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FRAUEN/454: Jemen - Florierender Menschenhandel mit Migrantinnen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 3. Januar 2013

Jemen: Florierender Menschenhandel mit Migrantinnen

von Rebecca Murray


Aisha und ihr Kind - Bild: © Rebecca Murray/IP

Aisha und ihr Kind
Bild: © Rebecca Murray/IP

Aden, Jemen, 3. Januar (IPS) - Die Somalierin Aisha ist 21 Jahre alt, doch das viele Leid, das sie bisher erfahren hat, reicht für ein ganzes Leben. Mit 17 drohte ihr die eigene Familie mit Ehrenmord, weil sie ein außereheliches Kind bekam. Sie träumte von einem Neuanfang in einem fremden Land und schloss sich Menschenschmugglern an, die sie und ihr Kind im Boot in den Jemen brachten.

Den Indischen Ozean hat sie zwar bezwungen, doch den Traum von einem besseren Leben hat sie inzwischen ausgeträumt. Heute lebt Aisha, die in Wirklichkeit anders heißt, mit vier weiteren Schicksalsgenossinnen im Slum von Basateen im ostjemenitischen Seehafen Aden. Tag für Tag verlassen die Frauen das Haus, um betteln und anschaffen zu gehen. Einen Teil ihrer mageren Einkünfte müssen sie an ihren Zuhälter abgeben. "Alles, was ich wollte, war ein sicherer Ort für mein Kind", meint Aisha.

Der Jemen ist zu einem Tummelplatz international operierender Schlepperbanden geworden, und da Armut den Wunsch vieler Menschen beflügelt, ihr Heimatland zu verlassen, ist der Nachschub an Opfern für den Menschenhandel unerschöpflich. Vor allem Frauen laufen Gefahr missbraucht, misshandelt oder - wie im Fall einer 17-jährigen Äthiopierin - getötet zu werden. Das Mädchen, das vor seinem Tod mehrfach vergewaltigt und geschlagen worden war, starb in einem Krankenhaus in Haradh nahe der saudischen Grenze.

"In den letzten beiden Jahren haben Menschenhandel, Gewalt und Übergriffe gegen Migranten deutlich zugenommen", bestätigt Edward Leposky vom UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR). Allein 2011 hatte das Hilfswerk die Ankunft von mehr als 103.000 Migranten im Jemen registriert. Die Dunkelziffer dürfte beträchtlich höher sein.


Gefährliche Reise

Unter den Migranten sind viele Äthiopierinnen und Somalierinnen, die Hunderte von Dollar aufbringen, um die Transitpunkte in Dschibuti oder Puntland zu erreichen und die bis zu drei Tage dauernde Seereise in kleinen Booten in Richtung Jemen anzutreten. Ihr eigentliches Ziel sind meist die Golfstaaten. Doch häufig werden die Frauen noch während der Reise vergewaltigt, von den Schmugglern über Bord geworfen oder gleich bei ihrer Ankunft auf jemenitischem Boden Menschenhändlern übergeben.

Die Opfer stammen in der Regel aus Ländern am Horn von Afrika, wie Eman Mashour von der Internationalen Migrationsorganisation (IOM), bestätigt. "Es existiert ein Netzwerk, und Frauen werden aufs Schlimmste ausgenutzt. Einige haben uns erzählt, dass sie den Schleppern bereits auf der Überfahrt sexuell gefügig sein mussten."

Das ganze Ausmaß des Problems geht aus einer Untersuchung ('Desperate Choices') des Dänischen Flüchtlingsrats (DRC) und des Regionalbüros für Mischmigration (RMMS) hervor. "Kriminelle Netzwerke umspannen Äthiopien, den Jemen, Dschibuti und Saudi-Arabien", heißt es darin. "Es sieht ganz danach aus, als hätten diese Gangs Kontakte in anderen Ländern."

Doch nicht alle Opfer des Sexhandels sind Migrantinnen. Aus dem US-Außenamtsbericht über den Menschenhandel geht hervor, dass bereits 15-jährige Jemenitinnen in Hotels und Clubs in Sanaa, Aden und Taiz als Sexarbeiterinnen missbraucht würden.

Die Nachfrage nach Kinderprostituierten im Jemen wird dem Report zufolge vor allem von saudischen Sextouristen in die Höhe getrieben. Jemenitische Mädchen, die mit Saudis verheiratet würden, seien sich gar nicht im Klaren, dass die Verbindung von kurzer Dauer sein könne und der sexuellen Ausbeutung diene. Viele dieser 'Ehekinder' landeten in Bordellen oder auf den Straßen Saudi-Arabiens.

Leila (Name von der Redaktion geändert), war 15 Jahre alt, als sie nach einem langen Martyrium in Sanaa endlich Schutz in einem der raren Frauenhäuser fand. Gewalt in der Familie hatte das Mädchen zur Flucht aus der Wohnung bewogen. Auf der Straße wurde es wenig später von einer Bordellbesitzerin aufgelesen und in die Prostitution gezwungen.

Als Leila an einen Mädchenhändlerring in Saudi-Arabien verkauft werden sollte, wurden sie und die Kupplerin festgenommen. Die 'Schande' wurde offenbar und das Mädchen von der Familie verstoßen. Der eigene Bruder drohte damit, es umzubringen. Leila saß zwei Jahr im Gefängnis, bis die Jemenitische Frauenvereinigung auf sie aufmerksam wurde und in das Frauenhaus brachte. Dort wurde sie psychologisch betreut und erst nach Hause geschickt, nachdem der Familienstreit beigelegt werden konnte.


Regierung Untätigkeit vorgeworfen

Das jemenitische Strafrecht sieht für Menschenhandel zehn Jahre Haft vor. Obwohl der US-Außenamtsbericht auf die fortgesetzte politische Krise im Lande Rücksicht nimmt, fällt die Kritik an den Behörden eindeutig aus. Diese hätten 2012 viel zu wenig gegen den Menschenhandel unternommen, heißt es. "Die jemenitische Regierung war weder in der Lage, für den Bericht Angaben zu der Umsetzung der Gesetze zu machen, noch hat sie formelle Maßnahmen ergriffen, um die Opfer des Menschenhandels zu identifizierten und zu schützen und den Sexhandel zu unterbinden."

Nicoletta Giordano, die Leiterin des Jemen-Büros der IOM, kritisiert, dass viele westliche Staaten ihr Augenmerk vor allem auf die Umtriebe der Piraten richteten. Der Schmuggel und Handel von Frauen werde hingegen ignoriert, "obwohl wir es inzwischen mit einem internationalen Geschäft zu tun haben". (Ende/IPS/kb/2013)


Links:

http://www.state.gov/j/tip/rls/tiprpt/2012/index.htm
http://www.iom.int/cms/home
http://www.ipsnews.net/2013/01/bought-sold-and-abused-in-yemen/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Januar 2013