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FRAUEN/658: Hört auf, uns zu töten! (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 137, 3/16

Hört auf, uns zu töten!

Eine Offensive des Netzwerks der Schwarzen Frauen Bahias

von Silvia Jura


In den ersten drei Monaten 2016 wurden in Bahia 9.795 Fälle von Gewalt gegen Frauen registriert. Dabei handelt es sich um Mord, Mordversuch, schwere Körperverletzung, Vergewaltigung oder schwere Bedrohung. Die Opfer sind mehrheitlich Schwarze Frauen, Täter zu mehr als 50 % Verwandte bzw. Partner. Erfahren Sie mehr, wie sich die Rede de Mulheres Negras da Bahia dagegen wehren.


Während Brasilien schon auf den traurigen Rekord von jährlich 30.000 Morden an vorwiegend schwarzen, jungen Männern verweisen kann, liegt es weltweit auch am fünften Platz der Femizide. Jeden Tag sterben 15 Frauen, nur weil sie Frauen sind, 500.000 werden pro Jahr vergewaltigt - doch davon kommen nur 10 % zur Anzeige.


"Null Toleranz für Gewalt gegen Frauen"

Das war der Leitspruch von Präsidentin Dilma Roussef, die den herrschenden Machismo offen kritisierte und 2015 das Gesetz gegen Femizide verabschiedete. Doch trotz vorbildlicher Gesetzgebung wie Lei Maria da Penha und trotz eigener Frauenkommissariate nimmt die Gewalt gegen Frauen ständig zu. Diese Tendenz wird durch die aktuelle Putschistenregierung verstärkt. Unter Interimspräsident Michel Temer heißt es: keine Rechte für Frauen, Schwarze und Arme. Konservativer Rechtsruck, sozialer Backlash und noch mehr Polizeigewalt sind nun angesagt.


Lebensrealitäten verändern!

Viele Schwarze Frauen, die in Bahia die Bevölkerungsmehrheit bilden, sterben täglich an nicht enden wollenden Missständen. Die hohe Müttersterblichkeit betrifft zu 60 % Schwarze Frauen, das rigorose Abtreibungsverbot fordert unzählige Opfer unter ihnen. Unzureichende Brust- und Gebärmutterkrebsvorsorge, schlechte Gesundheitsberatung, verkommene Frauengefängnisse, Vertreibung von den eigenen Quilombo-Ländereien, Angriffe auf afrobrasilianische Kultplätze, psychologische Erniedrigungen ... Gewalt, Vernachlässigung, Nichtwahrnehmung und institutioneller Rassismus bestimmen den Alltag der Schwarzen Frauen. Sie bilden die untere Basis der sozialen Pyramide, sind ausgeschlossen von gleichberechtigter, gesellschaftlicher Partizipation.

So rufen nun die Schwarzen Frauenorganisationen auf, endlich selbst zu handeln. Mit der auf drei Jahre angelegten Kampagne "Hört auf, uns zu töten!" sollen die Missstände sichtbar und Veränderungen herbeigeführt werden. Das Bedürfnis nach einem eigenen Schwarzen Feminismus, auch zur Artikulation innerhalb der Schwarzen Bewegung, wird immer stärker. Das Netzwerk mobilisierte 2015 bereits 40.000 Frauen aus ganz Brasilien für einen Marsch nach Brasilia, der von Workshops, Diskussionen und Seminaren begleitet wurde. Im Juli 2016 formierten sie sich zur Rede de Mulheres Negras da Bahia.

Generalsekretärinnen sind die Universitätsangehörige Suely Souza Santos und die Sozialarbeiterin Tânia Palma, eingebettet in ein hochkarätig besetztes Komitee, dem Universitätsangehörige, Künstlerinnen, Gesundheitsarbeiterinnen, Psychologinnen und viele erfahrene Aktivistinnen angehören, darunter auch die Generalvolksanwältin von Bahia, Vilma Reis.

Die staatlichen Universitäten von Bahia, die Volksanwaltschaft, ebenso wie UNICEF-Organisationen oder lokale und regionale Frauenorganisationen sind bereits Teil des ständig wachsenden Netzwerks. In den nächsten drei Jahren soll die Bewusstseinskampagne mit starker sozialer Mobilisierung die Herbeiführung von politischer Veränderung ermöglichen, um endlich die Gleichstellung für Schwarze Frauen zu erreichen!


Zur Autorin:
Silvia Jura ist Kultur- und Sozialanthropologin mit Schwerpunkt Brasilien. Sie lebt als freie Kulturschaffende zwischen Salvador/Bahia und Wien und ist u. a. im Koordinationsteam der NGO-Initiative Nosso Jogo aktiv.
Mehr Informationen zu ihr und ihrer Arbeit unter:
www.globalista.net, www.silvias.net

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 137, 3/2016, S. 29
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
Sensengasse 3, A-1090 Wien,
Telefon: 0043-(0)1/317 40 20-0
E-Mail: redaktion@frauensolidaritaet.org,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Dezember 2016

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