Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → SOZIALES

GENDER/028: Libanon - Mehr Verständnis für sexuelle Minderheiten, doch Diskriminierung bleibt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 26. August 2014

Libanon: Mehr Verständnis für sexuelle Minderheiten - Doch Diskriminierung und Verfolgung gehen weiter

von Mona Alami


Bild: © Mona Alami/IPS

Eine Gay-Party in Beirut
Bild: © Mona Alami/IPS

Beirut, 26. August (IPS) - In einem Land wie dem Libanon sind die Bürgerrechte vor allem den Mächtigen und Wohlhabenden vorbehalten. Das gilt umso mehr für die sexuellen Minderheiten, die nach wie vor Schikanen und Diskriminierung ausgesetzt sind.

Am 9. August fand im 'Hamam Agha', einem populären Bad im angesagten Stadtteil Hamra in der Hauptstadt Beirut, eine Razzia statt. Von den 27 verhafteten Männer sind noch immer 14 Nicht-Libanesen in Haft, obwohl ein Richter ihre Freilassung verfügt hatte, wie Ahmad Saleh berichtet. Saleh engagiert sich für 'Helem', eine Nichtregierungsorganisation, die auf Parlamentsebene für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bi- und Transsexuellen (LGBT) eintritt.


Diskriminierung und Demütigungen

Paragraph 534 der libanesischen Verfassung ahndet "widernatürliche" sexuelle Handlungen mit bis zu einem Jahr Gefängnis. Er begründet sämtliche Razzien gegen die LGBT. 2013 hatten die Sicherheitskräfte einen Nachtclub im Beiruter Stadtteil Dekwaneh durchsucht. Vier Personen wurden verhaftet, als schwul beschimpft und gedemütigt. In einem ähnlichen Fall waren zuvor 36 Männer in Burj Hammoud, einem weiteren belebten Hauptstadtbezirk, in einem Kino festgenommen und Analuntersuchungen unterzogen worden.

Wie Lama Fakih von 'Human Rights Watch' (HRW) berichtet, werden Männer meist auf bloßem Verdacht hin, schwul zu sein, zu solchen Analtests gezwungen. Konkrete Angaben über die Zahl der Betroffenen gebe es nicht, erklärt sie. Diese Tests verstießen gegen internationale Menschenrechtsstandards inklusive gegen des Anti-Folter-Abkommens und des Internationalen Pakts gegen bürgerliche und politische Rechte, die der Libanon ratifiziert hat.

"Obwohl von dem ehemaligen Justizminister Antoine Kortbawi verboten, werden die Analtests nach wie vor von den Sicherheitskräften praktiziert oder angedroht, um Gefangenen ein Geständnis, schwul zu sein, abzuringen", erläutert Saleh. Seit dem von Kortbawi im letzten Jahr verhängten Verbot sind zwei Fälle bekannt geworden, bei denen es zu solchen Übergriffen kam.

Während im Libanon die LGBT weiter für die Abschaffung des umstrittenen Paragraphen kämpfen, konnten sie einige Erfolge erstreiten. Im Januar 2014 wies der Richter Naji El Dahdah vom Jdeideh-Gericht in Beirut eine Klage gegen eine Transsexuelle zurück, der man vorgeworfen hatte, eine gleichgeschlechtliche sexuelle Beziehung mit einem Mann zu unterhalten. Der Richter betonte, dass das Geschlecht einer Person nicht von dem Eintrag ins Personenregister, sondern von der physischen Erscheinung und dem Selbstverständnis der Betroffenen abhänge.

2012 hatte die Libanesische Medizinische Vereinigung eine Direktive erlassen, in der sie ein Ende der Analtests forderte. Die Libanesische Psychiatrische Gesellschaft ließ ihrerseits in einer Mitteilung Anfang 2013 verlauten, "dass die Annahme, Homosexualität sei das Ergebnis von familiären Störungen oder einer unausgeglichenen psychologischen Entwicklung, auf falschen Informationen beruht".

Bereits 2009 hatte Mounir Suleiman, Richter am Batroun-Gericht erklärt, dass einvernehmliche Liebesbeziehungen nicht als widernatürlich zu bezeichnen seien.

Neben den Fortschritten an der rechtlichen Front vollzieht sich auch innerhalb der libanesischen Gesellschaft ein Umdenken. So zeigt sich die Öffentlichkeit dank der Medien und der Kunst- und Kulturschaffenden deutlich liberaler im Umgang mit den sexuellen Minderheiten im Land.


Wirksame Enttabuisierungsversuche

Wajdi und Majdi sind zwei schwule Protagonisten der TV-Komödie 'La Youmal'. Sie konnten die Sichtweise gegenüber LGBT im Libanon nachhaltig verbessern. Auch die TV-Moderatorin Paula Yacoubian hat mit einem Tweet die Rechte von Schwulen gestärkt. Die bekannte libanesische Rockband 'Mashrou' Leila' wiederum sorgte mit ihren Songs für mehr Toleranz. Mashrou' Leila hat im letzten Jahr ihren Film 'Out Loud' über die Gruppenhochzeit von fünf jungen Libanesen gedreht, der jedoch von den libanesischen Zensoren verboten wurde.

"Junge Leute wissen inzwischen mehr über Homosexuelle Bescheid", sagt der Aktivist Ghassan Makarem. Verglichen mit anderen Gesellschaften in Nahost sind die Libanesen viel liberaler, wie eine Umfrage des 'Pew Research Centre' bestätigt. Etwa 18 Prozent der Libanesen vertreten darin die Ansicht, dass Homosexualität gesellschaftlich akzeptiert werden sollte. In Ägypten, Jordanien und Tunesien sieht immer noch eine überwältigende Mehrheit von 94 Prozent Homosexualität als Perversion.

Doch wie Makarem erklärt, werden die LGBT in Libanon trotz aller positiven Veränderungen immer noch diskriminiert. Das gilt besonders für diejenigen, die nicht aus den Wohlstandsfamilien im Lande kommen oder gute Verbindungen vorweisen können. (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/08/the-darker-side-for-gays-in-lebanon/

© IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH

*

Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 26. August 2014
IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 / 54 81 45 31, Fax: 030 / 54 82 26 25
E-Mail: contact@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. August 2014