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FRAUEN/535: Arabische Welt - Frauen in jeglicher Hinsicht abgehängt (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. März 2014

Arabische Welt: Religiöse Argumente politisch missbraucht - Frauen in jeglicher Hinsicht abgehängt

von Thalif Deen


Bild: © Giuliana Sgrena/IPS

Frauen in Tunis demonstrieren für ihre Rechte
Bild: © Giuliana Sgrena/IPS

New York, 10. März (IPS) - In weiten Teilen der arabischen Welt ist es mit der Gleichberechtigung der Frau nicht besonders weit her. Ob in politischer, wirtschaftlicher oder sozialer Hinsicht - bis zum großen Ziel der Geschlechtergerechtigkeit sei es ein langer und steiniger Weg, erklärten Expertinnen anlässlich der Jahrestagung der Kommission der Vereinten Nationen für die Rechtsstellung der Frau (CSW).

Auf dem Arbeitsmarkt sind arabische Frauen nach wie vor die Schlusslichter, und sowohl in Nahost als auch in Nordafrika kann von politischer Partizipation keine Rede sein. Als möglicherweise einzige Ausnahme nannte Lakshmi Puri, Vizeexekutivdirektorin der Weltfrauenorganisation 'UN Women', Algerien. Dort halten Frauen inzwischen 30 Prozent der Parlamentssitze.

Mit einem Durchschnittswert von zwölf Prozent hinken die arabischen Länder dem ebenfalls niedrigen internationalen Durchschnittswert von 20 Prozent noch um einiges hinterher. Die Ursache des Problems lasse sich nicht allein auf traditionelle und religiöse Faktoren zurückführen, erklärte sie. Auch wenn stereotype Rollenbilder und überholte soziale Normen einen erheblichen Beitrag zur Diskriminierung der Frau leisteten, gebe es eine Reihe weiterer Faktoren, die nicht außer Acht gelassen werden dürften.

Im IPS-Interview betonte sie die Bedeutung, die dem Zugang zu und der Qualität von Bildung und vor allem qualitativ hochwertiger Bildung, den Möglichkeiten, Familie und Berufstätigkeit sowie politisches Engagement unter einen Hut zu bekommen und den Erfolgen, Frauen vor Gewalt zu schützen, zukämen.

Auch auf der CSW-Tagung vom 10. bis 21. März in New York wird die beschämend niedrige Teilhabe von Frauen in Politik, Wirtschaft und sozialem Leben thematisiert. Die Kommission ist das wichtigste zwischenstaatliche Entscheidungsgremium zu Fragen der Geschlechtergleichheit und Genderfortschritten. Diesmal wird sich die Tagung mit den Herausforderungen und Errungenschaften befassen, die im Rahmen der im Jahr 2000 beschlossenen Millenniumsentwicklungsagenda für Frauen und Mädchen erzielt werden konnten.


Konservative Kräfte am Werk

Sanam Anderlini, Mitbegründerin des zivilgesellschaftlichen Netzwerks ICAN und Wissenschaftlerin am Zentrum für internationale Studien am Technologieinstitut in Massachusetts (MIT), ist zwar der Meinung, dass kulturelle und religiöse Werte die geringe Partizipation der Frau im politischen und wirtschaftlichen Leben arabischer Länder mitverschuldet haben, doch noch schwerer wiege die politische Entwicklung der letzten 30 Jahre und insbesondere der letzten Dekade, die ihrer Meinung nach eine Welle besonders konservativer Kräfte in der Region mit sich gebracht hat. "Wir sollten nicht vergessen, dass Ägypten bereits im 19. Jahrhundert eine Frauenbewegung vorzuweisen hatte".

Puri listete eine Vielzahl von Hindernissen auf, die der Chancengleichheit für Frauen und Mädchen im Wege stehen, Dazu gehören ein konservatives Familienrecht, eine parallele traditionelle Rechtsprechung oder Gesetze, die Frauen das Recht auf Eigentum oder Erbschaft absprechen. Auch der fehlende Zugang zu Familienplanungsdiensten, Polygamie, Kinderehen und die Benachteiligung der Frau bei Eheschließung und Scheidung dürften nicht außer Acht gelassen werden.

Der führenden UN Women-Vertreterin zufolge ist es wichtig, Fehlinterpretationen religiöser der kultureller Schriften, die den Mythos von der vererbten Ungleichheit zwischen Mann und Frau verbreiten, gegenzulenken. Wie UN Women und viele religiöse und zivilgesellschaftliche Organisationen seit langem betonen, wurde die Gleichheit der Geschlechter in der arabischen Welt bereits vor vielen Jahrhunderten vorangebracht.

Puri ist der Meinung, dass es Aufgabe des Staates in Zusammenarbeit mit anderen gesellschaftlichen Akteuren ist, das erforderliche Umfeld zu schaffen, das die Partizipation von Frauen in allen Sphären des Lebens erst möglich macht.

Anderlini zufolge sind in der arabischen Welt ebenso wie in allen anderen Teilen der Welt unterschiedliche Kräfte am Werk, die ihre Interessen durchsetzen wollen. Doch in der arabischen Welt seien konservative Kräfte bemüht, die in der Vergangenheit erzielten Erfolge rückgängig zu machen.

"Diese Kräfte verunglimpfen 'Frauenrechte' als unmoralisch und 'westlich'. Dahinter steckt jedoch ein politisches Bestreben. 'Kulturelle' und 'religiöse' Werte werden vorgeschoben", so Anderlini, die im letzten Jahr in die Arbeitsgruppe für Frauen und Inklusion des Nachhaltigkeitsnetzwerks für die Post-2015-Wirtschaftsagenda berufen worden ist.


Instrumentalisierung des Islam

Wie sie weiter erklärt, sieht der Islam für Frauen und Männer gleiche Bildungschancen, gleiche Bezahlung, Erbschaftsrechte und das Recht, am öffentlichen Leben zu partizipieren, vor. "Doch stattdessen werden extreme Interpretationen des Islam vertreten, die vielleicht in Saudi-Arabien, aber niemals in Ägypten, Tunesien oder im Libanon verwurzelt waren", warnt sie.

Um gerade arabischen Frauen zu politischer, wirtschaftlicher und sozialer Gleichheit zu verhelfen, bedarf es Puri zufolge einer Vielzahl von Interventionen auf unterschiedlichen Ebenen. Zunächst müssten die Landesverfassungen und Gesetze sowie die traditionellen und staatlichen Rechtssysteme reformiert werden. Dann gelte es das Umfeld zu schaffen, dass der Umsetzung internationaler Frauenrechte und der Anwendung entsprechender Instrumentarien wie dem Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau (CEDAW) und des Pekinger Aktionsplans von 1995 förderlich sei.

Ferner müssten die Frauen selbst dazu ermutigt werden, sich beruflich und sozial zu engagieren. Ebenso wichtig seien zeitlich befristete oder besondere Maßnahmen wie die Einführung einer Frauenquote auf allen Ebenen. Ebenso müssten Anstrengungen unternommen werden, Frauen von der alleinigen Familienverantwortung zu befreien. Es gelte für Mutter- und Vaterschaftsurlaub zu sorgen und den Zugang zu Kindertagesstätten zu ermöglichen.

Auch sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und auf der Straße müssten geahndet werden, um dem weiblichen Teil der Weltbevölkerung den unbeschwerten Zugang zum öffentlichen Leben zu gewährleisten. Darüber hinaus müsse man von Denkmustern wegkommen, die Frauen auf ihre Gebärfähigkeit reduzierten. (Ende/IPS/kb/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/03/women-still-walk-two-steps-behind-arab-world/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. März 2014