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FRAUEN/377: Tadschikistan - Martyrium in der Schwiegerfamilie, junge Mädchen zwangsverheiratet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. März 2012

Tadschikistan: Martyrium in der Schwiegerfamilie - Junge Mädchen zwangsverheiratet

von IPS-Korrespondenten


Duschanbe, 7. März (IPS) - Als Kibriyo Khaitova 16 war, legten ihr die Eltern nahe, bald zu heiraten, um nicht als "alte Jungfer" zu enden. Wie viele andere Teenager in Tadschikistan nahm sie den Mann, den ihre Familie ausgesucht hatte. Mit 20 Jahren ist sie geschieden und muss ihre zwei Kinder allein durchbringen.

"Ich wäre damals gern weiter zur Schule gegangen. Doch meine Eltern waren der Meinung, dass Männer keine gebildeten Frauen mögen", erinnert sich die junge Frau, die im konservativen Ferghana-Tal lebt. Das erste Mal habe sie ihren Mann bei der Hochzeit zu Gesicht bekommen. "Ich hatte Angst, doch meine Großmutter versicherte mir, dass alles gut werden würde."

Dass so viele Mädchen früh heiraten, hängt auch mit der weitverbreiteten Armut in Tadschikistan zusammen, wie ein kürzlich veröffentlichter Bericht der Eurasia-Stiftung feststellt. In ländlichen Gebieten werden Jungen als künftige Ernährer geschätzt, während Mädchen als finanzielle Bürde gelten.

"Manche Eltern sind froh, dass ihre Töchter von der Schwiegerfamilie versorgt werden. Sie früh zu verheiraten, ist auch ein Mittel zum Zweck, um das eigene schmale Einkommen zu schonen", sagt Azita Ranjbar, die den Report verfasst hat.


Junge Bräute als Arbeitskräfte ausgebeutet

Auch die Familie des Bräutigams hat Gründe, ihren Sohn möglichst schnell und mit möglichst jungen Frauen zu verheiraten. Die Schwiegertöchter - 'kelins' - sollen schließlich gehorchen, wozu gebildete Frauen nicht immer bereit sind. Sie gehen der Schwiegermutter bei der Hausarbeit zur Hand und verrichten auch Feldarbeit.

Seit Juli 2010 ist in dem zentralasiatischen Staat allerdings ein Gesetz in Kraft, das das Mindestalter für die Eheschließung auf 18 Jahre festlegt. In der Praxis werden aber auch weiterhin jüngere Mädchen verheiratet. Da Hochzeiten nur möglich sind, wenn beide Partner über 18 sind, werden diese von Geistlichen geschlossenen Ehen offiziell nicht angegeben. Ohne eine Registrierung beim Standesamt haben die Ehefrauen jedoch so gut wie keine Rechte.

Azim Bayzoev, der 'Gender Studies' an der Nationalen Universität von Tadschikistan lehrt, fordert harte Strafen, um die Zahl solcher Ehen zu begrenzen. Der Wissenschaftler kritisierte zugleich, dass die Regierung des Landes weder willens noch in der Lage sei, über die Einhaltung der Gesetze zu wachen.

In Tadschikistan orientieren sich die Menschen zunehmend am Islam, der Aufgaben übernimmt, die eigentlich Sache des Staates wären. In ländlichen Regionen bieten geistliche Führer Lösungen für Alltagsprobleme an.

Wie Bayzoev erklärt, befürwortet der Islam frühe Eheschließungen und preist sie den Familien als Weg zur Versorgung ihrer Töchter an. "Der Koran setzt kein Mindestalter für Hochzeiten fest", sagt ein Imam aus Duschanbe, der seinen Namen nicht genannt sehen will. "Der Islam ermutigt Frauen dazu, jung zu heiraten und Kinder zu bekommen, was ihre Pflicht ist."

Der Islam erlaubt auch Vielehen, die vom Staat jedoch verboten werden. Frauen, die sich an einen bereits verheirateten Mann binden, können wie die unter 18-Jährigen die Ehe nirgendwo registrieren lassen.


Vergewaltigung in der Ehe verbreitet

Dilnoza Rahimova erlebte die Hölle auf Erden, nachdem sie mit einem doppelt so alten Mann verheiratet wurde. Die erste Frau habe sie als Konkurrentin betrachtet und bedroht, ihr Mann sie im betrunkenen Zustand vergewaltigt. Dies gehöre zur Ehe dazu, habe ihr ihre Mutter gesagt.

Vergewaltigung in der Ehe ist in Tadschikistan nichts Ungewöhnliches. Laut einem 2009 veröffentlichten Bericht von 'Amnesty International' gaben mehr als elf Prozent der Männer zu, ihre Frauen zum Sex zu zwingen. 42,5 Prozent der befragten Frauen erklärten, von ihren Ehepartnern sexuell genötigt worden zu sein.

Eine Scheidung kann sich eine Frau, deren Ehe nicht aktenkundig ist, kaum leisten. "Die Betroffenen haben große Schwierigkeiten, Ansprüche auf gemeinsam erworbene Güter und Vermögen geltend zu machen", sagt Ranjbar.

Amtliche Zahlen über Kinderehen liegen nicht vor. Bayzoev zufolge wurden jedoch besonders viele junge Frauen während des tadschikischen Bürgerkriegs 1992 bis 1997 verheiratet, um zu verhindern, dass sie vergewaltigt und somit 'entehrt' würden. Die Zunahme bei den illegalen Eheschließungen führe auch zu mehr Scheidungen, meint der Wissenschaftler.

Kurz nach ihrer Hochzeit zog Khaitovas Ehemann wie viele junge Tadschiken als Arbeitsmigrant nach Russland. Und nach drei Jahren kehrte er mit einer neuen Frau heim. "Er wollte die Scheidung und ich hatte zwei Tage Zeit, um meine Sachen zu packen", erzählt sie. "Seitdem werde ich von meiner Familie unterstützt und verdiene etwas Geld durch das Ausbessern von Kleidungsstücken. Meine Kinder kann ich davon aber nicht ernähren." (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://www.eurasia.org/countries/tajikistan
http://ipsnews.net/2012/03/poverty-encourages-early-marriages-in-tajikistan/

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 8. März 2012