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GENDER/006: Aswat, Sprachrohr für lesbische Palästinenserinnen (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 108, 2/09

Mein Recht zu leben, zu wählen, zu sein
Aswat, Sprachrohr für lesbische Palästinenserinnen in Israel und den besetzten Gebieten

Von Ulrike Lunacek


"Die Suche nach adäquater Terminologie für Anliegen von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, TransGender, Queers und Intersexuellen (LGBTQI) in der arabischen Sprache führt uns in ein Vakuum", beschreiben die Mitarbeiterinnen der Organisation Aswat auf ihrer Homepage eines der Probleme, mit denen sie sich herumschlagen müssen. Und auch wenn Sexualität - und noch mehr sexuelle Orientierung - aus der Tabuzone herausgeholt ist, so wird sie als beschämende oder sogar mit Schande verbundene Abweichung von der Norm in einer demütigenden Art und Weise diskutiert. Im Folgenden ein Beitrag zu den Bemühungen der Aswat-Aktivistinnen zur Sichtbarmachung und Solidarisierung palästinensischer Lesben.


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Für lesbische Palästinenserinnen ist ein vitaler öffentlicher Diskurs, der ideologisches Bewusstsein und politische Selbstbehauptung sowie Selbstverständlichkeit schafft, nicht verfügbar. Daher steht nur eine der Frauen, die in und für Aswat arbeiten, voll und ganz offen zu ihrem Lesbischsein.


Stufen der Sichtbarmachung

Die meisten der Frauenorgtnisationen in der arabischen Welt beschäftigen sich nicht mit der Sexualität von Frauen, und schon gar nicht mit lesbischer Sexualität, denn "sie haben Angst, ihre Legitimität gegenüber dem männlichen Mainstream und ihre Möglichkeit zu Verhandlungen über den Status der arabischen Frauen zu verlieren", so Aswat.

Aswat ist also eine der ersten feministischen Organisationen, die auf die Bedürfnisse der palästinensischen LGBTQI-Personen in Israel und den besetzten Gebieten abzielt. Aufklärung, Vertretung, Sichtbarkeit und mediale Präsenz sind nur ein paar der Instrumente, mit denen die Frauen arbeiten - wobei die Frage der Sichtbarkeit stufenweise angegangen wird: G. berichtete vergangenen Herbst, als sie bei der ILGA-Weltkonferenz in Wien anwesend war und den von mir gestifteten GO Visible Award für Aswat erhielt, dass der erste Schritt schon der ist, wenn eine Frau bei Aswat anruft und zum ersten Mal über die Schwierigkeiten ihres lesbischen Lebens in ihrer Familie spricht. Den zweiten Schritt macht sie dann, wenn sie zu einem der Treffen von Aswat kommt und dadurch ihr Selbstbewusstsein stärkt und Strategien für mehr Sichtbarkeit in ihrer Familie und in ihrem beruflichen Umfeld entwickeln kann. Da ist die öffentliche Sichtbarkeit, etwa Medienpräsenz mit eigenem Namen und einem Foto dazu, oft noch in weiter Ferne.


Austausch mit der jüdischen Community

Rund 50 palästinensische LGBTQI-Frauen gehören Aswat heute an. Bis zur Gründung suchten palästinensische Lesben (die ja, wenn sie in Israel leben, meist israelische Staatsbürgerinnen sind und fließend Hebräisch sprechen) Information, politische Aktivität und ideologischen Austausch innerhalb der jüdischen LGBTQI-Community. So wichtig diese sind, so sehr sind sie oft "farbenblind" - soll heißen, dass sie kulturelle und ethnische Unterschiede nicht ansprechen und daher für arabische Israelis keinen Bezug zu ihrem spezifischen arabischen Umfeld herstellen. Und natürlich haben auch die fortgesetzte Besatzung der palästinensischen Gebiete sowie der jüngste Gaza-Krieg ihre Spuren hinterlassen: Es ist schwieriger geworden, gemeinsame Aktivitäten zu setzen, auch in der lesbischwulen Community. Außerdem haben viele Lesben (und selbstverständlich auch Schwule) - besonders jene, die in der Westbank und im Gazastreifen leben - mit Ausgangssperren, Checkpoints und anderen massiven Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit zu tun. "Wir bei Aswat anerkennen dennoch die Möglichkeiten und die große Kraft, die darin liegt, mit jüdischen gesellschaftsverändernden Bewegungen zusammenzuarbeiten, besonders mit Organisationen, die sich für die Rechte der LGBTQI-Community einsetzen und als Ziel eine multinationale und multikulturelle Gesellschaft haben", schreiben die Aswat-Frauen.


Von der virtuellen Plattform zur starken Organisation

Die Idee, eine solche Organisation zu etablieren, entstand bereits 2002: Die zuerst nur virtuelle Plattform für palästinensische "gay women" war so auch der erste sichere Raum in der palästinensischen Community in Israel und den besetzten Gebieten. Das erste Treffen der an der Plattform beteiligten Frauen fand dann 2003 statt; die Email-Liste, die dem Austausch diente, blieb lange das Kernstück der Vernetzung (und ist es nach wie vor); wichtig dabei waren vor allem die Möglichkeit der Artikulation von Bedürfnissen und Anliegen, der Ausdruck von notwendigen Änderungen und der Austausch zwischen den Frauen selbst. In einer Gesellschaft, in der viele meinen, dass Homosexualität das Ergebnis von westlichem Einfluss ist, und die darauf abzielt, die Grundlagen der arabischen Gesellschaft und ihrer Kultur zu schwächen, braucht es starke Frauen und starke Verbündete, um die Grenzen von Scham, Schande, Angst und tatsächlicher Bedrohung zu überwinden, erzählte mir G., als sie letzten Herbst in Wien war. Es geht um die Unterstützung von Frauen, die Hilfe brauchen; die Schaffung einer Atmosphäre, in der sich die Betroffenen ungezwungen und frei in ihrem Handeln fühlen. Aswat versucht das feministische Verständnis zu fördern und andere Gruppen zu unterstützen, den Konflikt zwischen nationalen, ethnischen, kulturellen und geschlechtlichen Bruchlinien zum Thema zu machen. Dabei ist das Üben von Kritik an den bestehenden Verhältnissen schwierig, jedoch sehr wichtig: Dafür bietet Aswat Beratung an, die Möglichkeit des Austausches, den Aufbau der Community und leistet dabei Pionierarbeit betreffend Aufklärung, Betreuung und Krisenbewältigung mit den und durch die Betroffenen.

Ganz wichtig ist für Aswat die Publikationstätigkeit in Arabisch: gerade in dieser Sprache soll die Öffentlichkeit erreicht werden, um die Bereiche Gender, Sexualität etc. breitenwirksamer zum Thema zu machen. Aswat ist eine von wenigen weltweiten Organisationen, die Informationsmaterial zu LGBTQI-Themen in Arabisch anbieten.

Im Jahr 2008 nahm Aswat an der nationalen, feministischen Konferenz teil, welche zum ersten Mal in Nazareth stattfand; Aswat war auch an der Organisation und Durchführung der Konferenz beteiligt und konnte dadurch die Anliegen der lesbischen Frauen sichtbarer machen - dadurch spricht sich die Arbeit von Aswat herum und noch mehr betroffene Frauen können erreicht werden und bei Aswat Hilfe und Unterstützung finden. Auf globaler Ebene bemühte sich Aswat vor allem um Sichtbarkeit palästinensischer bzw. arabischer lesbischer Frauen. Die weltweite Vernetzung stärkt auch die Frauen von Aswat, die in ihrer eigenen Gesellschaft ständig Feindseligkeiten ausgesetzt sind. Aswat kooperiert mit Ministerien, StudentInnenvereinigungen und anderen NGOs. Das ist insofern von großer Wichtigkeit, weil es der Arbeit von Aswat mehr Gewicht verleiht.


Mehrfachdiskriminierung

Was Aswat von anderen LGBTQI-Organisationen unterscheidet, ist, dass es sich um Frauen handelt, die von Mehrfachdiskriminierungen betroffen sind: patriarchal-konservative Strukturen in einem Land, in dem sie einer ethnischen Minderheit angehören - noch dazu einer, von denen viele Familien in den besetzten Gebieten leben und der Kontakt dadurch massiv erschwert wird. Vor allem am 17. Mai, dem Internationalen Tag gegen Homophobie, sind die Aswat-Frauen besonders aktiv: Sie nutzen die Internationalität dieses Tages, um auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Ihr Kampf gilt den Tabus in ihrer Gesellschaft und richtet sich gegen die allgemeine Ansicht, weibliche wie männliche Homosexualität seien eine Perversion, eine Krankheit, eine Schande für jede Familie und für jedes Individuum.

"Sie zeigen mit Fingern auf uns und halten uns für geistig und körperlich krank. Sind wir dafür verantwortlich zu machen oder unsere Gesellschft? Wir sind die Töchter und Söhne unserer Gesellschaft, die uns Werte wie Respekt und Akzeptanz beibringen wollte. Genau deshalb werden wir unseren Kampf für unsere Rechte weiterführen. Und wir hoffen, dass unsere arabische Gesellschaft unseren Kampf für gleiche Rechte akzeptieren wird und uns Respekt für unsere Fähigkeit zu lieben, auch unter widrigen Umständen, zollen wird."

Das Motto von Aswat, auf Buttons, Pickerln und T-Shirts zu sehen, heißt: "My right to live, to choose, to be". Mit diesem Motto haben die Frauen von Aswat es schon jetzt geschafft, in der für viele Lesben düsteren palästinensischen Realität ein Lichtblick und meinungsbildend zu sein bei der Veränderung ihrer Gesellschaft hin zu mehr Akzeptanz und gegen Vorurteile.

Webtipp:
www.aswatgroup.org/english/


Zur Autorin:
Ulrike Lunacek ist Spitzenkandidatin der Grünen für die Europawahl und Vorsitzende der Europäischen Grünen Partei sowie Obfrau der Frauensolidarität.


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 108, 2/2009, S. 8-9
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
Berggasse 7, 1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
Telefax: 0043-(0)1/317 40 20-355
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
http://www.frauensolidaritaet.org

Die Frauensolidarität erscheint viermal im Jahr.
Einzelpreis: 5,- Euro;
Jahresabo: Inland 20,- Euro; Ausland 25,- Euro.


veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2009