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FRAUEN/628: Asiatischer Feminismus (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 135, 1/16

Asiatischer Feminismus

Feminismen in Theorie und Praxis in China und Taiwan

von Astrid Lipinsky


Wie wird Feminismus in Ostasien definiert und praktiziert? Feminismus wird einerseits als eurozentrisches Modell angesehen. Die Identifikation damit bietet eine Möglichkeit, sich von herrschenden Politiken abzugrenzen und als regierungskritisch zu positionieren. Andernorts wird das Konzept angeeignet und Feministin als Ehrentitel verwendet. In dem Artikel erfahren Sie mehr über Hintergründe und Diskussionen rund um Feminismen in Ostasien.


"Progressiv, tolerant, divers" - und feministisch, so beschreibt der Journalist Simon Denyer, die am 16. Jänner neu gewählte Präsidentin und das gleichzeitig neu gewählte Parlament von Taiwan. Im Parlament sind 43 von 113 Abgeordneten Frauen: 38 % ist ein hoher Frauenanteil in Ostasien (China 23,6 %, Japan 9,5 %, Südkorea 13,8 %). Und dabei wird Taiwans neue Präsidentin weder als charismatisch noch als attraktiv beschrieben, sondern als typischer universitärer Bücherwurm. Sie ist auch nicht die Tochter, Ehefrau oder Witwe eines politischen Führers. Präsidentinnen kennt Asien - sie sind üblicherweise Teil von etablierten politischen Dynastien, die von Männern dominiert sind.

Während die Mehrheit der Bevölkerung in Taiwan sich eine Präsidentin wählt, schließt in Beijing die Regierung nach 20 Jahren das "Beijing Zhongze Women's Legal Counselling and Service Centre", eine im In- und Ausland anerkannte NGO. Beijing Zhongze, gegründet 1995, war bis 2010 Teil der Beijing University, die das Zentrum "aus administrativen Gründen" ausschloss und ihm damit den Schutz einer renommierten Universität entzog.

Guo Jianmei, die Direktorin von Beijing Zhongze, erstritt für Frauen Rechte in zahlreichen Gerichtsfällen: bei häuslicher Gewalt, beim Streit um Landeigentum und gegenüber diskriminierenden Arbeitgeber_innen. Dafür liebten und unterstützten ausländische Feminist_innen sie. Es heißt, dass die internationale Vernetzung ein wichtiger Grund dafür war, Beijing Zhongze zu schließen. Die NGO erhielt keine Unterstützung mehr in China und war deshalb abhängig von ausländischer Projektförderung. Diese feministische Solidarität über Landesgrenzen hinweg gilt in China als Landesverrat.


"Feminismus" als westliches Konstrukt

"Wahlen" genauso wie "Feminismus" seien ohnehin eine westliche Erfindung. Weshalb Feminismus, so meinen manche, nicht nach Asien passe und in China sogar potenziell strafbar ist - wir erinnern uns an die "Feminist 5", die im März 2015 in China verhaftet wurden. Feminismus gilt bei vielen Chines_innen als westliches, eurozentrisches Konzept und als kolonialistische Abwertung von nichteuropäischen weiblichen Erfahrungen und Kulturen.

Feminismus erhebe Anspruch auf universelle Geltung, passe aber nicht in nichtwestliche Gesellschaften. "Feministisch sein" wird gerade deswegen zur Abgrenzung vom offiziellen, staatstreuen oder staatseigenen China genutzt. So verwendet der Chinesische Frauenverband, neben der Einheitsgewerkschaft und der Jugendliga, eine der drei in Verfassung und Statut der Kommunistischen Partei verankerten wichtigsten chinesischen Massenorganisationen, den Begriff "Feminismus" nicht und definiert sich selbst nicht als feministische Organisation.


Umdeutung von Feminismus

In Taiwan tragen Frauen den Ehrentitel der "Feministin" gerne und outen sich damit als modern, progressiv und international. China hat hingegen die Chance verpasst, sich den Begriff des "Feminismus", uminterpretiert in ein chinesisches Verständnis, anzueignen. Während China alljährlich lange Berichte "zur Lage der Menschenrechte" veröffentlicht, bleiben Begriffe wie "Gender" oder "feministisch" dort einfach nur fremd.

Wenn Feminismus ein westliches Konstrukt ist, dann muss er an lokale Erfordernisse angepasst werden, d. h., es braucht einen eigenen asiatischen Feminismus. Der in Taiwan real praktizierte Feminismus ist hochpolitisch und auf die - aus Beijinger Sicht - antichinesische Gegenseite abgewandert. Die neu gewählte taiwanesische Regierung unter Präsidentin Tsai Ying-Wen wird international (natürlich nicht in China) als volksnah, LGBT-freundlich und als feministisch gelobt! Feministisch nicht etwa, weil Präsidentin Tsai aus der Frauenbewegung käme (tut sie nicht), sondern weil sie aus dem Volk kommt, ohne Beziehungen zur etablierten politischen Kaste. Deshalb verspricht ihre Regierung, demokratisch, divers, partizipativ und feministisch zu werden.


Feminismus und asiatische Werte

Dem Feminismus wird in Asien häufig vorgeworfen, er sei individualistisch und fokussiere sich ausschließlich auf rechtliche Fragen. Beides sei nicht kompatibel mit dem asiatischen harmonieorientierten Kollektiv. Daher wird versucht, einen asiatischen Feminismus auf konfuzianischer Basis zu entwerfen, wozu es eine Reihe von wissenschaftlichen Aufsätzen gibt. Das Bemühen passt auch gut zum aktuellen Revival des Konfuzianismus: China ist bemüht, mit konfuzianischer Pietät und kindlicher Dienstbarkeit das nicht existente Rentensystem zu ersetzen. Südkorea betrachtet sich als den eigentlichen Erben von Konfuzius.

Konfuzius selbst hatte proklamiert, sich weder mit Frauen noch mit Geistern beschäftigen zu wollen. Die Protagonist_innen des asiatischen Feminismus bestätigen das zwar, finden es aber nicht wichtig. Vielmehr warnen sie, der westliche Feminismus sei einseitig, blind und männerfeindlich. Asiatischer Feminismus müsse stattdessen einfach die Frauenrolle aufwerten. Ja, genau: Die Mutter-, Hausfrauen- und Haushaltsrollen von Frauen seien mehr wert und höherrangig (bezahlt allerdings nicht) als die Männerrollen im öffentlichen Raum. Außerdem beweise das Beispiel von Mulan, der guten Tochter, die in Männerkleidern den Militär- und Kriegsdienst ihres kranken Vaters übernahm, dass der konfuzianischen Feministin der öffentliche Raum durchaus offen stehe (allerdings nur in Männerkleidern).

Westlicher Feminismus vereinzele, während der konfuzianisierte asiatische Feminismus der Einbettung einer_s jeden in ein Beziehungsnetz Priorität gebe. Dabei wird großzügig übersehen, dass Konfuzius auf hierarchische Beziehungen setzte: Junge gehorchen Alten, Frauen gehorchen Männern, Angestellte gehorchen dem/r Chef_in und der jüngere Bruder dem älteren. Nur Freunde begegnen sich auf gleicher Augenhöhe, aber auch Freundschaften werden in Asien nach dem Alter hierarchisiert. In einem Netzwerk sind Frauen immer nur Gast oder Newcomer: Die Tochter ist in ihrer Familie Gast bis zur Heirat, mit der Heirat in das Haus/Dorf/die Community des Mannes ist sie die außenstehende Neue.

Und wie steht es mit ihren Rechten, wenn der Mann gewalttätig wird? Wieso ist es nicht feministisch, wenn geschlagene Frauen sich in Taiwan des entsprechenden Gesetzes (von 1998) bedienen und vor Gericht ihre Rechte beanspruchen? Übrigens: Japan, Korea und Taiwan haben Gesetze gegen häusliche Gewalt. China nicht.

Der vergleichende Blick auf Taiwan und auf China zeigt: Feminismus ist international und in Asien präsent. Und schließlich: Feminismus muss wieder politischer werden, vor allem im Zusammenhang mit den Rechten von Frauen. Und dass Frauenrechte Menschenrechte sind, wurde 1993 in Wien (2. UN-Weltmenschenrechtskonferenz) festgeschrieben.


Zur Autorin: Astrid Lipinsky leitet das Wiener Zentrum für Taiwanstudien und gibt die Vienna Taiwan Studies Series heraus. Sie lebt in Wien.

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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 135, 1/2016, S. 18-19
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. April 2016

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