich Männlichkeit(en) als ebenfalls als (Selbst-)Herrschafts-Unterworfene und als der Herrschaft einer Minderheit von (weißer) Männlichkeit dienende Konstrukte begreifen könnte(n) und sich der Trägerschaft und Ausübung von Herrschaft und deren ökonomischen und politischen Sicherungsstrategien verweigern würde(n), könnte auch die Konstruktion von Männlichkeit gegen Weiblichkeit und deren Unterwerfung aufgebrochen werden. Die Verabschiedung von voraussetzungsfreier (männlicher) Autonomie als einer Verleugnung der konstitutiven Beziehungen, und die Anerkennung der Subjektwerdung als voraussetzungsvolle Werdungs- und Fürsorgeprozesse könnten einen ersten Schritt in Richtung veränderter Relationen und veränderter Geschlechter-Verhältnisse darstellen. Und dann könnten auch jene, zunehmend auch immer mehr Männer betreffende Verluste der "Modernisierung", als Folgen (männlicher) Herrschaftsstrategien auf Männer und Frauen analysiert und verstanden werden, und würden nicht fälschlicherweise so oft den Gleichstellungserfolgen der Frauenbewegung und insbesondere "den Feministinnen" angelastet.


Lesetipps:
Judith Butler (1993): Kontingente Grundlagen: Der Feminismus und die Frage der Postmoderne. In: Benhabib, S. (Hrg.): Der Streit um Differenz. Feminismus und Postmoderne in der Gegenwart. Fischer. Frankfurt, S. 31-57.

Rolf Pohl (2010): Männer - das benachteiligte Geschlecht? Weiblichkeitsabwehr und Antifeminismus im Diskurs über die Krise der Männlichkeit (PDF) In: Mechthild Bereswill und Anke Neuber (Hrsg.): In der Krise? Männlichkeiten im 21. Jahrhundert. Verlag Westfälisches Dampfboot, Münster.


Zur Autorin:

Edith Ertl-Hofinger absovierte ein Studium in Kommunikationswissenschaften und Politikwissenschaften, betreibt Genderforschung und feministische Politik, Aktivistin und Vorstandsfrau der Plattform 20000frauen und Mitfrau der Frauenhetz.


(*) Bei dem im Schattenblick veröffentlichten Artikel handelt sich von um eine von der Autorin erweiterte Fassung des Originalbeitrags.

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 127, 1/2014, S. 10-11
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Dezember 2014