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FRAUEN/498: Somalia - Kultureller Wandel begünstigt weniger radikale Form der Beschneidung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. Juni 2013

Somalia: Kultureller Wandel begünstigt weniger radikale Form der Beschneidung

von Abdurrahman Warsameh


Bild: © Abdurrahman Warsameh/IPS

Somalische Frauenaktivisten sind gegen jede Form der Beschneidung
Bild: © Abdurrahman Warsameh/IPS

Mogadischu, 20. Juni (IPS) - Die siebenjährige Istar Mumin hat ihn hinter sich, den Schnitt, der vielen Familien in Somalia wichtig ist. "Ich habe Schmerzen und kann mich nicht bewegen", sagt das Mädchen, das daheim auf ihrem Bett im Bezirk Hamarweyne liegt. Im Rest des Hauses herrscht Festtagsstimmung: Verwandte sind gekommen, um Mumins Beschneidung gebührend zu feiern.

Dabei ist die jahrhundertalte Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung (FGM) nach der neuen Landesverfassung verboten. Doch gerade in den ehemaligen Kriegsgebieten im Hinterland ist sie noch weit verbreitet und wird bereits an jungen Mädchen im Alter von fünf Jahren praktiziert. Dahinter steckt der Wunsch der Eltern, ihre Töchter jungfräulich zu verheiraten. Für die meisten Familien ist die FGM ein Grund zur Freude.

Wie das Weltkinderhilfswerk UNICEF in dem Bericht 'Die Ausrottung der weiblichen Genitalverstümmelung in Somalia' warnt, kann sich die weibliche Beschneidung negativ auf das körperliche, seelische und psychosoziale Befinden der betroffenen Mädchen und Frauen auswirken. "Die gesundheitlichen Folgen der FGM sind unmittelbar und lebenslänglich. Trotz der vielen international anerkannten Gesetze, der fehlenden Anerkennung durch den Islam und der globalen Kampagnen zur Beseitigung der Praxis, ist sie fester Bestandteil der somalischen Kultur geblieben."

Wie dem Report weiter zu entnehmen ist, gehören zu den Langzeitkomplikationen weiblicher Beschneidungen der Verlust der Libido, genitale Missbildungen, ein verspätetes Auftreten der ersten Regelblutung, chronische Beckenerkrankungen, immer wiederkehrende Schwierigkeiten beim Urinlassen und Infektionen.


Verfassung spricht von "Folter"

In der neuen somalischen Verfassung wird die FGM als "Folter" bezeichnet. In Artikel 15 Absatz 4 heißt es: "Die Zirkumzision von Mädchen ist eine grausame und degradierende traditionelle Praxis, die mit Folter gleichgesetzt werden kann." Allerdings gibt es kein explizites Gesetz, das die weibliche Beschneidung verbietet, die auch in den städtischen Gebieten nach wie vor verbreitet ist.

Daahir antwortet auf die Frage, warum sie der Beschneidung ihrer Tochter zugestimmt hat: "Der Eingriff ist unserer Religion erlaubt." Der Regierung wird es ihrer Meinung nach nicht gelingen, den Menschen zu verbieten, ihre Religion zu leben. Ihre Tochter sei wie andere Mädchen nach der im Islam beschriebenen Sunna beschnitten worden. Diese Form der FGM sieht die teilweise Entfernung der Klitoris vor. Wie Daahir betont, wurde ihre Tochter zudem von einer professionellen Krankenschwester beschnitten.

Doch auch die Pharaonische Beschneidung wird in Somalia praktiziert: die vollständige Entfernung der Klitoris und der kleinen und großen Schamlippen. Nach dem Eingriff wird die Vaginalöffnung bis auf ein winziges Loch für den Abfluss des Urins zugenäht.

In April hat UNICEF eine Studie veröffentlicht, die auf Interviews beruht, die in der nordsomalischen Region Puntland und im praktisch unabhängigen, international jedoch nicht anerkannten Bundesstaat Somaliland durchgeführt wurden. Demnach sind 75 Prozent der Mädchen im Alter von einem bis 14 Jahren nicht beschnitten. Im restlichen Somalia hingegen wurden 99 Prozent der jungen Mädchen einer solchen Prozedur unterzogen.

Ein Grund, warum im Norden Somalias die FGM an Boden verloren hat, könnte die relative politische Stabilität sein, die diese Region in den letzten Jahrzehnten genossen hat. Anders als in den Bürgerkriegsgebieten Somalias konnten dort Sensibilisierungs- und Aufklärungskampagnen durchgeführt werden.

Die Haltung gegenüber der weiblichen Beschneidung hat sich offenbar in ganz Somalia verändert. Doch Aktivistinnen berichten, dass sich der kulturelle Wandel lediglich auf die Durchführung weniger radikaler FGM-Formen wie die Sunna beschränkt. Somalier lassen generell nicht von der Beschneidung der Mädchen ab, wohl aber von der Pharaonischen Beschneidung, so Halimo Ali, eine Sozialaktivistin aus Mogadischu.


Pharaonische Beschneidung "unislamisch"

Sheikh Omar Ali ist ein islamischer Religionsführer in Mogadischu, auf den die Menschen hören. Wie er erklärt, gibt es nur eine einzige Form der weiblichen Beschneidung, die im Islam erwähnt wird: die Sunna. "Die Pharaonische Beschneidung stammt aus vorislamischer Zeit und ist somit unislamisch", sagt er gegenüber IPS.

"Die Menschen wissen inzwischen um die negativen Folgen der extremen Form der FGM für Frauen und Mädchen und tendieren deshalb zur Sunna-Beschneidung. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, auch wenn wir selbst ganz andere Ziele verfolgen", meint Raho Qalif, eine Lehrerin in Mogadischu, im IPS-Gespräch.

Sunna sei inzwischen ein Trend, der die Praxis der Beschneidung langfristig aus der somalischen Kultur verdrängen könnte, ist sie überzeugt. "Jeder in Somalia weiß, dass die extreme Form der FGM in Somalia verpönt ist, und Frauen, die einer Sunna-Beschneidung unterzogen wurden, sind in Somalia als Ehefrauen begehrt", berichtet Qalif. (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.unicef.org/somalia/SOM_FGM_Advocacy_Paper.pdf
http://www.ipsnews.net/2013/06/somalias-cultural-shift-means-less-severe-form-of-fgm/

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IPS-Tagesdienst vom 20. Juni 2013
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. Juni 2013